Kleinster gemeinsamer Nenner

Medientagebuch Die Dritten im Porträt: Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)

Vom Berliner Volksmund, der bekanntlich nicht aufs Maul gefallen ist, weiß man, dass er allen Wahrzeichen der Stadt einen peinlichen Namen geben muss. "Telespargel" für den Fernsehturm am Alexanderplatz, "Gürteltier" für das Ludwig-Erhard-Haus und "Wasserklops" für den grottenhässlichen Brunnen vorm Europa-Center. Ein bisschen Provinz muss eben sein - auch dafür ist der Berliner bekannt und gefürchtet. Wenn die Fernsehleute vom RBB nun der Idee verfallen, einer harmlosen Regionalsendung den Namen zibb zu verpassen - zuhause in berlin brandenburg - ist allerdings Vorsicht geboten. Viel schlimmer kann man sich beim Fernsehvolk nicht anbiedern. Der Titel ist zudem blanker Betrug am Zuschauer, wohnt doch so gut wie niemand zugleich in Berlin und Brandenburg.

Damit wäre bereits das Hauptproblem des Senders angesprochen. Neben einem Stadt-Land-Konflikt plagt den RBB nämlich auch ein Ost-West-Dilemma. Einem Brandenburger kratzen die Sorgen und Nöte der Hauptstädter nun mal herzlich wenig, und dem alten Frontstadt-Wessi kann der ganze Osten gestohlen bleiben. Folglich, dachten sich die schlauen Fernsehleute, holen wir unsere Zuschauer dort ab, wo sie niemals stehen wollten: auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Sozialantagonismen. zibb ist eine Art Live-Experiment am offenen Volkskörper, der heikle Versuch, mit den Mitteln von Betulichkeit und Heimatliebe Gemeinschaftssinn zu predigen und auf die geplante Länderfusion einzustimmen. Gerecht wird man dabei niemandem.

Ein typischer Wald und Wiesen-Mix von zibb sieht dabei so aus: Dem "langen Winter und die Folgen für die Landwirtschaft" folgt ein Kulturporträt über André Eisermann, danach ein Griff ins Kuriositätenkabinett: es geht auf einen "Indoor-Hundespielplatz in Berlin". Zu guter letzt führt uns ein Reporter, "Auf den Spuren der Holzfäller", nach Grimnitz im Landkreis Barnim, wo er das Rückepferd Lotte antrifft, "ohne die kein Baum den Weg aus dem Wald findet". Das Ganze wird von einem in der Kleidung farblich aufeinander abgestimmten Moderatorenpärchen vorgetragen, deren lauer Witz ständig Gefahr läuft, akute Narkolepsie beim Zuschauer hervorzurufen.

Entstanden ist die Sendung im Zuge der letzten Programmreform, als im Mai 2003 der Sender Freies Berlin (SFB) und der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) in das Korsett eines gemeinsamen Rundfunks Berlin-Brandenburg gezwängt worden sind. Die neue Intendantin Dagmar Reim - bekennende Katholikin und mutmaßlicher Fan von Käthe-Kruse-Puppen - strickte in der Folge viele angestammte Sendungen um zu einem bunten Schal der Possierlichkeit, so dass sich ein Jahr später, als das neue Programm dann ausgestrahlt wurde, selbst die Lokalpolitik verwundert am Hals kratzte: Gibt es eigentlich noch politische Berichterstattung im RBB? Ja, lautete die schelmische Antwort, in der Abendschau.

Geändert hat sich daran bis heute nicht sehr viel. Allenfalls Sendungen wie Klartext und Klipp und klar greifen manchmal Themen aus den an Politik- und Wirtschaftsskandalen nicht gerade armen Bundesländern Berlin und Brandenburg auf, doch anders als ihr Name suggerieren wollen, weder sonderlich zuverlässig noch tief schürfend. Wo sind die kritischen Sozialreportagen, die unabhängigen Wirtschaftsgeschichten, Enthüllungen über den Berliner Filz? Statt den Blick auf die Entscheider und Verursacher zu lenken, richtet der RBB lieber seine Kameras auf Betroffene. Symptomatisch dafür erscheint die Spendensendung 96 Stunden, in der zuletzt Ende Februar vier Tage lang ein Bernauer Verein bei der Lebensmittelausgabe für Bedürftige begleitet wurde.

Ein Programm-Highlight bleibt Kowalski trifft Schmidt, eine Sendung, die sich engagiert und manchmal sehr gewitzt des schwierigen deutsch-polnischen Verhältnisses annimmt. Auch in der Binnenkultur ist der RBB nicht schlecht aufgestellt. Mit dem Kultur-Potpourri Stilbruch, der Kinosendung Filmzeit und dem in die ARD aufgestiegenen Szene-Magazin Polylux ist die Hauptstadtkultur breit vertreten. Ein Generationenwechsel hat offenbar frischen Wind in manche abgehalfterte Redaktion geweht. Neue Gesichter prägen die Mattscheibe, auch wenn ihnen bisweilen noch spürbar der Duktus des Alten antrainiert worden ist. So taugt die steife Moderation Tita von Hardenbergs bei Polylux allenfalls als willkommener Running Gag für Harald Schmidt.

Auch über Thadeusz, das neue Talk-Format im RBB, ist viel gelästert worden. Nachdem eine gemeinsam moderierte Talkshow mit Ulla Kock am Brink gefloppt war, erhielt Jörg Thadeusz, der einmal als Schwangerschaftsvertretung für Tita von Hardenberg einsprang, eine zweite Chance und eigene "Gesprächssendung". Angetreten mit drei wöchentlichen Abendterminen, stellte sich angesichts gähnender Langeweile schnell heraus, dass das Konzept nicht trägt. Schuld daran war weniger der Moderator als vielmehr seine wahllos ausgesuchten Gäste und der angestrengte Versuch eines halbstündigen Parlandos. Inzwischen läuft die Sendung bloß noch einmal pro Woche und auch die unkonzentrierte Fahrigkeit von Thadeusz wurde weitgehend eliminiert. Weil dessen Temperament hauptsächlich reaktiv auftritt, bleibt Jörg Thadeusz auf Steilvorlagen seiner Gäste angewiesen. Erst dann kann er Schlagfertigkeit beweisen. Notwendigerweise birgt dies die Gefahr des verkannten Talents.

Spät nachts dann passieren plötzlich unerwartete Dinge im RBB. Sogar Spielfilme wie den George-Cukor-Klassiker Die Frauen, eine absolute Rarität im Fernsehprogramm dieser Tage, strahlt der Sender hin und wieder aus. Die Kurt Krömer Show, eine mit anarchistischem Witz und derben Zoten gewürzte Comedy-Show um einen Neuköllner Proleten, wurde ebenfalls in die späte Nacht verbannt. Der preisgekrönte, unter dem Pseudonym Kurt Krömer auftretende Kabarettist Alexander Bojcan stellt darin eine Art Inkarnation des Berliner Volksmundes dar, an dem er seine Gäste regelmäßig scheitern lässt. Zu wünschen ist ihm, dass ihn seine Lieblingslosung "Aus Hackepeter wird K****" später nicht eines Tages selbst ereilt.


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