BELGIEN UND DER "FALL LUMUMBA" Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss dümpelt vor sich hin, schließlich kann das Königshaus keine Mord-und-Totschlag-Company sein
Es hatte symbolträchtig am 17. Januar sein sollen, als der jüngste Sohn von Patrice Lumumba in Brüssel formell eine Strafanzeige gegen den belgischen Staat wegen der Ermordung seines Vaters einreichen wollte - auf den Tag 40 Jahre nach der Tat. Wieder ein politischer Mord, wieder an einem Kongo-Präsidenten - an Laurent Désiré Kabila, der immerhin mit Marschall Mobutu einen der Schuldigen am Tod Lumumbas aus dem Land gejagt hatte -, verhinderte dies und brachte mehr durcheinander als nur die Flugpläne zwischen Afrika und der Eurohauptstadt.
In Schwefelsäure aufgelöst
Geradezu erleichtert konnte der Untersuchungsausschuss des Parlaments erst einmal den angesetzten Termin für die Anhörung von Zeugen zum Fall Lumumba verschieben und den vier
umumba verschieben und den vier von ihm benannten Experten mehr Zeit für ihren Bericht über das offizielle Archiv-Material geben. Dieser Ausschuss war mühsam genug zustande gekommen, nachdem der Löwener Soziologe Ludo de Witte Ende 1999 endlich und zum ersten Mal - allein dies schon eine Peinlichkeit für die Belgier - eine präzise, auf die verfügbaren Quellen gestützte Darstellung des Tathergangs geliefert hatte. Das sorgte für mehr Klarheit über die Täter und verdeutlichte: Diplomaten, Militärs und Polizisten waren direkt beteiligt, als der Mord an Lumumba - Symbolfigur der afrikanischen Unabhängigkeit - geplant, vollzogen und vertuscht wurde.25 Jahre nach dem großen atlantischen Bruder - 1974 hatte der US-Kongress mit seiner Church Commission einige der Verbrechen offizieller US-Dienste durchleuchtet, darunter auch Mordpläne des CIA gegen Lumumba - kamen die Belgier nicht mehr umhin, die eigene Tat aufzuklären. Und wie. Nach monatelangem Gezerre wurde vor genau einem Jahr ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss einberufen. Immerhin ein Gremium mit gerichtsähnlichen Vollmachten zur Zeugenvernehmung und Akteneinsicht, aber das gab erst einmal die wichtigste Aufgabe - die Sichtung der offiziellen Archive - an eine Kommission von vier Experten weiter. Natürlich war Ludo De Witte, der als einziger überhaupt eine detaillierte Quellenkenntnis besaß, nicht darunter; denn der - so ausgerechnet ein Ausschussmitglied vom "linken" Parteienspektrum - hätte "ja schon eine Meinung zum damaligen Vorfall".Gerade einem der vier nominierten Experten werden hinreichendes Fachwissen und vor allem Standfestigkeit gegenüber allfälligen Kompromisspressionen zugetraut. Zwei weitere haben sich eher durch Farblosigkeit beim Verfolg ihrer Karriere im akademischen Leben ausgezeichnet. Der vierte schließlich - Professor an der Königlichen Belgischen Militär-Hochschule (und die Frage nach der Rolle des Könighauses ist ziemlich zentral bei der ganzen Sache) - hat sich jüngst bei einem Kongo-Kongress in Lissabon geäußert. Dort beklagte er die "mangelnde Vitalität" der Kongolesen, die vor 1885 (dem Jahr der Kolonisierung durch Belgien) auf eine "endemische Unterernährung" zurückzuführen gewesen sei, "weswegen ein Mangel an Fleisch teilweise den Umstand erklärte, dass viele Stämme Kannibalen waren". - Einen besseren Experten hätte das Parlament nicht finden können, um den Gang einer Dienstanweisung herauszufinden, derzufolge ein belgischer Polizeioffizier in Katanga am 19. Januar 1961 die Leiche von Lumumba fachgerecht zerlegt und in Schwefelsäure - bereitgestellt von der belgischen Bergbaugesellschaft Union Minière - aufgelöst hat. Jener Polizist - ein flämischer Fleischersohn - ist nun leider Ende vergangenen Jahres verstorben, ehe sich der Ausschuss klar werden konnte, welche Zeugen er denn hören wolle. Zuerst war ja noch zu klären, welche staatlichen oder gar königlichen Archive der Expertenkommission zugänglich sein würden.Große Hoffnung erfüllte die Runde im November, als der Königliche Palast ankündigte, die offiziellen Papiere jener Zeit zeigen zu wollen, aber nur den Experten. Ein Anspruch der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Herrscherakten bestehe nicht; und schon gar keiner bei "privaten" Papieren. Fabiola, die Hinterbliebene des damaligen Königs Baudouin, hat somit ihre Dokumente in der sicheren Schatulle. Ebenso verhält es sich mit Akten von Regierungsmitgliedern: die können für "privat" erklären, was genehm ist. Die Aufzeichnungen aus einer der wichtigsten Instanzen vor 40 Jahren, des Kongo-Komitees unter Premier Gaston Eyskens, sind auf diese Weise verschwunden. Und ebenda wurde beschlossen, was dann im Namen des Volkes zu geschehen hatte.Viel Vertrauen in die JustizDe Witte hat gezeigt, dass sich dennoch einiges aufklären lässt. Zeugen-Aussagen und Medien-Dokumentationen haben das inzwischen mehrfach bewiesen. Die BBC etwa stöberte die Diensthabenden ihrer Majestät seinerzeit in Leopoldville (Kinshasa) auf, die ohne Scheu von einem bisher unbekannten, ureigen britischen Plan zur Ermordung Lumumbas berichteten. Allerdings lief das anders als in Belgien oder den USA ab, denn die britischen Dienste planten und die politisch Verantwortlichen bremsten ab. Den Umstand aber, dass andere auch gern die Mörder gewesen wären, nutzten nun belgische Politiker, um den Auftrag des Untersuchungsausschusses "auf den Gesamtzusammenhang" der Tat zu erweitern. An der Tatsache, dass es schließlich doch die eigenen Leute waren, die Lumumba und zwei seiner Minister, wie oft vergessen wird, als "verschnürte Pakete" an seine Todfeinde nach Katanga geliefert hatten, und daran, dass Belgier dort die Aufsicht und den direkten Befehl des Erschießungspeletons führten, kommt nun zwar keiner mehr vorbei; aber dass die anderen doch auch gern zum Schuss gekommen wären, hat den Untersuchungsausschuss arg beschäftigt.Der für Dezember (illusorisch früh) angekündigte "Vorbericht" der Experten wurde auf März, schließlich wegen des "diffizilen politischen Klimas" nach dem Kabila-Mord auf Mai verschoben. Wenn dann tatsächlich die Ausschuss-Arbeit fortgesetzt wird, dürfte es ein neues Verfahrensproblem geben. Sohn Roland Lumumba, der dieser Tage in Belgien namens der Familie Klage eingereicht hat, fällt womöglich einem folgenschweren Irrtum zum Opfer. Er habe "mehr Vertrauen in die belgische Justiz als in die belgische Politik", erklärte er gerade. Höchst naiv, denn was passieren kann, wenn eben jene Justiz sich des Falls annimmt, haben andere Präzedenzen in Belgien gezeigt, bei denen "laufende Verfahren" der Justiz auch noch den letzten Rest von aufklärerischer Energie geraubt haben. Jede Ermittlung wird zur Farce, wenn die Zeugen - und womöglich Tatverdächtigen - vor einem parlamentarischen Ausschuss ausgesagt haben. Dann nämlich hat jene Justiz den formalen Grund, ihrerseits jedes Verfahren einzustellen. Da bekommt ein Angeklagter auf einmal alles Recht, eine möglicherweise selbst belastende Aussage vor einem parlamentarischen Ausschuss - dort auf Grund der Eidesverpflichtung geleistet - dafür geltend zu machen, dass diese nicht gegen ihn in einem Gerichtsverfahren verwendet werden dürfe. Dort hat bekanntlich die Annahme der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten - und eine (unfreiwillige) Aussage vor der anderen Staatsinstanz unterläuft eben diesen Rechtsgrundsatz. So geschehen zuletzt bei den größten Affären des Landes - von der Plutoniumschieberei mit der deutsche Transnuklear bis zum Fall des Kindermörders Dutroux. Das Spiel hat Chancen, mit dem "Fall Lumumba" wiederaufgeführt zu werden.
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