Auf einem Home-Shopping-Kanal preist ein junger Mann ein seltsames Gerät an, das wie ein Geigerzähler aussieht und auch so klingt. Für bloß 49,95 Dollar ist es telefonisch zu bestellen. Der Corporate Fallout Detector (etwa: Industriemüll-Detektor) war auf der Transmediale zu sehen. Die Besucher konnten sich das etwas unhandliche Gerät ausleihen, um den Strichcode von in einem Regal aufgestellten Waren abzuscannen. Ein Schalter ließ sich entweder auf "dirty" oder "unethical" stellen. Je nach Frequenz und Häufigkeit der Piepstöne erhielt man eine Vorstellung davon, wie ungesund die Lebensmittel im eigenen Warenkorb sind beziehungsweise wie ethisch unkorrekt die herstellenden Konzerne handeln.
Die Einkaufshilfe von James Patten ironisiert die Überforderung des Konsumenten, der inmitten der bunten Warenwelt mit seiner Kaufentscheidung allein gelassen wird. Als "kalkulierte Verführung, auf der unser Wirtschaftssystem gründet", beschrieb Hortensia Völckers, Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, auf der Eröffnungsveranstaltung der Transmediale die sozialen Aspekten, mit denen sich eine politisch ausgerichtete Medienkunst beschäftigt. Die Transmediale durfte sich in diesem Jahr glücklich schätzen, zu den sechs "Leuchttürmen" der Bundeskultur zu zählen und eine entsprechende finanzielle Ausstattung erhalten zu haben. Mit der Losung "Basic" hat sich das Berliner Medienkunstfestival den realpolitischen Bedingungen im Hier und Jetzt zugewandt, nachdem unter dem Motto "Fly Utopia" im letzten Jahr die Frage nach den verbliebenen politischen Utopien gestellt worden war.
Dass Medienkunst den gesellschaftspolitischen Status quo reflektiert, ist sicher nicht selbstverständlich, verweist heute aber wohl auch auf den Status der Künstler in Zeiten leerer öffentlicher Kassen. Die fetten Jahre sind vorbei, die Szene hat sich politisiert. Kaum fanden sich auf dem diesjährigen Festival noch ästhetizistische Arbeiten. Wo in den vergangenen Jahren ein fröhliches L´Art pour l´art betrieben und mit den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Mediums (natürlich reflexiv!) gespielt wurde, zeigen sich die in den weitläufigen Hallen des Berliner Haus der Kulturen der Welt prominent platzierten Arbeiten als kritische Kommentare auf unsere Lebenswirklichkeit. Oder sie warten mit derartiger Low-Tech auf - wie beispielsweise Pongmechanik von Niklas Roy, die elektro-mechanische Version des Videospiel-Klassikers -, dass in dieser Reduktion schon wieder ein politisches Statement, gepaart mit einem Schuss Nostalgie zu erkennen ist.
Auffällig viele künstlerische Arbeiten setzen sich mit Fragen von Sicherheit und Überwachung, Konsumismus und Biotechnologie auseinander. Michelle Teran hat in ihrem Video Berlin Walk im Stadtraum versteckte Überwachungskameras aufgespürt und deren Bilder sichtbar gemacht. Chris Oakley entwirft in The Catalogue das Szenario einer perfekten Konsumkontrolle: Sein Video zeigt Kunden in einer Shopping-Mall, denen per Überwachungskamera Markierungen zugeordnet sind, anhand derer sich die Waren, die die Kunden kauften, ablesen lassen. Besonders verdächtig erscheinen allerdings die mit einem roten "Untagged" gekennzeichneten Konsumenten: Sie haben noch gar nichts gekauft. Der Hintergrund sind die vom Handel derzeit forcierten RFID-Chips, die den Strichcode auf Waren ablösen sollen und per Funk zu empfangen sind.
Dass sich Technologien immer auch gegen sich selbst richten lassen, zeigten Rena Tangens und Padeluun vom Bielefelder Verein FoeBuD (Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs). In einer spektakulären Aktion hatten sie letztes Jahr den Future-Store des Metro-Handelsriesen in Rheinsberg, wo probehalber RFID-Etiketten eingesetzt werden, besucht und publik gemacht, dass auch die Kundenkarte RFID-Technologie aufweist und somit Kunden auch außerhalb des Geschäfts identifiziert werden können. Auf der Transmediale stellten sie einen Prototyp ihres "Data Privatizers" vor, ein handliches Gerät, das in der Lage ist, RFID-Etiketten auszulesen und beliebig zu überschreiben.
Wie nahe sich Medienkunst und Politaktivismus stehen, zeigen ebenso die Arbeiten des Critical Art Ensemble aus Buffalo, USA, das sich insbesondere den Konsequenzen der Biotechnologie verschrieben hat. In einem längeren Exkurs, eingeleitet von der Frage "Wie viele Leute denken an Natur´, wenn sie ihre täglichen Lebensmittel einkaufen?", zeigte Claire Pentecost im Konferenz-Teil der Transmediale die Ambivalenz des Natur-Begriff auf. Dass Natur eine soziale Konstruktion ist und ihre Bedeutung immer von einer herrschenden Ideologie abhängt, hat die Philosphie seit langem beschäftigt. Wie sehr jedoch diese Konstruktion praktisch veränderbar ist und somit den gesamten Bedeutungsdiskurs verschiebt, führten erst die Biotechnologien oder "Lebenswissenschaften", wie sie euphemistisch genannt werden, vor Augen.
In seinen Aktionen, die von Gentests an Lebensmitteln über Kunst-Happenings bis zu Protestveranstaltungen reichen, rückt das Critical Art Ensemble weniger die unmittelbaren Konsequenzen etwa von genveränderten Organismen auf die individuelle Gesundheit in den Vordergrund, als vielmehr deren Herstellungskontext. Global agierende Firmen wie Monsanto verkaufen gentechnisch verändertes Saatgut und Herbizide im Doppelpack und überziehen Bauern mit Urheberrechts- und Patentschutzklagen, wenn diese im nächsten Jahr andere Produkte benutzen wollen. Den industriell-ökonomischen Kontext als undemokratisch und am Gemeinwohl desinteressiert zu geißeln, ist das Ziel solcher Aktionen.
Wie kritisch kann eine Medienkunst sein, wenn sie im Grunde dieselben Technologien benutzt, deren Einsatz, wie im Fall der Überwachungs- und Kontrolltechniken, sie zu kritisieren vorgibt? Der niederländische Philosoph Henk Oosterling hat dieses Dilemma als "radikale Mediokrität" beschrieben und ein Bewusstsein darüber gefordert. Wenngleich der Widerspruch sich vielleicht nicht auflösen lässt, kann der Transmediale zumindest bescheinigt werden, ein öffentliches Forum für Diskurse geschaffen zu haben, die häufig den engen Zirkel ihrer institutionellen Entstehung nicht verlassen. Zu dieser Diagnose passt eine weitere Beobachtung: Mit der Entgrenzung der Wettbewerbskategorien - in den letzten Jahren wurde ein Preis für Medienkunst in den Kategorien Interaktion, Software und Image vergeben; dieses Jahr gibt es keine Kategorien mehr, wohl aber einen Preis - hat sich die ohnehin undurchsichtige Preisvergabe auf der Transmediale eigentlich erledigt. Sie ist das Relikt eines über Bord geworfenen Ästhetizismus und sollte zumindest auf einem politisch ausgerichteten Festival keine Rolle mehr spielen. Mit Hilfe welcher Kriterien ließen sich schon politische Reflexionen bewerten?
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