Eigentlich ein frustrierender Gedanke: Es gibt Tausende von Programmen, die man nie zu Gesicht bekommt, weil sie im Ausland laufen, im Fernsehen fremder Länder. Würde nicht Arte seit zwei Jahren wöchentlich dort hinzappen, hätte man keine Ahnung, was im weltweiten Äther noch alles so kursiert. Bei Zapping International (samstags, Mittagszeit) kann man sich einen guten Überblick über das Fernsehprogramm anderer Nationen verschaffen und einen Einblick in deren Befindlichkeiten. Im Guten wie im Schlimmen.
Wer weiß schon, dass Staatspräsident Hugo Chávez im venezuelischen Fernsehen jeden Sonntag eine sechsstündige Live-Sendung mit dem Titel Hallo Präsident unterhalten hat, die den Charme eines offenen Kanals versprüht und in der er gerne ein Lied zur Gitarre anstimmt? Oder dass es in Italien eine nur von knapp bekleideten Frauen animierte Sportsendung gibt, in der die Tore von Schauspielern nachgestellt werden, weil dem Sender die teuren Sportrechte fehlen? In Kambodscha wiederum werden Fernsehnachrichten aus der Zeitung vorgelesen, und alle weiteren Informationen fließen an den Argusaugen des Informationsministeriums vorbei, welches sogar Stilberater beschäftigt, um Fernsehmoderatoren in Sachen schickliches Verhalten zu unterweisen.
Wie ein bunter Regenbogen spannt sich die weltweite Television bei Arte auf. "Tausende von Programmen und Millionen von Parabolantennen", wie es im Arte-Trailer heißt, warten auf die Zuschauer. Dabei gibt es eine Menge zu entdecken. In Schweden schlüpft Moderatorin Elin Ek in ein rosafarbenes Girlie-Kostüm, setzt ein unschuldiges Lächeln auf und bedrängt den Premierminister mit recht privaten Fragen. Im mexikanischen Frühstücksfernsehen stülpt sich der in Schwaben aufgewachsene Victor Trujillo eine Clownsmaske über und hält Politiker zum Narren. Die iranische Erfolgsserie Banui Degart zeigt einen von der Polygamie überforderten Mann, der nicht weiß, wie er es seinen beiden Ehefrauen recht machen soll.
Fernsehen, so zeigt sich bei Zapping International im globalen Vergleich, ist ein Spiegel der Gesellschaft, oftmals allerdings ein Zerrspiegel. Weniger liefert es ein akkurates Abbild sozialer Wirklichkeit als dass es die Extreme akzentuiert, geheime Wünsche wie unterdrückte Ängste. Da gruseln sich Russen wöchentlich in ihren Wohnstuben bei Kriminelles Russland ob der illegalen Machenschaften ihrer Landsleute. Überhaupt mögen es die Russen gerne krass: Die dortige Version von Versteckte Kamera ließ einmal einen Panzer ein Wendemanöver auf dem Auto einer berühmten Schauspielerin vollziehen. Hatte der Fahrer gar nicht bemerkt. In Cidade Alerta wiederum, einer Reality-Soap im brasilianischen Privatfernsehen, kooperieren Kamerateams mit der Polizei und mischen sich unter die gefährlichen, oft blutigen Bandenkriege, um möglichst nah am Geschehen zu sein - im Dienste maximaler Authentizität.
Manchmal ist das Fernsehen einen Schritt weiter als die Gesellschaft, in der es stattfindet, und folgt unbeirrt einem emanzipatorischen Auftrag. Selbst wenn der auf wenig Widerhall beim Zuschauer stößt. Sowohl in der Türkei als auch in Griechenland sind derzeit Familienserien en vogue, die die Anbandlung einer gemischten Romanze thematisieren (griechischer Titel: Mein Petros heißt Murat) und für äußerst kontroversen Diskussionsstoff sorgen. Während in der Fiktion nur die Liebe zählt, deuten Publikumsreaktionen auf tief verwurzelte religiöse Vorbehalte hin: die Menschen sind noch nicht so weit wie ihre Abbilder auf dem Schirm.
Es nimmt wenig wunder, dass die Arte-Fundstücke oftmals von einem ethnologischen Blick geprägt sind und von aufklärerischem Impetus. Noch beim Präsentieren von Format-Fernsehen wird auf kulturelle Differenzen abgehoben. Dass auch bei der libanesischen Version von Star Academy, die von Marokko bis Jordanien mehr als 25 Millionen Zuschauer zählt, nach eitlen Superstars gefahndet wird, ist für Zapping International weniger interessant als der beruhigende Verweis auf die Beibehaltung von islamischer Identität. Eine junge Zuschauerin erzählt, dass sie gerne am Star-Wettbewerb teilnehmen würde, wenn sie dabei nicht das Kopftuch abzunehmen hätte.
Solche Details verraten viel über die Gesellschaft und ihr Verhältnis zur Television. Dafür freilich muss man nicht bis in den Maghreb blicken. Das Unbekannte schlummert vor der eigenen Tür. In einer Sendung über das Fernsehen der Flamen kam die belgische Parallelgesellschaft zur Sprache, deren "linguistischer Korridor" sich bis in die Sendeanstalten fortpflanzt, wo links die flämischen Redaktionen hocken und rechts die wallonischen. Zumindest beim öffentlich-rechtlichen Sender RTBF, der im letzten Dezember in einer fingierten Sondersendung die Abspaltung Flanderns von der Wallonie verkündet hatte. Groß war die Aufregung (Die Grenze läuft durch meinen Garten). Erst nach einer halben Stunde wurde das Schild "Dies ist eine Fiktion" eingeblendet. Möglich gehalten hatten die Teilung sehr viele Zuschauer.
Okay, für solch einen televisionären Ausnahmefall, für den sich im deutschen Fernsehen sicherlich keine zwei Intendanten finden ließen, muss man nicht bei Arte reinschauen. Der Scoop war in allen Nachrichten und Tageszeitungen präsent. Gleichwohl ist der kursorische Blick in das Fernsehschaffen anderer Länder bei Zapping International stets interessant genug, um den Zuschauer nicht seinerseits weiterzappen zu lassen. Besonders wenn Sendungen vorgestellt werden, die im deutschen Fernsehen fehlen.
Zum Beispiel Les Bougon von Radio-Canada Télévision: Die reichlich schräge Unterschichtsfamilienserie, in der sich eine Mutter etwas Geld mit Telefonsex verdient und Sohnemann vorzugsweise im Tarzankostüm herumläuft, gibt es im französischsprachigen Fernsehen Kanadas schon eine ganze Weile. Warum nicht auch bei uns? Arte hatte bereits 2005 in einem Zapping-Spezial auf diese Ausnahme-Soap hingewiesen. Kann denn niemand die Serie buchen? Sie würde gut zum WDR passen oder zu RTL2, am Besten allerdings zu Arte selbst.
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