Gehört die Wissenschaft zur Kultur oder eher noch - zum Kulturbetrieb, fragt sich der staunende Leser, der hört, dass Ministerin Bulmahn kürzlich zehn Millionen Mark bereitstellte, damit sich Wissenschaftler im gerade ausgerufenen "Jahr der Lebenswissenschaften" "überall dort, wo Menschen sind", werbend, erklärend und darstellerisch an selbige wenden können. Wie alle Fragen, die mit Wissenschaft zu tun haben, ist auch diese selbstredend viel zu komplex, um von einem Laien beantwortet zu werden. Außerdem ist eine solche Frage lächerlich. Natürlich gehört Wissenschaft zur Kultur, ist sie eine der größten Kulturleistungen, ohne sie kein Fortschritt, der moderne, auch der postmoderne Mensch hat von morgens bis abends - vom Haarwasser
er bis zur Fußpilzcreme - täglich mit Wissenschaft zu tun. Wahrscheinlich wäre es sogar korrekter zu sagen, es gibt heutzutage überhaupt keine Kultur ohne Wissenschaft. Antwort eins lautet also: Wissenschaft gehört zur Alltagskultur.In den Medien zum Beispiel finden wir Wissenschaft nicht nur auf den laufend sich erweiternden Wissenschaftsseiten, auch im Feuilleton, auf den Seiten für Politik, bei den Aktienkursen und im Sportteil (Doping!). Auch scheint es Wissenschaftlern kaum mehr zu schaden, wenn sie sich auf Zeitungsseiten äußern (womöglich sogar verständlich oder geföhnt im TV, wo der Verschleiß von Experten besonders hoch ist.). Wissenschaft gehört also, zweitens, auch zum Kulturbetrieb, Tendenz steigend. Wir werden in diesem ÂJahr der Lebenswissenschaften noch unsere wissenschaftlichen Wunder erleben bei multimedial aufgemotzten Events. Sofern es derlei noch gibt, gehört Wissenschaft drittens selbstverständlich zur Hochkultur, man merkt es an der Kleidung (dunkle Dreiteiler), am Schmuck der Ehefrauen und an gediegenen Räumen; man darf sogar vermuten, dass Wissenschafts-Events das vernachlässigte Bedürfnis nach einer Hochkultur, die sich vom gewöhnlichen Volk abhebt, befriedigt.Damit bin ich trotz aller Schwierigkeiten, die der Umgang mit dem Wort Kultur mit sich bringt, beim Fragezeichen. Wenn Wissenschaft im Kulturbetrieb, in der Politik in Ausstellungen und in der Bild-Zeitung präsent ist, was fehlt dann? Mit der Literatur hatte sich auch eine Literaturkritik entwickelt, in der Kunst leben heute mehr Leute vom kritischen Kommentieren, als von ihren Kunstwerken. Es gab und gibt (wenn auch in eher homöopathischen Dosen) Medien, Diskussionen und Preise, das heißt auch einen Markt, auf dem das Gewerbe der Kritik vorangetrieben wird.Wissenschaft aber ist so komplex, in Spezialgebiete aufgeteilt, von kaum nachvollziehbaren Kenntnissen und Begriffen geprägt, dass niemand außer den voneinander abhängigen Fachleuten sie zu kritisieren vermag - beziehungsweise wagt, solange er nicht seine C4 Professur oder den Nobelpreis hat. Und solange es keine Medien gibt, die aus der Distanz und wenigstens ansatzweise unabhängig berichten können, gehört Wissenschaft nicht zur Kultur. Sofern Wissenschaftler nicht eine Sprache finden, die (ohne ihre Adressaten für blöd zu verkaufen) über die Kürzel ihres Faches hinaus reicht, gehört sie nicht zu einer Kultur, die wenigstens potentiell von Interessierten geteilt werden kann. Sofern nicht diskutierbar ist, dass Wissenschaft samt ihrer Mythen von Autonomie, Wertfreiheit und Wahrheitstreue fest verschnürt ist mit allem anderen, was die Welt bewegt, gibt sie ihren Anspruch auf Rationalität und Neugier auf.Das per definitionem inkompetente Publikum - oft selbst Experten auf dem einen oder anderen kleinen Gebiet - könnte, wenn die Mythen erst einmal zerstört sind, Methoden der Kunst, auch des Kunstbetriebs hervorholen und damit experimentieren: Blickrichtungen verwirren, Fragen anders stellen; nicht nur andächtig horchen, sondern vielleicht fragen, für wen, mit welchen Gewinnspannen Gentechnik schlecht oder gut ist (ob man, von der Politik lernend, auch von Forschern eine Offenlegung der Einkünfte, Firmenbeteiligungen, Aktienbesitz verlangen könnte?)Wenn erst einmal der Damm der allein seligmachenden Zuständigkeit gebrochen ist, könnten womöglich Kulturkritiker frei nach Brecht fragen: wie könnte man das Fachwissen anders nutzen, wer bestimmt über die Forschungsgelder, unter welchen Bedingungen arbeitet ein Laborknecht, wer wählt die Handvoll älterer Herren, die über Anwendung und Ausstattung von Wissenschaft bestimmen? Sobald es eine solche Diskussion über Wissenschaft gibt, kann man anfangen, von Wissenschaft als Teil unserer Kultur oder gar von Wissenschaft im Dialog zu reden.
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