Wird Tony Blair den Briten als der Politiker in Erinnerung bleiben, der das Desaster im Irak zu verantworten hat? Oder wird man ihn als Friedensstifter für Nordirland im Gedächtnis behalten? Die Meinungen in Großbritannien sind geteilt - sicher ist nur, nach dieser Woche ist das Ende einer Ära zum Greifen nahe. Tony Blair will als Parteiführer und Premierminister abdanken.
Als Labour 1997 die Unterhauswahlen gewann, war wohl weniger das Charisma Tony Blairs als vielmehr der Überdruss nach 18 Jahren Tories ausschlaggebend, die - wie seinerzeit Helmut Kohl in Deutschland - ihr Konto längst überzogen hatten.
Der neue Premier versprach viel: Das öffentliche Gesundheitswesen, den National Health Service (NHS), und das notleidende Schulsystem wollte er umkrempeln, das war populär und schien erfolgversprechend. Obwohl niemand so richtig wusste, was man sich unter New Labour vorzustellen hatte, glaubten - oder hofften - damals noch viele, Blair sei wenigstens Sozialdemokrat. Er entpuppte sich indes bald als Neo-Konservativer, der besser zu George Bush als zu halbwegs linken Parteien in West- und Mitteleuropa passte, falls es dort seinerzeit so etwas überhaupt noch gab.
Seinen schärfsten Konkurrenten, den Schotten Gordon Brown, machte Blair zum Finanzminister. Der gab die Hoheit über die britische Währung schon während der ersten 100 Tage im Amt an die Zentralbank ab, die seitdem über die Geldpolitik souverän bestimmen kann - ein gelungener Schachzug der neuen Regierung. Bei allem Labour-Frust wird heute doch mehrheitlich zugegeben, Brown habe seine Sache ziemlich gut gemacht: Das Land habe einen 1997 vielleicht erhofften, aber kaum erwarteten Wirtschaftsaufschwung genommen - allerdings, wie fast überall im Westen, überwiegend zugunsten der Wohlhabenden: Die 1.000 reichsten Briten sind im vergangenen Jahrzehnt um 263 Prozent reicher geworden.
Das Ziel, selber Prime Minister zu werden, hat Brown nie aufgegeben, auch wenn er lange warten musste, weil Blair immer wieder halbherzige Versprechungen machte, die er nicht einhielt. Doch wollte der Herausforderer für Labour keine Zerreißprobe heraufbeschwören und geduldete sich. In 200 Jahren britischer Politik hat es keine so lange Partnerschaft zwischen einem Prime Minister und seinem Chancellor gegeben.
Nun endlich, in der dritten Legislaturperiode mit Labour-Kabinett (was es bisher gleichfalls noch nie gab), kündigt Blair den Rückzug an und sichert Brown seine Unterstützung zu - das Land atmet auf. Es steht dem Deutschland der großen Koalition wahrlich nicht an, mit dem Finger auf andere "Reformer" zu zeigen, aber es ist wahr: New Labour hat nicht viel ausgerichtet. Noch immer müssen NHS-Patienten, auch dringendere Fälle, oft monatelang auf Arzt-Termine warten, während Privatpatienten für viel Geld sofort behandelt werden. Und es ist gleichfalls wahr, dass die Bessergestellten - natürlich auch Blair und andere Labour-Leute - die public schools meiden und ihre Kinder auf teuere Privatschulen schicken.
Doch sind das nur Nebengeräusche des großen Hauptdonners, ausgelöst von den Kriegen im Irak und in Afghanistan, die vielen britischen Soldaten das Leben gekostet haben und weiter kosten werden. Unvergessen ist die Rede, die Blair am 18. März 2003, zwei Tage vor dem Einmarsch im Irak, im Parlament hielt: Sie war brillant und erfolgreich, denn die Regierung konnte danach mit parlamentarischem Beistand in den Krieg ziehen. Nur stimmte an diesem Auftritt so gut wie nichts. Man könnte auch sagen: Es war fast alles gelogen. Blair profitierte von seiner Begabung, den Eindruck zu erwecken, er glaube fest an alles, was er sage - und hatte damit Erfolg. So hielt er diese Rede und zog in den Irak-Krieg, obwohl es in Großbritannien niemals zuvor derart gewaltige Demonstrationen gegen einen solchen Waffengang gegeben hatte.
Doch Britanniens Premier fühlte sich bei George Bush im Wort, mit dem er den Irak-Feldzug auf dessen Texas-Ranch schon lange vorher ausgeheckt hatte. Diese Aggression war keine Verirrung, sondern die Folge all dessen, wovon Blair überzeugt war. Bald schon nannte man ihn "Bushs Pudel". Bis heute ist dieses Vasallentum nur schwer nachvollziehbar, zumal Bushs Wort - er werde gegen den Irak notfalls ohne die Briten losschlagen - bis zur letzten Stunde galt. Offenbar spielte am Ende dieses "special relationship", die Verwandtschaft zwischen beiden Ländern, die vordergründig die gleiche Sprache sprechen, eine wichtige Rolle. Es waren schließlich die Vereinigten Staaten, die dem Vereinigten Königreich in zwei Weltkriegen mehr als handfest halfen und den Sieg garantierten - bei den Briten ist das unvergessen. Außerdem blieb es ihnen an der Seite der Amerikaner möglich, noch ein wenig Empire oder Großmacht zu spielen, auch wenn ihnen das im Irak alles andere als gut bekam und von Anfang an absehbar war. Daran ließen 2004 die nach den beiden Lords Hutton und Butler benannten parlamentarischen Untersuchungssausschüsse keinen Zweifel.
Am 3. Mai wurde in Schottland die Rechnung präsentiert und Labour bei den Regionalwahlen nach unten durchgereicht. Die Schottische National-Partei ist fortan im Norden die stärkste Kraft und hat Labour nach 50 Jahren entthront, kann allerdings nicht allein regieren. Viele hatten schon das Ende des einst so stolzen Vereinigten Königreichs mit einer unabhängigen Regierung in Schottland vorausgesagt, aber das war den Wählern dann wohl doch (noch) eine zu fragwürdige Konsequenz. Das heißt freilich nicht, dass Labour jubeln kann: In Wales gab es das schlechteste Ergebnis seit dem Ersten Weltkrieg, und vor allem im Süden sind die Konservativen mit David Cameron im Vormarsch. Gordon Brown, mit der Hypothek, Blairs Kriegspolitik gestützt zu haben, steht vor ungeheueren Aufgaben. Good luck, Mr. Brown!
Der Autor ist Publizist und Rechtsanwalt, vertritt unter anderem das Wochenblatt Die Zeit und war Anwalt des Spiegel und des Stern. Er lebt heute in London.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.