Seit Friedrich Nietzsche weiß man, dass große Geister manchmal schwanger gehen - mit großen Ideen. Etwas brodelt in ihnen, gefolgt von Zeiten schweren Brütens, bis ein beschwerlicher Geburtsvorgang die Gedanken zur Idee reifen und die Öffentlichkeit erblicken lässt. Mit dieser Schöpfungsmetapher befand Nietzsche sich auf der Höhe seiner Zeit: Die bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert hatte den "Autor" erfunden und seine Einfälle als "geistiges Eigentum" deklariert, das es zu schützen gilt. Wissen wurde im Zuge bürgerlicher Freiheiten und einer Individualisierung immer mehr zum Privateigentum, zum Besitzstand eines Urhebers. Das gesetzlich verbriefte Urheberrecht ließ nicht lange auf sich warten.
Dessen Konsequenzen hätte Nietzsche sich wohl so konkret nicht vorstellen mögen: Ein kürzlich in den Kinos gelaufener Filmspot zeigt Ankömmlinge in einem Gefängnis, die von alten Insassen gemustert werden. "Schon wieder ein Raubkopierer", sagt einer - daraufhin der andere: "Ja, aber meiner hat einen schöneren Arsch." "Hart aber gerecht" nennt sich die unsägliche Aktion der Zukunft Kino Marketing GmbH, eine Lobbyorganisation der deutschen Filmwirtschaft, die auf diese Weise den Kinozuschauer wissen lässt, was ihm beim Verstoß gegen das novellierte Urheberrechtsgesetz blüht. Neues Rechts- und Schuldbewusstsein soll aufkeimen.
Die hysterische Aktion drückt eine Unverhältnismäßigkeit der Mittel aus, die neben der Tatsache, dass es der Filmwirtschaft finanziell augenblicklich schlecht geht, auf einen tieferen Konflikt um die Konstitution und Legitimation des Urheberrechts verweist. Diente es ursprünglich dem Schutz des Autors vor missliebigem Nachdruck und Plagiat, setzt nun die Industrie im Namen des Autorenrechts ihre Wirtschaftsinteressen durch. Innerhalb der Geschichte des Urheberrechts kommt dies einem Rückfall in Zeiten gleich, wo ebenfalls der Verlagsschutz vor Individualrechten rangierte. Derweil lässt sich als Hintergrund unschwer ein erneut erfolgter Strukturwandel der Öffentlichkeit ausmachen: Die Frage nach dem Warencharakter und der Demokratiefunktion von Medien stellt sich mit dem Internet, oder besser gesagt: mit dem Digitalen, neu.
Analoge Medien ließen noch den Begriff der Generation als Ausdruck einer zeitlichen, wenn nicht gar geschichtlichen Abfolge zu. Die Abschrift oder Fotokopie eines Buches konnte es mit dem Original nicht aufnehmen. Das elektronische Faksimile eines Briefes bedurfte kniffliger juristischer Windungen, um als solcher rechtlich Bestand zu haben. Und die Aufnahme von Musik auf Audio-Kassetten oder von Filmen auf Video kann heute nur noch nostalgischen Gemütern die schöne Erinnerung wert sein. Das digitale Zeitalter der Reproduzierbarkeit birgt allerdings nun nicht allein ein ästhetisches Problem. Im Gegenteil, es geht um Qualität, die sich nicht mehr abnutzen lässt. Bit-genaues Kopieren von Informationen setzt alle Zeitvorstellungen und unser Verhältnis zur Geschichte und Originalität außer Kraft. Eine CD ist eine CD ist eine CD.
Als im September letzten Jahres die Bundesregierung das "Urheberrecht in der Informationsgesellschaft" verabschiedete, reagierte sie damit auf Änderungen, denen geistiges Eigentum im Zeitalter des Internet ausgesetzt ist. Bislang hatten Verwertungsgesellschaften wie die Gema oder die VG Wort zwischen dem Autor und der Industrie vermittelt und ein System von Pauschalvergütungen installiert. Um ein paar Seiten aus einem Buch zu kopieren, brauchte sich niemand an den Verlag zu wenden, sondern entrichtete seinen Obulus mittels der Kopierabgabe im Copy-Shop. Das Mitschneiden von Musik aus dem Radio wurde ebenfalls gedeckt durch Gebühren, die auf alle Leer-, Kopier- und Speichermedien erhoben werden - CDs, DVDs, Festplatten, Scanner. Das Recht auf eine "Privatkopie" leitete sich aus dem grundgesetzlich verankerten Gebot der Informationsfreiheit ab - es ist nicht aus pragmatischen Gründen installiert worden, wie heute mancherorts argumentiert wird.
Um die Privatkopie ist es nunmehr schlecht bestellt. Weil es so einfach geworden ist, Texte, Musik und Bilder aus dem Internet herunterzuladen oder ein originalgetreues Duplikat einer Musik-CD herzustellen, sah der Gesetzgeber dringenden Handlungsbedarf. Das novellierte Urheberrechtsgesetz untersagt beispielsweise eine Privatkopie, wenn die Vorlage offenkundig rechtswidrig ist, nicht legal erworben wurde. Damit will man insbesondere gegen Tauschbörsennutzer vorgehen, die die Rechtmäßigkeit eines dort angebotenen Musikstücks nicht überprüfen können. Eine Klagewelle gegen 68 Nutzer zu Anfang April sorgte für die gewünschte Medienpräsenz und somit erzielte Drohkulisse. Darüber hinaus darf ein technischer Kopierschutz auf einer CD oder DVD nicht mehr umgangen werden, auch wenn der Titel im Geschäft erworben wurde. Faktisch ist damit die Vervielfältigung zu privaten Zwecken nur noch im analogen Bereich gestattet, obwohl das Recht auf Privatkopie nominell weiter existiert.
In einem zweiten Gesetzesschritt soll bald das gesamte Pauschalvergütungssystem zur Disposition stehen und einer durch technische Verfahren gesicherten Individualvergütung weichen. Das Stichwort lautet Digital Rights Management (DRM), mit dessen Hilfe die genaue Anzahl der zulässigen Kopien oder auch eine zeitliche Nutzungsdauer verwaltet werden kann und als Code der jeweiligen Datei anhängt. Musikstücke aus dem Angebot von Internet-Musicstores wie iTunes oder Phonoline operieren bereits mit DRM: Maximal fünf Kopien lassen sich von einem Titel erstellen, egal ob es sich um eine Sicherungskopie auf dem PC, um ein Duplikat im MP3-Stick oder um eine gebrannte CD handelt.
Momentan befindet sich die Musikindustrie in der glücklichen Lage, doppelt abkassieren zu können: per Individualvergütung sowie zusätzlich mittels Abgaben an die Gema. Dafür musste sie sich schon vor geraumer Zeit seitens Thomas Hoeren, Rechtsprofessor an der Universität Münster, den Vorwurf gefallen lassen, allein vom "Recht auf Zugang" und von der Schaffung und Durchsetzung eines "virtuellen Hausrechts" getrieben zu sein.
Für Vertreter der Zivilgesellschaft ist dies der erneute Erfolg einer einzigartigen Lobbypolitik in Brüssel. Statt eines Interessensausgleichs zwischen den berechtigten Ansprüchen der Schöpfer und den ebenso legitimen Bedürfnissen von Konsumenten ist das novellierte, einer EU-Richtlinie folgende Urheberrechtsgesetz einseitig als bloßes "Investitionsschutzrecht für die Unterhaltungsindustrie" ausgerichtet, so eine gemeinsame Stellungnahme an den Rechtsausschuss des deutschen Bundestages. Befürchtet wird ein schwer wiegender Eingriff in die bestehende Wissensordnung. Erfahrungen in den USA haben bereits gezeigt, wie Wissenschaftler, Presse und die Öffentlichkeit von der DRM-Technologie ausgehebelt werden. In der Library of Congress können historische Werke wie etwa Nazi-Materialien mit Hilfe von DRM nur für eine Woche eingesehen werden.
In ihrer im Juni verfassten Berliner Erklärung zu kollektiv verwalteten Online-Rechten fordern Urheberrechtswissenschaftler und Vertreter der Zivilgesellschaft eine "Kompensation ohne Kontrolle". Die sowohl an Bundesjustizministerin Brigitte Zypries als auch an die Europäische Kommission gerichtete Deklaration verlangt mit dem Slogan Keep it simple, an der bewährten Form der Pauschalvergütung auch im Online-Zeitalter festzuhalten. Mittels einer Pauschabgabe sollen alle urheberrechtlichen Ansprüche abgedeckt und durch eine zu gründende Online-Verwertungsgesellschaft an Urheber und Verlage ausgeschüttet werden. Der amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig glaubt: "Gesellschaften für die kollektive Rechtewahrnehmung sollen den Urhebern nützen. Urhebern im digitalen Zeitalter eine größere Wahlfreiheit zu geben, würde sie besser in die Lage versetzen, ihre Werke zu verwerten."
Ob dies der EU-Kommission imponieren wird, die bis zum Herbst einen Entwurf der EU-Richtlinie zur kollektiven Rechteverwaltung vorlegen will? Eine schwere Geburt steht bevor! Was dabei herauskommt, weiß noch niemand. Gleichwohl: Der Geist weht, wo er will - das wusste auch Nietzsche -, vielleicht auch in Brüssel.
Link: http://privatkopie.net/files/Stellungnahme-ACS.pdf
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