Vor einer riesigen Schiefertafel ist ein Mann zu sehen, wie er Buchstaben zeichnet. Nicht bloß mit einer Hand, sondern mit beiden Händen und Füßen zugleich. Das Resultat lässt nur krakelige Schriftzeichen erkennen. Trotz Trainings, erklärt der schwedische Künstler Lars Siltberg, sei es ihm lediglich gelungen, einzelne Buchstaben aneinander zu reihen, keine ganzen Wörter. Unter der Konzentration auf sinnvolle Wörter habe seine Motorik gelitten.
Mit der Ambidextrous Performance rekurriert Siltberg auf den amerikanischen Artisten Harry Kahne, der in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als "Man with the multiple Mind" in amerikanischen Varietés aufgetreten ist und fehlerfrei mit Händen und Füßen und zusätzlich mit dem Mund schreiben konnte. In einem Interview, das Kahne dem Strand Magazin im Oktober 1925 gegeben hatte, erklärte er: "Es ist alles eine Frage von Übung und Praxis. Genauso wie ein Akrobat oder Jongleur seine Muskeln und Nerven trainiert, habe ich Hirnzellen trainiert, die der durchschnittliche Geistesarbeiter selten benutzt".
Lars Siltbergs Kunst hat mit Artistik auf dem Niveau von Wetten, dass...? oder phonetischem Rückwärtssprechen freilich nichts zu tun. Ihr Impetus liegt im Scheitern, in der Überforderung. Die Koordination von Händen und Füßen zu einem sinnvollen Ganzen zu bringen, ist Siltberg offenbar nicht gelungen. Ist damit das Thema Multitasking vom Tisch, ein Mythos? Zumindest die Berliner Kunstausstellung Multitasking. Synchronität als kulturelle Praxis in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst hält daran fest, dass Multitasking "eine der zentralen kulturellen Praktiken unserer Zeit" sei, seine Existenz sei "unbestritten".
Gezeigt werden in der Ausstellung vor allem Arbeiten, denen die Überforderung anzumerken ist. In der Video-Installation Projektzeit haben die Künstler Bernadette Klausberger, Jana Krause und Hannah Stracke zwei Schauspieler gebeten, Texte aus dem Alltag von Projektmanagern, die sie über Kopfhörer vorgelesen bekommen, simultan wiederzugeben. Der Betrachter, selbst einen Kopfhörer tragend, sieht den Schauspielern bei der Anstrengung zu, wie sie, mit Schweißperlen auf der Stirn, den Sermon der Projektleute wiederholen. Offenbar ist das nicht ganz einfach. In Stefan Panhans Video Sieben bis zehn Millionen ist ein junger Mann zu sehen, der frontal in die Kamera blickt und mit wahnwitzigem Sprechtempo seine Gedanken beim Kauf einer Digitalkamera rekapituliert: "also, du stehst da drin rum und überall sind diese ganzen Dinger, ja, alle machen welche, es gibt kleinere und größere, teurere und billigere, neuere, ältere und silberne und schwarze und silbern und schwarz, und du musst es einfach checken, was abgeht, ja, niemand kann dir das abnehmen".
Der Wiedererkennungswert solcher Szenen ist hoch. Assoziationen zum gestressten Arbeitsalltag in Büros liegen nahe. Durchschnittlich vier Windows-Fenster hat ein PC-User geöffnet auf der Taskleiste liegen. Dazu läutet ständig das Telefon und Kollegen wollen Termine planen, die Deadline naht bedrohlich. "Now!" heißt es in der akustischen Installation Seriation II (Now) von Adrian Piper aus dem Jahre 1968. Zuerst sehr langsam und dann immer schneller hintereinander, schließlich stakkatohaft im Befehlston: "Now!". Und manch ein überarbeiteter Bürogeselle würde sich die Spamtrap von Bill Shackelford wünschen - eine Installation, bei der Spam-Mails automatisch ausgedruckt werden, dann im Schredder landen und einen schönen Papierschnipselberg hinterlassen.
Multitasking ist eine besonders mit der Arbeitswelt assoziierte Kategorie. Ist Synchronität nun aber ein Stresserlebnis oder tatsächlich eine neuartige Kulturtechnik? Es ließe sich noch grundsätzlicher an das Phänomen herangehen. Psychologen wie Ernst Pöppel bestreiten, dass es echtes Multitasking beim Menschen gibt. Die menschliche Wahrnehmung könne allenfalls in Aufmerksamkeitsspannen von drei Sekunden verschiedene Aufgaben bewältigen. Arbeitspsychologische Studien aus den USA haben bereits "die versteckten Kosten des Multitaskings" aufgedeckt, indem sie den Zeitverlust messen, der entsteht, wenn konstant zwischen zwei oder mehreren Aufgaben gewechselt wird. Mit Schäden fürs amerikanische Bruttosozialprodukt in Milliardenhöhe.
Ratgebermagazine halten ebenfalls nicht viel davon, und Krankenkassen wie die AOK warnen sogar vor gesundheitsschädlichen Konsequenzen: "Ursprünglich stammt der Begriff aus der Computerwelt - und dort sollte er auch bleiben". Doch selbst beim Computer ist Multitasking eher eine Schimäre. Erst die neuesten Prozessorgenerationen mit so genannter Dual-Core-Einheit ermöglichen tatsächlich zeitsynchrones Parallelarbeiten, das auf zwei Prozessoren verteilt wird. Vorher konnten PCs Aufgaben nur sukzessive bewältigen. Der Eindruck von Gleichzeitigkeit resultierte aus der Geschwindigkeit, mit der das vonstatten ging.
Multitasking ist ein "Buzzword", mit dem vor allem in der Werbung viel Wortgeklingel betrieben wird. Die Arbeit von Irène Hug stellt hierauf ab, wenn sie Fotos von Einkaufsstraßen voller bunter Werbeplakate und Schilder bearbeitet und deren Slogans verändert: "Die ganze Welt ist unsere Erfindung" heißt es da, oder "Und Sie, was machen Sie im Leben?" Wo vormals verführerische Signets um die Aufmerksamkeit des Konsumenten buhlten, ist dieser nun als Subjekt angesprochen, das Rede und Antwort stehen soll.
Die Berliner Ausstellungsmacher wollen die neue Gleichzeitigkeit des Handelns "als Metapher verstehen, um die aktuellen tief greifenden Veränderungen in Ökonomie, Medien und Gesellschaft zu beschreiben." Wer solchen Erfordernissen unterliegt, dem dürfte ein Mantra wie das von Peter Fischli und David Weiss allerdings kaum weiterhelfen. Die beiden Schweizer Künstler fanden in einem thailändischen Unternehmen einen schmucklosen Aushang, aus dem sie ein Readymade schufen. Der Titel: How to work better (Wie man besser arbeitet): "1. Mach eins nach dem anderen ... 5. Unterscheide Sinn von Unsinn ... 8. Sag es einfach ... 10. Lächle" (Auszug).
Multitasking. Synchronität als kulturelle Praxis. Noch bis 7. Oktober, täglich geöffnet von 12 bis 18.30 Uhr, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlin, Oranienstr. 25. Am 5. und 6. Oktober findet ein Symposium zum Thema statt.
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