Das Ende eines Buches ist mindestens so wichtig wie sein Anfang. Hier entscheidet sich, wie der Leser aus der Lektüre herauskommt. Im besten Falle läuft das, wovon das Buch handelt, direkt auf den Schluss hin, enthält er den Kern. Wer eine aufrüttelnde Aussage mit seinem Text bezweckt, der sollte um so mehr Sorgfalt darauf verwenden, das richtige Ende zu finden.
Und so ist es schade, wenn ein gutes Buch wie das des Physikers Karl Lanius über das Klima und uns Menschen mit einem Zitat Karl Poppers endet. Einem Zitat, in dem der 1994 gestorbene britische Soziologe und Philosoph, bekannt als Vater des „kritischen Rationalismus“, von der „Offenheit der Zukunft“ spricht, davon, dass wir sie nicht vorhersagen könnten. Das aber ist relativ bana
lativ banal und würde nicht einmal ein Zitat erfordern. Außerdem ist die Zukunft gerade des Klimas gar nicht so offen, wie Lanius durch die Vorstellung diverser Prognosen zuvor gezeigt hat.Durch Popper als Gewährsmann am Schluss bekommt das Buch von des Wissenschaftlers Lanius eine Schlagseite, die vermeidbar gewesen wäre und den Rezensenten kurz innehalten lässt, bevor er sich mit den wirklich wichtigen Aussagen des Buches beschäftigt. Denn man kann zu Karl Popper vieles sagen, nicht aber, dass dieser liberale Philosoph des Marktes eine radikale gesellschaftliche Veränderung befürwortet hätte.Historische KlimaänderungenGenau um eine solche geht es aber Lanius. Genau eine solche ist absolut notwendig, folgt man dem Autor in seiner Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Umweltzerstörung, die er als Zerstörung der Menschlichkeit interpretiert und letztlich der möglichen Zerstörung des Lebens auf unserem Planten durch die Menschen selbst.Das kleine Büchlein ist eine fulminante Zusammenfassung der Geschichte des Klimas der Erde, die der 1927 geborene Kernphysiker, zu DDR-Zeiten Professor an der Berliner Humboldt-Universität, Ende der achtziger Jahre zeitweilig Gastwissenschaftler am CERN in Genf, gekonnt mit der Geschichte des Lebens und der Menschheit verschränkt.Lanius hält sich dabei an die aktuelle Forschung, nicht ohne die Naturwissenschaft – aber auch die Menschheit insgesamt – auf ihre Verantwortung hinzuweisen. Dabei gelingt es ihm, die Hintergründe der aktuellen, aber auch der historischen Klimaveränderungen klar und übersichtlich darzustellen.Dass er sich nicht nur auf den anthropogenen Wandel stützt, ist eine kluge Entscheidung. Denn die verschiedenen historischen Beispiele natürlicher Klimaveränderungen zeigen zum einen auf, welche Dimension die derzeitige Situation hat – so dramatisch und schnell änderte sich das Klima in der Geschichte noch nie. Zum anderen gelingt es Lanius aber auch, durch gut ausgewählte Beispiele die Folgen der Klimaveränderungen auf menschliche Gesellschaften aufzuzeigen.So beschreibt er am Fall von Catal Hüyük im anatolischen Hochland die Folgen eines „Klimaschocks“. In der Jungsteinzeit vor 9.000 Jahren hatte die Siedlung bereits 10.000 Einwohner. Denn die Koya-Ebene 900 Meter über dem Meeresspiegel, heute fast baumlos, war zu dieser Zeit eine wasserreiche offene Waldlandschaft, in der Herden von Wildschweinen, Rothirschen und Auerochsen lebten. Außerdem ermöglichte der Çarsamba-Fluss nicht nur den Anbau von Weizen, Erbsen und Gerste, sondern er lieferte auch Lehm für die Häuser.Vor 8.200 Jahren kam dann der Klimaschock. Eine lange Trockenheit setzte ein, die Bewohner verließen die Stadt und gingen ins Tiefland, unter anderem an die Ufer des Schwarzen Meeres, zu dieser Zeit ein Süßwassersee. 700 Jahre später kam das Mittelmeer zurück und dessen Salzwasser ergoss sich in das Schwarze Meer.MythenbildungZu Spitzenzeiten stieg nun der Meeresspiegel um 15 Zentimeter. Am Tag. Die Menschen flohen in Richtung des heutigen Bulgarien, der Ägäis und Westeuropa, wo sie die dort lebenden Sammler- und Jägervölker verdrängten. Andere wiederum gelangten nach Mesopotamien. Dort entstand, zitiert Lanius die US-amerikanischen Marinegeologen Pitman und Ryan, der Mythos der biblischen Sintflut.Auch den weitgehenden Untergang der Maya-Kultur im südlichen Tiefland Mittelamerikas oder das Aussterben der Nordmänner in Grönland leitet Lanius von der Klimaveränderung ab. Die Gesellschaften sind nicht mehr in der Lage, ihre Ernährungsgrundlage sicherzustellen und reagieren statt mit neuen Produktionstechniken oder Migration mit dem Ausbau des religiösen Herrschaftsapparates und mit Mythenbildung.Die Beschäftigung mit stagnierenden und progressiven Gesellschaftsformationen ohne formationstheoretische Scheuklappen hätte tiefschürfender sein können. Doch darum geht es Lanius nicht. Er kann von seiner Position aus schlüssig den Zusammenhang von Klima- und Gesellschaftsveränderung darstellen.Die heutige KatastropheDie historischen Beispiele sind aber nur ein Vorspiel zur Beschreibung der heutigen Klimakatastrophe. Dafür, dass man die derzeitige Situation so bezeichnen muss, liefert Lanius schlüssige Belege. Er kritisiert: „Keine der Projektionen des Weltklimarats berücksichtigt, dass eine mehr oder weniger stetige Erwärmung zu einer kritischen Schwelle, einem tipping point, führen kann, einem Punkt, an dem der lineare Wandel unterbrochen und eine abrupte Veränderung eintreten wird.“ Gerade weil das hochkomplexe Klimasystem sich aus einem Jahrtausende währenden Gleichgewichtszustand entferne, wachse die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Umschlagpunkt zu erreichen, nach dem eine Umkehr nicht mehr möglich ist. Die Menschheit habe bislang immer reagieren können, wenn sich das Klima änderte. Nie aber aber gab es so wenig Freiräume dafür wie heute.Lanius Darstellung der verschiedenen Ursachen für den Klimawandel und seiner Folgen machen klar, dass die Zweifler an der Katastrophe auf dem Holzweg sind. Sie zweifeln ganz im Popperschen Sinne an den Vorhersagen, da man schließlich nicht in die Zukunft schauen könne. Streng genommen ist das richtig. Aber es ist auch richtig, dass die Katastrophe gegenwärtig ist, und sie noch viel schlimmer werden wird, wenn die Menschheit nicht endlich etwas unternimmt.Allein der Blick auf die Arktis, wo das Grönlandeis rapide zurück geht, macht das deutlich. 179 Gigatonnen Eis schmelzen jährlich. Weniger Eis bedeutet übrigens auch, darauf weist Lanius zurecht auch hin, dass wiederum die globale Temperatur steigt. Ein Teufelskreis. Aus dem sich die Menschheit nur befreien kann, wenn sie radikal gegensteuert. Mit besserer Wärmedämmung, Energiesparlampen, Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene oder dem Ausbau erneuerbarer Energien ist es nicht getan. Produktionsmethoden und Konsumgewohnheiten müssen im Kern in Frage gestellt werden, stellt Lanius fest. Richtig. Das Dogma vom unaufhaltsamen Wirtschaftswachstum ist an eine Grenze gestoßen. Natürlich.Gerade deswegen ist es äußerst „fraglich“, dass ein verbindlicher und sinnvoller Vertrag beim Weltklimagipfel in Kopenhagen verhandelt wird. Denn wer trifft sich dort? Diejenigen, die den Klimawandel zu verantworten haben, der gerade die Grundlage zur nachhaltigen Zerstörung des natürlichen Gleichgewichts gelegt hat. Kann man erwarten, dass die Wesentliches ändern werden? Bei Lanius wird dies insbesondere in seiner abschließenden sozioökonomischen Bestandsaufnahme deutlich, auch wenn er nicht immer ganz eindeutig ist, gerade was die gesellschaftlichen Grundlagen der heutigen weltweiten Versündigung gegen die Umwelt angeht.Es sei ihm verziehen, denn mit seinem Buch liefert er eine Diskussionsgrundlage, die wichtig ist und viele Zusammenhänge erklärt. Dass er zum kritischen Weiterdenken anregt, auch zur Kritik an seinen an einigen Stellen zu positivistischen Positionen, schadet nicht. Denn wer wirklich etwas gegen den Klimawandel tun will, muss radikal selbst denken und den ideologischen Umarmungsversuchen der angeblichen Klimaschützer im Regierungsamt mit äußerster Skepsis begegnen.
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