Am Rande der Legalität

Wehrwirtschaftsführer Eine Historikergruppe um Norbert Frei erforschte das bewegte Leben Friedrich Flicks

Friedrich Flick war ein begabter, geradezu genialer Geschäftsmann und überzeugender Verhandler, der freilich zu allen Zeiten skrupellos nur an seinen Vorteil dachte und sich unpolitisch nicht darum kümmerte, mit wem er es zu tun hatte.

Missmutig schaut er vom Umschlag eines kürzlich erschienenen Buches, wenig einladend für den Leser, der sich obendrein mit einer über 900 Seiten langen Biografie konfrontiert sieht.

Da haben vier Historiker, angeführt von dem Jenaer Historiker und Politologen Norbert Frei, ein wissenschaftliches Standardwerk vorgelegt, das Flicks Enkelin Dagmar Ottmann finanzierte. Streckenweise ist das Lektüre für Fachkundige, zugleich jedoch handelt es sich um ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte.

Der Untertitel verspricht dem Leser, auch etwas über die Familie Flick zu erfahren. Zu der gehören allerdings nicht nur die Söhne und männlichen Enkel, sondern auch die Ehefrauen. Man liest indes nur, dass Flicks Frau Marie hieß und sie, wie ihr Mann, in dem ältesten Sohne Otto-Ernst keine Führungseigenschaften für die Nachfolge gesehen habe. Aber man erfährt nicht, wie sie war und wie die Ehe mit diesem verschlossenen Mann funktioniert hat.

Auch wenn der 1883 im Siegerland geborene Flick zu allen Zeiten die Öffentlichkeit gescheut und kaum jemanden in sein Leben hat schauen lassen, ist das für den Leser eines so dicken Buches zu wenig Familie.

Sohn eines Holzhändlers

Die Flickschen Rüstungs-Unternehmen beschäftigten während des Krieges 40.000 bis 60.000 Zwangsarbeiter, Juden und – hauptsächlich russische – Kriegsgefangene. Die Konzernleitung, also auch Flick selbst, kümmerte sich nicht um deren Lebensbedingungen, obwohl sie das hätte tun können. „Aber das hätte seinem unternehmerischen Selbstverständnis und der Arbeitsteilung im Konzern wohl widersprochen“, schreibt Mitautor Ralf Ahrens – zudem lag das „ jenseits der Sphäre, die ihn interessierte“ – so Frei zur Süddeutschen Zeitung.

Flick war der Sohn eines Bauern, der später als Holzhändler Erfolg hatte und sich hier und da in Siegerländer Erzgruben einkaufte. Sohn Friedrich machte eine Lehre bei der Bremer Hütte und kam aus der später besuchten Handelshochschule in Köln 1907 als Diplomkaufmann heraus. Schließlich landete er als kaufmännischer Vorstand bei der Siegerländer Charlottenhütte.

Niemand weiß bis heute, wie Flick es schaffte, schon 1921 die Kapitalmehrheit der Gesellschaft an sich zu bringen und Generaldirektor zu werden. Er schwieg dazu. Schanetzky, einer der Autoren, meint, Flick habe sich dabei „hart am Rande der Legalität“ bewegt. 1925 zahlte der aufstrebende Unternehmer der Kölner Universität 100.000 Mark – nicht aus guter Erinnerung, sondern um die Ehrendoktorwürde zu erwerben.

Ein Jahr später brachte er seine Gesellschaften in die Vereinigten Stahlwerke ein und wurde so Aktionär des größten deutschen Konzerns. Flick stieg auch bei der bayerischen Maxhütte ein und wurde Mehrheitsaktionär der Gelsenkirchener Bergwerks-AG.

Dort löste er einen Skandal aus, als er das 1932 durch die Weltwirtschaftskrise in Not geratene Unternehmen nach dem nur geflüsterten Hinweis darauf, man müsse verhindern, dass die Franzosen das Werk übernähmen, zu einem überhöhtem Preis an das Deutsche Reich zu verkaufte – um sich selbst dadurch vor der Pleite zu retten.

Die berühmte „Gelsenberg-Affäre“ sorgte für Empörung, vor allem, als bekannt wurde, dass Flick reichlich Parteispenden verteilt hatte – mit Ausnahme der Kommunisten. Als das skandalöse Geschäft noch nicht abgeschlossen war, unterstützte Flick die Hindenburg-Wiederwahl noch mit 950.000 Mark.

Nein, ein Nazi war Flick nicht – er sagte, er habe bis 1933 die Deutsche Volkspartei Gustav Stresemanns gewählt. Er trat erst 1937 in die Nazipartei ein. Schon vorher war er Mitglied des Freundeskreises des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler. Wehrwirtschaftsführer wurde er auch – in seiner Karriere fehlte es an nichts.

Ihn interessierten nur seine Geschäfte – mit wem er sie machte, war ihm gleichgültig, und wenn es darum ging, Zwangsarbeiter zu beschäftigen oder jüdisches Eigentum zu „arisieren“, war ihm auch das nützlich und willkommen – da unterschied er sich nicht von den meisten deutschen Unternehmern. Flick war der größte deutsche Rüstungsfabrikant, baute Panzerwagen, U-Boot-Torpedos, Geschosse und Gewehrläufe – 1933 arbeiteten 20.000 Menschen für ihn, bei Kriegsbeginn 100.00, 1944 waren es 120.000 – und er verdiente, wen wundert es, sehr viel Geld.

Nach dem Krieg, in dem sein zweiter Sohn 1941 gefallen war, wurde Flick – wie auch Krupp – als Quasi-Symbolfigur in Nürnberg angeklagt und als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren verurteilt, aber schon 1950 wieder freigelassen.

Mit Stern und Schulterband

Dem Gericht hatte er gesagt: „Ich habe die Organe des Nationalsozialismus weder für meine wirtschaftliche Entwicklung noch für mein Vermögen gebraucht“- da war etwas dran, denn nach dem Krieg – wie vor der Nazizeit – bewies er, dass er auch ohne Zwangsarbeiter und „Arisierungen“ reich werden konnte. Sein Konzern wurde zerschlagen: er hatte die glückliche Wahl, sich von Stahl oder Kohle zu trennen. Schlau, wie immer, behielt er Stahl und verkaufte alles, was mit Kohle zu tun hatte und ihm im Westen verblieben war – gegen sehr viel flüssiges Geld, das er gleich wieder investierte um einen neuen Konzern aufzubauen – mit immerhin schon 67 Jahren.

Er erkannte früh die Chancen der Automobilindustrie und kaufte sich – sein wohl größter Coup – bei Daimler Benz groß ein. Aber die Zwangsarbeiter der Nazizeit bekamen weder von ihm noch von den Söhnen irgendeine Entschädigung. Nur die – weil sie Frau war? – mit bloß der Hälfte der Erbschaft bedachte, unsichtbar bleibende Dagmar Ottmann zahlte fünf Millionen in einen Zwangsarbeiterfonds.

Flick starb 1972 – als Träger des Grossen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband – Adenauer hatte ihm ein „großes und staunenswertes Lebenswerk“ bescheinigt. Die Trauerfeier war eine Art Staatsbegräbnis, auf der Hermann J. Abs sprach – schon während der Nazizeit kein Unbekannter bei der Deutschen Bank und danach wahrlich auch nicht.

Ein erfolgreiches Leben gewiss. Fast alles war Flick gelungen – aber an dem Plan, eine Familiendynastie zu gründen, emotional und sozial, war er gescheitert. Mit seinen beiden verbliebenen Söhnen kam er nicht zurecht, mit dem ältesten schon gar nicht – Nachfolger waren sie beide nicht. Der Älteste prozessierte sogar gegen den Vater.

Die Enkel – Mick und Muck – Friedrich-Christian und Gert-Rudolf – wurden erst einmal Playboys, die sich lieber in St.Moritz als anderswo sehen liessen, aber auch keine Chance mehr hatten, in die Fußstapfen des mächtigen Großvaters zu treten.

Gert-Rudolf versuchte 1996 einen Flick-Lehrstuhl in Oxford einzurichten, was ebenso kläglich scheiterte wie der Plan des Bruders, seine beachtliche Kunstsammlung in ein Züricher Museum einzubringen: Entrüstung über die Verwendung des „Blutgeldes“. Jetzt steht sie in Berlins Hamburger Bahnhof. Bald schon war der ganze Konzern verkauft worden – nichts außer Geld blieb.

Ein gescheitertes Leben Friedrich Flicks? Wohl kaum, wenn man bedenkt, dass ihn sein Leben lang nur das Geschäft interessiert hat, sein Geschäft. Eine ebenso interessante wie abstoßende Figur der neueren deutschen Geschichte, ein Verbrecher, der seine Schuld nie eingestehen konnte und wollte.

Flick Der Konzern, die Familie, die Macht Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky. Blessing, München 2009, 912 S., 34,95

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