Die Luft steht, das Kölsch fließt in Strömen. Der Saal im Anbau des Kölner Rathauses ist so voll, dass die Kellner nicht mehr durchkommen: Vier Parteien feiern den Sieg der neuen Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Es ist ein ungewohntes Bild: Seite an Seite trinken Grüne mit Christdemokraten, Liberalen und den Freien Wählern auf den Sieg des neuen Stadtoberhauptes, dessen Kandidatur sie gemeinsam unterstützt hatten. Doch die neue Oberbürgermeisterin ist nicht hier. Denn Henriette Reker liegt an diesem Sonntagabend im künstlichen Koma. Ein 44-jähriger Mann hatte die OB-Kandidatin am Samstagmorgen niedergestochen. Der Attentäter wollte jene Frau töten, die als Sozialdezernentin bislang für die Unterbringung der Flüchtlinge in Köln zuständig war.
Das Attentat ist auch ein Anschlag auf die Flüchtlingspolitik Henriette Rekers – und die von Angela Merkel. Beide fahren einen ganz ähnlichen Kurs. „Ich spreche im Zusammenhang mit Flüchtlingen nicht von Zwangsmaßnahmen und Belastungen, sondern lieber von Potenzialen und Chancen“, hatte Reker in der Woche vor der Wahl noch geschrieben. Kölns CDU hatte diese Politik unterstützt. Nach dem Anschlag steht die Partei in NRWs größter Stadt umso mehr dahinter. Kritik von rechts an Merkel? In der Kölner CDU findet man sie an diesem Wahlabend nicht.
Auch von dem CDU-Bundesvize und NRW-Vorsitzenden Armin Laschet sind keine kritischen Töne zu hören: „Weder kann man innerhalb der EU mit Mauern und Zäunen Länder abriegeln, noch wollen die Menschen das. Wir wollen nicht nach Salzburg reisen, als würden wir in ein verfeindetes Land fahren. Deshalb ist Angela Merkels Politik richtig“, sagt er im Hof des Rathauses während der Wahlparty.
Hilferuf aus der Provinz
Doch der Eindruck täuscht: An der CDUBasis rumort es – überall in der Republik. Beim Besuch im sächsischen Schkeuditz wurde die Kanzlerin mit einem Plakat begrüßt: „Merkel entthronen“. In Wortmeldungen wurde gefordert, sie solle endlich „die Grenzen dichtmachen“. Dagegen war die Kritik in der CDU Nordrhein-Westfalens, dem mitgliederstärksten Landesverband, bei Merkels Besuch in Wuppertal Anfang Oktober zwar leiser. Doch auch hier warfen einige Kommunalpolitiker Fragen auf, woher die Aufnahmekapazitäten der Kommunen kommen sollten.
Tatsächlich bröckelt in NRW die Unterstützung der Basis. Der CDU-Oberbürgermeister Aschebergs, Bert Risthaus, war der Erste in dem Bundesland, der öffentlichkeitswirksam von einem Ende der Kapazitäten in seiner Gemeinde sprach. „Sie fragen mich, was ich zu ‚Wir schaffen das‘ sage? Die Antwort lautet: Nein. Wir schaffen das nicht“, sagt er. In einer Überlastungsanzeige, die er am 7. Oktober an die zuständige Bezirksregierung Arnsberg stellte, schrieb er: „Sollten mir weiterhin Menschen zugewiesen werden, ohne dass ich zuvor erklärt habe, eine Unterkunft bereitstellen zu können, müssen Sie damit rechnen, dass ich die Aufnahme verweigere und Ihnen die Personen zwecks Vermeidung von Obdachlosigkeit zurückschicken werde.“ Seine Gemeinde umfasst 14.000 Einwohner, bisher sind 262 Flüchtlinge dort untergebracht. In ganz NRW sind laut Innenministerium über 62.000 Plätze in den Aufnahme-Einrichtungen belegt. Seit Anfang des Jahres wurden hier im Bundesvergleich die meisten Asylanträge gestellt: NRW liegt mit 53.475 Anträgen vor Bayern (45.867).
Bürgermeister Risthaus betont, seine Anzeige habe nichts damit zu tun gehabt, nicht mehr zu wollen. „Es geht um das Nichtmehrkönnen. Man kann nicht immer wieder einer Kommune neue Leute vor die Nase setzen, ohne zu prüfen, ob sie überhaupt noch Obdach bieten kann. Wir haben keine Häuser mehr.“ Die Bezirksregierung habe bisher nicht reagiert. Merkels Position sei nicht haltbar. Deshalb rechnet der CDU-Politiker fest damit, dass die Kanzlerin bald ihren Kurs ändert und eine Obergrenze für Zuwanderung fordern wird. „Man wird in Berlin gar nicht weghören können. Das werden die Bürger auch bald schon sehr deutlich sagen.“
In einem schriftlichen „Hilferuf“ wandten sich auch fünf Landräte aus Südwestfalen Anfang Oktober gemeinsam an Angela Merkel. „Wir stellen fest: Unsere Kapazitäten sind erschöpft, wir sind längst an unsere Leistungsgrenze gestoßen“, schrieben die Landräte von Soest, Hochsauerland, Märkischem Kreis und Olpe (alle CDU) sowie Siegen-Wittgenstein (SPD). „Die gegenwärtige Situation von faktisch offenen Grenzen überfordert unsere Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft“, heißt es weiter. Die Sorge sei groß, dass „eine ungebremste Fortsetzung des ungeordneten und ungesteuerten Flüchtlingszustroms den inneren Frieden unseres Landes“ gefährde.
„Es darf nicht nur die Botschaft in die Welt gesendet werden ‚Wir schaffen das‘. Es muss genauso klar zum Ausdruck gebracht werden, dass unsere Aufnahmekapazitäten und Möglichkeiten begrenzt sind“, schließen die Politiker. Reaktionen darauf kamen bisher nur von der Landesebene, an die ebenfalls ein schriftlicher Hilferuf verfasst wurde.
Indes mahnt der Vorsitzende der Senioren-Union in Nordrhein-Westfalen, Leonhard Kuckart, die Überfremdungsangst älterer Mitglieder ernst zu nehmen. „Die älteren Leute haben Angst, ihre Heimat zu verlieren, sie haben Angst vor jeder Art der Veränderung“, so Kuckart. Er wünscht sich von Merkel, sie solle zugeben, die Folgen ihrer Politik nicht ganz überblickt zu haben.
Einen Einwand hört man an der CDU-Basis, ob Merkel-kritisch oder nicht, immer wieder: „Es gibt keine Alternative zu Merkel.“ Flüchtlingspolitik ohne die Kanzlerin scheint hier jenseits des Vorstellbaren. Ihre Ablösung mag in der CDU zwischen Rhein und Ruhr deshalb bisher niemand öffentlich fordern.
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