Die Spur führt nach Weikersheim

Der Oettinger-Skandal Die Tuchfühlung der Ministerpräsidenten mit einer deutsch-nationalen Ideologieschmiede erklärt manches

In der Diskussionsrunde des Senders Phoenix am 19. April erklärte der Präsident des Studienzentrums Weikersheim (SZW), Michael Friedmann, zur Oettinger-Affäre: Nun könne man doch wieder gelassen zur Tagesordnung übergehen.

Man kennt dieses Losungswort, das nach fast jedem mit einem Dementi oder Widerruf endenden politischen Skandal auftaucht. Oettinger hat kurz vor dem Absturz aus dem Sessel des Ministerpräsidenten die Notbremse gezogen. Also alles in Ordnung? Wohl kaum, bleibt doch die Frage ungeklärt: Stand hinter dem Entwurf der Traueransprache für Hans Filbinger nur bloße Unkenntnis der NS-Justizgeschichte oder mehr?

Einen Hinweis liefert der Name des von Oettinger für den Anspracheentwurf gewählten Redenschreibers, ein Mann namens Michael Grimminger, der bereits 2002 noch unter Oettingers Vorgänger Erwin Teufel zum engeren Kreis des Stuttgarter Staatsministeriums gestoßen ist. Grimminger galt als politischer Ziehsohn von Günter Rohrmoser, dem früheren Vizepräsidenten und Chefideologen des ominösen SZW, einer konservativen, deutsch-nationalen Denkfabrik. Für den Stuttgarter SPD-Landtagsabgeordneten Stephan Braun ist das SZW gar ein "institutionelles Scharnier zwischen demokratisch-konservativen Eliten und Netzwerken der extremen Rechten", was der Verfassungsschutz Baden-Württembergs durchaus ähnlich sieht. Ob es zutrifft, sei dahingestellt - auf jeden Fall wurde das SZW von Hans Filbinger nach seinem erzwungenen Rücktritt im Jahr 1978 mit erheblichen Spenden aus der Industrie gegründet - eine "Antwort auf die so genannte Kulturrevolution der sechziger Jahre", wie es hieß, und damit zur Förderung rückwärtsgewandten Denkens.

Als Ideologiezentrum gedacht, sollte das SWZ der CDU Konturen einer "christlich-national-konservativen" Partei verschaffen, wozu man - nach eigenen Worten - den Kampf gegen den "Ausverkauf der Deutschen Nation", gegen Werteverfall und gegen eine Selbstbezichtigungskultur in einem "durch Umerziehung und Selbstzweifel geschwächten Deutschland" vorantrieb. Ganz im Sinne Filbingers traten Referenten wie Professor Hans-Hellmuth Knütter auf, der die berühmte Weizsäcker-Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes als eine der "widerwärtigsten Begleiterscheinungen des Jahres 1985" beschimpft hatte. Schlüsselfigur des SZW aber blieb Günter Rohrmoser, den Ministerpräsident Filbinger 1976 zum Ordinarius für Sozialphilosophie an der Universität Stuttgart-Hohenheim avancieren ließ, wofür eigens ein neuer Lehrstuhl geschaffen wurde. Zum engeren Kreis der Weikersheimer gehört allerdings auch einer, der Oettinger und dem SZW gerade öffentlich zur Seite sprang und dabei verschwieg, dass er als SZW-Vizepräsident selbst Betroffener ist: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm.

Fiel Oettinger die Abkehr von seiner Trauerrede deshalb so schwer, weil er sich mit den rechtskonservativen Kreisen um Rohrmoser unlösbar verbunden fühlt? Fürchtete er den Unwillen dieses Lagers? In der Debatte bei Phoenix erklärte Friedmann dies alles zum Schnee von gestern. Referenten des SZW aus dem rechtskonservativen Spektrum? Längst vorbei! Nur warum standen dann zwei Tagungen der Nachwuchsorganisation "Jung Weikersheim" bevor, die eine mit Martin Hohmann, des wegen einer als antisemitisch eingestuften Rede aus der CDU ausgeschlossenen früheren Bundestagsabgeordneten, die andere mit Brigadegeneral Reinhard Günzel, der wegen seines begeisterten Lobs auf Hohmann aus der Bundeswehr entlassen wurde? Immerhin sind beide bekennende Vertreter der "Neuen Rechten". Dabei hatte doch gerade erst Günther Oettinger dem Zentralrat der Juden versichert, das SZW sei über jeden Verdacht erhaben.

Friedmann musste immerhin einräumen: Bereits 2006 hatte "Jung Weikersheim" unter Beteiligung unter anderem der "Deutsche Partei/Die Freiheitlichen" Reinhard Günzel als Vortragenden eingeladen, passender Weise zum 20. April 2007, Hitlers Geburtstag. Wie von Geisterhand gelöscht war nun plötzlich diese Tagungsankündigung nebst Anmeldeformular auf der Internet-Seite des SZW, nachdem die Querverbindung zwischen der Oettinger-Rede und Weikersheim ruchbar wurde. Eine für August geplante Tagung des SZW mit Martin Hohmann (Thema: "Erfahrungsberichte aus 20 Jahren Realpolitik") haben die Verantwortlichen des SZW bislang freilich nicht gestoppt.

Thomas Strobl, Generalsekretär der Baden-Württembergischen CDU, hatte den Kritikern Oettingers entgegengehalten, eine politische Rede sei "kein historisches Seminar" - geschichtliche Aufarbeitung gehöre nicht zu den Aufgaben von Ministerpräsidenten. Wie wahr! Dank ihres Bildungsstandes sind nämlich nur wenige Politiker dafür qualifiziert. Es bleibt bestenfalls bei Lippenbekenntnissen in Sonntagsreden und wohlfeilen Schlagworten vom "Lernen aus der Geschichte". Dabei bieten gerade Juristen wie Hans Filbinger einen hervorragenden Anschauungsunterricht für die Gefährlichkeit weltanschaulicher Fanatiker, aber auch von Opportunisten und Karrieristen, die sich ohne jede Gewissensnot von der Politik instrumentalisieren lassen.

Bis heute gibt es neben wenigen kleinen Ausstellungen in lokalen Gedenkstätten in Deutshcland nicht einmal ein zentrales Dokumentationszentrum zur NS-Justiz. Und was geschichtliche Aufklärung angeht, haben die meisten Bundesländer mit Ausnahme von NRW entsprechende Tagungen schon vor Jahren wieder abgeschafft. In Niedersachsen war das übrigens ein in der damaligen Landeszentrale für politische Bildung dafür verantwortlicher Beamter, der sich nach dem Scheitern einer Unterlassungsklage seitdem als "bekennender Vertreter der Neuen Rechten" bezeichnen lassen muss.

Der Autor ist Richter a.D. und langjähriger Vorsitzender des "Forums Justizgeschichte".


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