Man wünscht sich andere Wünsche

(Alp)-Traum einer Konsumenten-Demokratie Auf dem neunten "Trendtag" in Hamburg wurde über Billigangebote, Konsumenthaltung und "Kontingenz" debattiert

Glaubt man den Stimmen in der Werbewelt, befinden wir uns im Stadium reinsten Überflusses. Nachdem alle Grundbedürfnisse gründlich befriedigt worden sind und das Unbewusste seiner geheimen Wünsche überführt, leben die Konsumenten in völliger Optionalität. Niemand benötigt mehr profane Dinge wie Kühlschränke und Computer. Die Aufwertung des Selbst durch ausgestellten Luxus hat ebenfalls ausgedient. Jetzt geht es schlichtweg darum, jemand anderer zu sein. "Man wünscht sich andere Wünsche", beschreibt Norbert Bolz, Autor des Konsumistischen Manifests, das Stadium der Metapräferenzen.

Für die Anwesenden auf dem Hamburger Trendtag, eine Elite aus Werbung und Marketing, mag dieses Modell stimmen. In feines Tuch gehüllt, mit dicken Uhren am Handgelenk und modischen Frisuren auf dem Kopf haben sich offenbar zwar nicht alle vom so genannten positionalen Konsum verabschiedet und machen ihre soziale Stellung sichtbar. Doch ist ihnen schon von Berufs wegen das Endstadium der Konsumverheißung nicht unbekannt: die Veränderung von Identität. Zumindest dürfte es ihnen gefallen, Werbestrategien für dieses soziale Segment zu entwerfen, das so viel heiterer und ausgesuchter erscheint, als die Leute von der tumben Bedürfnisbefriedigung auf Stufe Eins.

Zeitgenössische Werbung, von der das temporäre Ausprobieren von Identitäten unablässig gepredigt wird, oder neue Einrichtungsshows im Fernsehen wie New Life, wo Wohnungen passend zu den verordneten Identitäten umgestylt werden, mögen als Indiz für jene avancierte Form der Reklame gelten. Doch offenkundig existieren die niederen Formen auch noch, man denke nur an die "Geiz-ist-geil"-Slogans. Die Konsumwelt ist zu einem Dschungel von Bildern, Zeichen, Emotionen und Wünschen mutiert, in dem sich zurechtzufinden niemandem mehr leicht fällt. Orientierung will der Trendtag leisten, indem alljährlich eine neue Losung, diesmal die "Konsumenten-Demokratie", ausgerufen wird.

Nicht alle Referenten befanden sich in Hamburg auf dem neuesten Stand. Dem Gespinst aus Trends und Gegentrends, Moden und Erscheinungen scheint das Gebräu von Rezepten und Mixturen aus Halbgegartem und fast Verdautem zu entsprechen. So empfahl etwa "die Nummer 17 der fünfzig besten Denker weltweit", wie der norwegische Managementberater Kjell A. Nordström angekündigt wurde, das Prinzip eines darwinistisch inspirierten "Karaoke Capitalism": Weil jeder jeden kopiere und es wie beim Karaoke kein Original mehr gebe, könne nur derjenige erfolgreich sein, der entweder Erfolg imitiert oder aber sein Handicap zur Attraktion macht. Die auch für Darwin problematische Figur des Pfaus brachte Nordström schließlich zum "Survival of the Sexiest", mithin zur altbekannten Distinktion durch Luxus, Überfluss und Irrationalität.

Der Berliner Medienwissenschaftler und "Stichwortgeber des Managements" Norbert Bolz führte seine Zuhörer in einem Countdown von den vier Megatrends (Kommunikation, Mobilität, Spiritualität und Well-Being) über die drei Formen von Kundenerwartungen (befriedige mich, verführe mich, verändere mich) und den notwendigen zwei Arten des Mehrwerts eines Produkts (spiritueller und sozialer Natur) hin zum Zauberwort der "Kontingenz": "Alles was ist, ist auch anders möglich, aber nicht beliebig und keineswegs besser," dekretierte er. Der angekündigte Take-off entpuppte sich allerdings als heiße Luft. Denn die dahinter steckende Beobachtung, dass Werte nicht mehr hierarchisch geordnet sind, sondern wie in einem Karussell rotieren und mal diesen, mal jenen ins gesellschaftliche Sichtfeld spielen, ist nicht mehr ganz frisch.

Bolz wertete Fernsehshows wie Deutschland sucht den Superstar, in der die Zuschauer ihre eigene Macht zelebrierten, als Indiz für das dräuende Zeitalter einer "Konsumenten-Demokratie". Angeblich haben die Kunden jetzt die Macht übernommen und regieren den Markt. Das war schon der Einladung zum Trendtag zu entnehmen. Peter Wippermann, Gastgeber und Chef des Hamburger Trendbüros, wies in diesem Zusammenhang auf den Vertrauensverlust hin, den traditionelle Institutionen wie Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, aber auch Werbung und Medien erleiden. In einer aktuellen Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) rangieren Politiker und Markenprodukte mit nur 14 Prozent Glaubwürdigkeit an gleich niedriger Stelle. Mit über neunzig Prozent sprechen die Befragten dagegen ihren Freunden und der Familie das Vertrauen aus.

Das Internet hat diesen Impuls längst aufgegriffen und Rankings und Bewertungen in die Kaufabwicklung eingeführt. Neue und erfolgreiche Handelsplattformen wie Amazon und Ebay bitten jeden Käufer um eine Benotung des Verkäufers. Websites für Paarungs- und Beziehungswillige wie Match.com, für Leute auf Freundessuche wie Friendster.com oder für kommunikative Hundehalter (www.dogster.com), die von Wippermann "Socialware" genannt werden, weil sie eine "Rationalisierung der sozialen Beziehungen" betreiben, basieren allein auf Kommunität und Weiterempfehlung. Damit entziehen sie sich den traditionellen Gefilden, in denen Werbung wirkt. Das muss die Branche sorgen: denn Werbung wäre überflüssig.

Ganz so defätistisch und hilflos, wie es angebracht wäre, wollte einem die versammelte Runde von etwa 300 Zuhörern dann aber doch nicht vorkommen. Niemand würde wohl 760 Euro für eine Tagung bezahlen und sich so viel heiße Luft um die Nase wirbeln lassen, wenn er nicht insgeheim wüsste, dass der Slogan von der "Konsumenten-Demokratie" eine Schimäre ist, eine von Trendforschern ersonnene Fiktion. Freilich hat der geschasste Chef von Universal Deutschland, Tim Renner, Recht, wenn er auf die neuen Technologien und Absatzkanäle ein kritisches Auge zu werfen empfiehlt. Das muss vor allem den Handel interessieren. Eine "Konsumokratie" als Wunscherfüllung des Verbraucherschutzes auszuweisen, als Ausdruck mündiger und informierter Konsumenten, ist jedoch einfach lachhaft und die Werber wissen heimlich mitzugrinsen.

Denn damit die Kunden überblicken, worin sich ihre Bedürfnisse und Wünsche ausdrücken und welcher Art Konsum ihnen entspricht, bedarf es weiterhin einer Evokation durch Werbung. Das ist ein sicheres Geschäft. Es fragt sich bloß, ob sich alle Käufer ein Menschenbild wie Norbert Bolz leisten können, für den "Konsum das Medium unserer Lebenszuwendung" ist. Dem gegenwärtigen Stand in dieser Republik nach zu urteilen, dürfte das einigen zu teuer sein. Es fragt sich auch, ob Werber weiterhin trendige Identitäten maßschneidern dürfen oder sich nicht künftig doch eher darüber Gedanken machen müssen, was sich alles auf "billig" reimt. In der Tradition der Verschleierung von ökonomischen Interessen hinter den Erscheinungen der Werbung war der Trendtag also ein voller Erfolg.


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