Der „Mäusebunker“ soll Endedes Jahres abgerissen werden. Jahrzehntelang hatten Westberliner Studenten immer mal wieder davor demonstriert und die Schließung dieses schon von außen schrecklichen FU-Gebäudes mit den Versuchstier-Laboratorien und -Käfigen im Inneren gefordert. Inzwischen gehört die Einrichtung der Charité, die dort in Steglitz einen neuen Campus errichten will.
Inzwischen gibt es aber auch eine Kampagne „Rettet den Mäusebunker“, initiiert vom Architekten Arno Brandlhuber und dem Galeristen Johann König, die dieses „Schlüsselwerk des Brutalismus“ aus dem Jahr 1971 erhalten wollen. Auf einer Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums wurde der Mäusebunker als „wohl unheimlichster Bau der deutschen Nachkriegsgeschichte“ gewürdigt, er passe in die Frontstadt Westberlin, wo es den Architekten zufiel, die wahren Bollwerke gegen den Osten zu errichten ...
Valium für Fische
Ob man den Mäusebunker nun erhält oder nicht, der Skandal geht sowieso weiter: Obwohl die Tierschützer inzwischen auf öffentlichen Bussen „Tierversuchsfrei forschen!“ fordern (am Computer, das sei billiger und besser), nehmen die Tierversuche in der privaten und öffentlichen Forschung zu. Deswegen wird der Mäusebunker, in dem mit Säugetieren in allen Größenordnungen geforscht wurde, nicht geschlossen, sondern nur an den Stadtrand verlegt: Es entstehen zwei neue, schönere „Mäusebunker“ in Berlin-Buch. In einem lässt die Charité an Tieren forschen, im anderen das Max-Delbrück-Centrum.
2017 wurde in Berlin mit 222.424 Labortieren experimentiert, die in der Mehrheit dabei oder danach starben. So wird am schönen Müggelsee an Fischen geforscht – im Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Es sind unter anderem kleine Zebrafische, die „Laborratten“ unter den Fischen, die man praktischerweise genetisch so verändert hat für die Forschung, dass sie durchsichtig sind. Alles Menschenmögliche wird an ihnen erforscht. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie untersuchten zum Beispiel genetisch veränderte Zebrafische mit einem Cortisolmangel, dabei diagnostizierten sie Anzeichen einer Depression. Als sie Medikamente gegen Angstzustände – Valium und Prozac – ins Wasser gaben, „normalisierte sich ihr Verhalten“.
Bei Fischen dachte man lange Zeit „no brain – no pain“, kein Zweifel, die Säugetiere stehen uns irgendwie näher. Aber helfen sie uns auch weiter? Der Verein Ärzte gegen Tierversuche ist jedenfalls der Meinung, dass „die künstlich krank gemachten Tiere in den Labors ... nicht vergleichbar mit der komplexen Situation beim Menschen (sind). Dadurch sind die Tierversuchsergebnisse nicht übertragbar.“ Der Verein protestiert denn auch gegen die zwei Neubauten für Labore in Berlin-Buch, zumal es dort mit dem Delbrück-Centrum bereits „eines der größten Tierversuchslabors in Deutschland“ gibt: Mit dem Neubau sollen nun die Haltungskapazitäten für rund 74.000 Mäuse ausgebaut werden, unter anderem für genetisch veränderte „Knock-out-Mäuse“. 2010 gelang es den Forschern des Centrums, auch „Knock-out-Ratten“ herzustellen. Diese Ratten „sind zur Klärung bestimmter physiologischer Fragestellungen und wegen ihrer Größe oftmals besser als Mäuse geeignet, etwa im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, heißt es auf wissenschaft.de.
Bei einer Projektdauer von fünf Jahren werden im bisherigen Max-Delbrück-Centrum „durchschnittlich 105.403 Tiere pro Jahr ‚verbraucht‘, davon ca. 90.000 Mäuse“. Im Neubau der Charité „sind Haltungskapazitäten für 40.000 Tiere vorgesehen. Der Trend zu immer mehr Tierversuchen ist fatal“, schreiben die Ärzte unter den Tierversuchsgegnern, die zusammen mit dem altehrwürdigen „Bund gegen Missbrauch der Tiere“ ein „Bündnis Berlin gegen Tierversuche“ gegründet haben. Das scheint auch nötig, denn inzwischen gibt es sage und schreibe 99 Tierversuchslabore in Berlin, die gewissenlose junge Menschen aus aller Welt anziehen. Das Bündnis fordert, schon gegen die Planung von Tierversuchen gerichtlich vorgehen zu können.
In ihrem Roman Reise in den siebenten Himmel (2003) porträtierte die russische Schriftstellerin und Genetikerin Ljudmila Ulitzkaja die angehende Biologin Tanja Kukotski, Tochter eines berühmten Mediziners. Sie begann ihr erstes Praktikum in einem Moskauer Gehirnforschungslabor. Eine Assistentin leitete sie an: „ ‚Meine kleinen Ratten‘, gurrte die Assistentin, nahm mit zwei Fingern ein Rattenbaby, streichelte das schmale Rückgrat und trennte mit einer Schere sauber und präzise den Kopf ab. Den Körper, der leicht zusammengezuckt war, warf sie in eine Schale, das Köpfchen legte sie liebevoll auf den Objektträger. Danach sah sie Tanja prüfend an und fragte mit einem sonderbaren Anflug von Stolz: ‚Na, schaffst du das auch?‘ – ‚Ja‘, sagte Tanja.“ Aber nach zwei Jahren bat sie ihren Vater um ein Gespräch. Sie wollte nicht länger. Der Vater führte sogleich ins Feld, dass es um „eine Hierarchie der Werte“ gehe und da stehe das Menschenleben eben „ganz an der Spitze“.
Er verstehe sie nicht, klagte seine Tochter, sie steche am laufenden Band Ratten ab, und auf dem Weg zu irgendeiner „Erkenntnis“ sei es nun so, „dass ich den Unterschied zwischen einem Ratten- und einem Menschenleben nicht mehr sehe. Ich will nicht länger ein gutes Mädchen sein, das Ratten absticht.“ Ihr Vater sah sie ratlos an. „Ich will ein schlechtes Mädchen sein, das niemanden absticht.“
Die vielen guten Jungs und Mädchen dagegen sehen auf ihrem Weg der Erkenntnis wunderbarerweise einen immer größer werdenden Unterschied zwischen einem Ratten- und einem Menschenleben. Aber wem sage ich das? Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin? Wer glaubt, dass Kopfarbeiter sensibler, moralischer als Handarbeiter sind („Erst kommt das Fressen, dann die Moral“), der sollte die Erfahrung des Harvard-Psychologen Ralph Metzner, wie er sie in Der Brunnen der Erinnerung (2012) erzählte, zur Kenntnis nehmen: „Ich rief sogar professionelle Kammerjäger zur Hilfe. Als ich ihnen erzählte, die Ratten, die getötet werden sollten, befänden sich in Käfigen, weigerten sie sich, sich darum zu kümmern. So etwas machen wir nicht, sagten sie.“
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