Ausländer rein! könnte es bald heißen, und schon läuft die Debatte um Einwandererkontingente. Von jährlich bis zu 50.000 Immigranten ist die Rede. Dabei leben derzeit schon gut sieben Millionen Ausländer in Deutschland, viele davon mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, darunter allein in Berlin noch über 6.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina. Viele von ihnen sind seit mehr als acht Jahren hier. Vor allem die Jugendlichen wollen in Deutschland bleiben und nicht in ein zerstörtes Land zurückkehren, an das sie sich kaum erinnern können.
Es ist, wie mit verbundenen Augen rückwärts laufen." So beschreibt eine junge Frau aus Bosnien ihr Lebensgefühl. Zukunftspläne schmieden, über berufliche Perspektiven nachdenken - das ist jugendlichen Flüchtlingen verwehrt. Die meisten von ihnen haben, auch wenn sie zum Teil schon seit 1992 in Deutschland leben, den unsicheren Aufenthaltsstatus der Duldung. Diese wird für maximal sechs Monate, oft noch für kürzere Zeiträume ausgestellt und schützt nicht vor Abschiebung. Da erscheinen dann Wünsche, die auf nichts anderes als ein ganz normales Leben abzielen, schon wie fernste Utopie. "Arbeit, vielleicht auch ein Auto, eine Wohnung, Kinder, Mann ..." - davon träumt Mira (*). Sie ist 16, lebt seit acht Jahren in Berlin und wird bald die Schule abschließen. Aussichten auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz hat sie kaum, denn dafür braucht sie eine Arbeitserlaubnis und die wird meistens nicht erteilt.
So wie Mira geht es vielen, nicht nur bosnischen Migranten. Die Regierungskommission zur Zuwanderung unter Rita Süssmuth schlägt deshalb vor, jugendlichen Flüchtlingen die Chance auf eine Lehrstelle unabhängig vom Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Damit wäre zumindest denen geholfen, die es geschafft haben, einen Schulabschluss zu erlangen. Auch die Praxis der immer wieder verlängerten Duldung möchte die Kommission geändert sehen: Es müsse nach Ablauf der Duldungsfrist "geprüft werden, ob die Duldung in eine Aufenthaltsbefugnis umgewandelt werden kann, wenn nicht abzusehen ist, wie lange eine Abschiebung ausgesetzt werden muss". Damit wäre nicht nur Jugendlichen ein gut Teil Unsicherheit künftig erspart.
Rückkehrprämien sind keine "Starthilfe"
Der Berliner Senat bewegt sich in kleinen Schritten auf eine Bleiberechts-Regelung für Bosnier zu: Mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS hat er Ende Juni beschlossen, Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina unter bestimmten Bedingungen eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnis einzuräumen: Sie müssen über fünf Jahre hier leben und die Zusage für einen Arbeitsplatz vorweisen. Damit geht Berlin über den Beschluss der Innenministerkonferenz vom 10. Mai hinaus, die sich darauf geeinigt hatte, Flüchtlingen ein Bleiberecht zu gewähren, die seit mehr als sechs Jahren hier leben und zwei Jahre erwerbstätig sind. Diese Forderung kann angesichts der Arbeitsmarktlage in Berlin kaum ein Flüchtling erfüllen. Aber auch so wird nur ein Teil der 6.163 bosnischen Flüchtlinge, die noch in Berlin leben, von den neuen Regelungen profitieren. Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John (CDU), rechnet sehr optimistisch damit, dass etwa 2.000 Bosnier auf diese Weise zu einer Aufenthaltsbefugnis kommen werden. Die Senatsverwaltung indessen ist nach wie vor daran interessiert, dass möglichst viele Bosnier zurückkehren. Seit 1998 gibt es dafür unterschiedlich hohe Prämien - derzeit maximal 6000 Mark pro Familie als "Starthilfe".
Die tägliche Furcht vor der Abschiebung
Elisabeth Reese - sie betreut in der Asylberatungsstelle von "Asyl in der Kirche" bosnische Flüchtlinge - äußert sich dazu skeptisch: "Das Geld ist schnell aufgebraucht, und mehr lässt sich dann meist nicht beschaffen." Sie kennt viele Bosnier, vor allem bosnische Roma, die vergeblich versucht haben, sich in ihrer alten Heimat wieder einzurichten und dann verzweifelt zurück nach Deutschland kamen oder versuchten, in andere Staaten, etwa in die USA, zu emigrieren. Für diejenigen, die beispielsweise in Schweden oder Dänemark Aufnahme gefunden hatten, stellte sich die Rückkehrfrage ohnehin nicht. Diese Länder haben inzwischen, anders als Deutschland, allgemeine Regelungen für das Bleiberecht der bosnischen Flüchtlinge getroffen.
Viele Bosnier in Berlin befürchten täglich, abgeschoben zu werden, auch wenn es Massenabschiebungen seit Beginn der Rückkehrprogramme nicht mehr gegeben hat. Elisabeth Reese weist aber darauf hin, dass es allerdings immer wieder zu Einzelabschiebungen von Bosniern kommt: in den vergangenen drei Jahren immerhin 893.
"Es ist absolut verantwortungslos, in der jetzigen Situation Leute abzuschieben", sagt Bundestagsvizepräsidentin Petra Bläss (PDS), die mit einer fraktionsübergreifenden Delegation des Bundestages im Mai Bosnien-Herzegowina besucht hat. Sie zeichnet ein düsteres Bild. Gesundheitssystem und Infrastruktur seien nach wie vor völlig unzulänglich, die Arbeitslosenrate liege bei etwa 50 Prozent. Viele Binnenflüchtlinge lebten noch immer in provisorischen Unterkünften, und an eine angemessene Betreuung traumatisierter Menschen sei nicht zu denken. Und wie amnesty international im eben erschienenen Jahresbericht 2001 betont auch Bläss, dass von Rechtssicherheit, vor allem für regionale Minderheiten oder für Roma, nicht gesprochen werden könne. "Es ist da unten kein Frieden."
Auch die jugendlichen Bosnienflüchtlinge in Berlin berichten, wie bedrückend - "krankmachend", sagt einer - es für sie sei, immer wieder zu erleben, dass Bewohner ihres Flüchtlingsheims abgeschoben werden. Viele von ihnen können sich kaum an Bosnien erinnern, weil sie zu jung waren, als der Krieg begann. Für andere ist die Erinnerung an Krieg und Flucht so quälend, dass sie nicht daran denken wollen. Fast niemand kann sich vorstellen, nach Bosnien zurückzukehren. "Sie sehen im eigenen Land keine Lebensperspektiven", berichtet Nele Kleyer-Zey, die sich im Rahmen eines Forschungsprojektes bosnische Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren interviewt hat. Jugendliche, die schon in Bosnien zur Schule gegangen sind, stellen ihre Schulzeit dort oft viel negativer dar als die in Berlin, obwohl sie alle hier schlechte Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzungen gemacht haben. Vor allem junge Roma beurteilen ihre Lage in Berlin viel günstiger als ihre Aussichten in Bosnien. Unter der unsicheren Situation leiden sie jedoch alle, und das drückt sich auch in körperlichen Erkrankungen aus.
Die Süssmuth-Kommission betont, wie sehr Deutschland auf Einwanderung angewiesen ist. In erster Linie sollen das qualifizierte Fachkräfte sein, die keinen Ausbildungsaufwand mehr erfordern. Doch die Kommission hat auch vorgeschlagen, 10.000 junge Einwanderer hier zu qualifizieren. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis junge Bosnier auf der Suche nach einer Lehrstelle nicht mehr sagen müssen: "Bevor wir was kriegen, kriegen alle andern was."
*Name geändert
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