Hinter den Kulissen des Glücks

Im Kino François Ozon spürt in seinem Film "5 x 2" dem Warum einer Trennung nach, ohne die Frage nach der Schuld zu verfolgen

"Es ist einfach vorbei." Mit diesen Worten verschwindet Marion (Valeria Bruni-Tedeschi) aus ihrer Beziehung und dem Leben von Gilles (Stéphane Freiss) und schlägt die Hotelzimmertür hinter sich zu. Die beiden haben sich auseinander gelebt und die Scheidung eingereicht. Nach der nüchternen Trennungsprozedur auf dem Amt mieten sie sich in ein Hotel ein, um sich ein letztes Mal zu lieben. Ohne die Last der Vergangenheit. Mit der Gewissheit, frei zu sein. Quasi wie beim ersten Mal. Das geht gründlich schief, und es kommt, als Marion sich der ihr plötzlich absurd erscheinenden Situation entziehen will und Gilles darauf aggressiv reagiert, zu einer brutalen Vergewaltigung. Kurz darauf bittet Gilles sie mit Tränen in den Augen, es noch einmal mit ihm zu versuchen.

Warum geht eine Beziehung zu Ende? Worin liegt der Keim des Zerwürfnisses? Wann hat das Auseinanderleben begonnen? Retrospektiv, in fünf Episoden, geht der 36-jährige französische Regisseur François Ozon (Swimming Pool, 8 Frauen) diesen Fragen nach und folgt darin der Struktur des melancholischen Gedankens. Was war vorgefallen? Ein Abendessen mit Freunden, bei dem das Thema Treue fällt und das Vertrauen schwindet. Eine Schwangerschaft mit vorzeitiger Geburt, bei der der Vater fehlt und wohl auch sein Verständnis. Eine ausgelassene Hochzeit auf dem Lande, die in eine ungeziemende Affäre mündet und darin doch nur der Lust folgt. Und schließlich das Kennenlernen am Urlaubsstrand und die wunderbaren Momente, die jeder Anfang mit sich bringt. So oder so ähnlich haben alle Paarbeziehungen begonnen, so oder so ähnlich gehen sie zu Ende.

Durch den Kunstgriff, die Episoden rückwärts zu erzählen, bekommt 5 x 2 einen drive, der die Zwangsläufigkeit der Ereignisse, obschon sie nicht unabwendbar wären, festzuschreiben scheint. Als Zuschauer kann man nicht umhin, das aktuelle Geschehen ständig mit dem chronologisch Späteren, aber bereits Passiertem abzugleichen und Mutmaßungen über die Trennungsgründe anzustellen. Ein erwartetes Kardinalereignis bleibt indes aus. Vielmehr reihen sich kleine Unachtsamkeiten und Enttäuschungen zu einer Kette des Scheiterns aneinander. Die beiden wirklichen Fehltritte - Gilles´ Fernbleiben bei der Geburt des Sohnes und Marions Affäre in der Hochzeitsnacht (welche offen lässt, ob das Kind von Gilles stammt) - inszeniert Ozon betont beiläufig, um ihnen das Gewicht ihrer Ungeheuerlichkeit zu nehmen. Aber auch um seine Figuren nicht zu denunzieren und sie vor einer simplen Schuldzuweisung zu bewahren.

5 x 2 schließt mit einem Happy End, dem ersten Urlaubsflirt des Paares und ihrer beginnenden Schwärmerei. In der letzten Szene gehen Gilles und Marion, die sich soeben kennen gelernt haben, am Strand dem Sonnenuntergang entgegen ins Meer. Der gezielte Kitsch dieses Bildes wirft die Frage nach der Kehrseite der Postkartenidylle auf und bildet einen ideellen Rekurs auf den Filmbeginn, auf die Trennung, die so traurig nun nicht mehr erscheint. In einem Interview sagte François Ozon, dass ihn Glück nicht wirklich inspiriere, ohne den Blick hinter die Kulissen zu lenken, wo das Schicksal lauert und souffliert. In 5 x 2 gelingt ihm der Balanceakt, das Faustpfand der Liebe zu zeigen, ohne es der kalten Analyse zu opfern.

Das hängt mit den beiden Hauptdarstellern zusammen, die ihre Figuren in einer feinen Schwebe halten. Valeria Bruni-Tedeschi versteht es, Marion mit einer zerbrechlichen Offenheit auszustatten, deren Ursprung auf innerer Stärke gründet und deren Ausdruck eine überaus präsente Körperlichkeit ist. Stéphane Freiss´ Figur erweist sich, obwohl reichlich machistisch angelegt, dagegen als der schwächere Part. Gilles ist der inneren Unabhängigkeit seiner Frau nicht gewachsen, seine Grobheiten entlarven sich schnell als Mangel. Eigentümlicherweise kann man sich in beide Figuren einfühlen, ohne dass sie sonderlich über den Status von Charaktertypen hinauswüchsen. Der Film gibt keinerlei Aufschluss über das Vorleben der Figuren und weigert sich auch anzudeuten, was zwischen den Episoden, die einen Zeitraum von drei Jahren umfassen, weiter passiert sein könnte. Dennoch sind einem die Figuren vertraut.

Dass François Ozon stärker mit der Figur der Marion sympathisiert, der er mehr Raum zugesteht, erstaunt wenig angesichts seiner übrigen Filme, deren Thema weibliche Stärke ist. Ozon ist an den Optionen der Liebe und den Fährnissen des Zusammenlebens interessiert, die sich nur schwer in das Korsett einer bürgerlichen und männlich geprägten Lebensweise fügen. Das bringt er in einer wunderbaren Szene zum Ausdruck: Beim gemeinsamen Abendessen erzählt Gilles den beiden Gästen, seinem Bruder Christophe (Antoine Chappey) und dessen Lover Mathieu (Marc Ruchmann), von seiner Teilnahme an einer Orgie, die vor den Augen Marions stattgefunden hat. Das Geständnis geht über in eine Tanzszene zu Bobby Solos melancholischer Ballade Una lacrima del viso - einem von mehreren Italo-Schmachtfetzen aus den sechziger Jahren, die Ozon ausgegraben und den jeweiligen Episoden am Ende unterlegt hat. Versonnen tanzt Marion mit den beiden Gästen und schüttelt den schmerzhaften Ballast ab, den Gilles ihr durch seine Version der Ereignisse aufgebürdet hat.


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