Serben unerwünscht

Kroatien Eine Volkszählung offenbart die Bilanz eines Jahrzehnts der "ethnischen Säuberung"

Franjo Tudjman hatte zu Beginn der neunziger Jahre eine Vision, er nannte sie das "strategisches Ziel". Der 1999 verstorbene kroatische Präsident strebte danach, den prozentualen Anteil der Serben an der Bevölkerung Kroatiens unter die Marge von drei Prozent zu drücken. Damit sollte nach der äußeren Begründung des kroatischen Nationalstaates 1991 dessen definitive innere Konsolidierung erreicht werden.
Diese Vision des "kroatischen Bismarck", wie ihn seine Verehrer nennen, ist heute fast Realität. Die jüngst in Zagreb vom Staatlichen Statistikamt veröffentlichten Resultate der Volkszählung von 2001 präsentieren erstmals die demographische Bilanz eines Jahrzehnts der ethnischen Säuberung in einem postjugoslawischen Staat. Die serbische Minderheit sieht sich radikal dezimiert. Lebten bei der letzten jugoslawischen Volkszählung 1991 noch 582.000 Serben in Kroatien, was einem Bevölkerungsanteil von 12,2 Prozent entsprach, waren es Ende 2001 nur noch 201.000 - ganze 4,5 Prozent. Ein Schwund um fast zwei Drittel. Demgegenüber deklarierten sich nun fast 90 Prozent der Einwohner als Kroaten, zwölf Prozent mehr als 1991.
Tudjmans Politik hat also Früchte getragen. Kroatien ist heute ethnisch so homogen wie sein nördlicher Nachbar Slowenien. Mit einem Anteil der slowenischen Titularnation von 87 Prozent sprach man im Westen 1991 von Slowenien als "dem einzigen Nationalstaat" unter den Unabhängigkeitsprätendenten. Alle anderen ex-jugoslawischen Republiken hatten eine oder mehrere bedeutende Minoritäten auf ihrem Staatsgebiet oder waren wie Bosnien-Herzegowina ohne nationale Mehrheit. Zwischen Slowenien damals und Kroatien heute gibt es jedoch einen gewichtigen Unterschied. Noch immer siedelt die serbische Minderheit kompakt in den ländlichen Regionen der früheren österreichischen Militärgrenze, der Krajina, in Slowenien hingegen leben die nach 1945 als Arbeitsmigranten eingewanderten Serben, Kroaten und Bosnier in den urbanen Zentren. Allerdings stellen die Serben anders als vor dem Bürgerkrieg in keiner der kroatischen Verwaltungseinheiten - den Zupanijas - die Mehrheit. Den höchsten Anteil haben sie mit 32 Prozent (1991: 37 Prozent) in der 1991 so heiß umkämpften Stadt Vukovar. Ansonsten liegt das serbische Quorum in den Zupanijas der früheren, international nie anerkannten Republik Krajina zwischen neun und elf Prozent, in deren einstiger Hauptstadt Knin nur noch bei 21 Prozent (1991: 79).
Noch eines macht der Zensus deutlich: Die serbische Identität hat sichtlich gelitten. Nur ein Prozent der Bewohner Kroatiens gab Serbisch als Muttersprache an. Dem stehen 96 Prozent der Bevölkerung gegenüber, die nach eigener Aussage Kroatisch bevorzugen. Zur serbisch-orthodoxen Kirche bekannten sich nur ganze 0,9 Prozent! Ob diese Daten die weiter vorhandene Intoleranz gegenüber den Serben widerspiegeln oder vielmehr auf Arrangements innerhalb der kroatischen Gesellschaft hindeuten, ist schwer zu entscheiden. Das politische Kroatien jedenfalls hat die neue ethnische Qualität des Landes auffallend verhalten kommentiert, die Regierung versuchte, das Ergebnis erkennbar herunterzuspielen. Dabei vergriff sich Premier Ivica Racan allerdings im Wort, als er meinte, man solle "darüber nicht lamentieren, sondern weiter vorangehen". In welche Richtung, sagte er nicht.
Dass die Nationalisten die ethnische Bilanz als "beste Nachricht" der letzten Zeit begrüßen, versteht sich fast von selbst. In den liberalen und antinationalistischen Kreisen Zagrebs ist man hingegen der Meinung, dass es hätte schlimmer kommen können. Immerhin sei die serbische Volksgruppe als demografischer Faktor erhalten geblieben, insofern Tudjmans ethnischer Engineering gescheitert.
Andrea Dragojevic´, Kommentatorin von Zarez, der Monatszeitschrift der Antikriegsbewegung, fragt, warum niemand bereit sei einzugestehen, dass vorrangig das Tudjman-Regime dafür verantwortlich war, dass ein Teil der eigenen Bevölkerung gewaltsam vertrieben wurde, und antwortet: "Weil dies das Eingeständnis wäre, dass aus Opportunismus und Bequemlichkeit nahezu die ganze Gesellschaft durch ihr beharrliches Schweigen diesen Exodus legitimiert hat. Wenn es je einen öffentlichen Konsens nach 1990/91 in Kroatien gegeben hat, dann lautete der: Ja, wir wollen dieses Kroatien, aber ohne die zwölf Prozent Serben".
Tatsächlich ist trotz einer Kooperation der Reformregierung von Präsident Stipe Mesic´ mit dem Haager Tribunal die Politik gegenüber den kroatischen Serben nicht revidiert worden. Der Satz von Mesic´, ein unabhängiges Kroatien könne niemals Kriegsverbrechen rechtfertigen, wird ignoriert. Als man Anfang 2001 den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Mirko Norac´ vor ein Gericht stellte, gingen Hunderttausende unter dem Motto "Wir sind alle Norac´!" auf die Straße, und die Stadt Split ernannte den Angeklagten noch während des Prozesses zum Ehrenbürger.
Bis heute glaubt man in Kroatien, der "Vaterländische Krieg" zwischen 1991 und 1995 sei "notwendig und gerecht" gewesen. Dass dieser Konflikt von Anfang an eine klar antiserbische Stoßrichtung hatte - und zwar nicht gegen das Belgrad Milos?evic´s -, sondern gegen die Serben in Vukovar, Knin und Pakrac wird bis heute geleugnet. Solange sich die kroatische Gesellschaft dieses abstoßenden Erbes der Tudjman-Ära nicht bewusst wird, sollte ihr der Weg in europäische Institutionen versperrt bleiben.



Weitere Angaben: Staatliches Statistikamt für Kroatien unter http://www.dzs.hr


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