Dem Kunstmuseum Wolfsburg fehlt etwas – ein größerer Saal für Vorträge und Diskussionsrunden. Verzichten möchte man auf solche Veranstaltungen aber nicht, deswegen trifft man sich im Treppenhaus, diesem seltsamen Zwischenraum zwischen Draußen und Drinnen. So auch, um über das "Wohnen in der Zukunft" nachzudenken. Knapp 300 Menschen sind gekommen, um dem Architekten und Ingenieur Werner Sobek und dem Philosoph Peter Sloterdijk beim Gespräch über architektonische Visionen zuzuhören.
Werner Sobek, Stuttgarter Architekt mit sieben Büros rund um den Globus, ist bekannt für seine freimütig ausladenden Konstruktionen - das Faltdach des Tennisstadions am Hamburger Rothenbaum, der Papst-Baldachin auf dem Münchener Messegelände sowie viele prominente Glasfassaden der Republik. Peter Sloterdijk, Philosoph mit Professur in Karlsruhe, hat sich bereits an einer Anthropologie des Wohnens versucht. "Architekturen des Schaums" nannte er einen Abschnitt seiner "Sphären"-Trilogie.
Sloterdijk schreibt gewöhnlich im Pluralis Majestatis - sprechen tut er glücklicherweise in der Einzahl: "Mir dämmert der Verdacht...", sagt er gleich in seiner ersten Einlassung. Sobek dagegen vermeidet den Singular: "Wir sind der Auffassung", "wir arbeiten grenzüberschreitend", "wir sind heute wesentlich sicherer", sagt er wiederholt - ein Werbetexter hätte es nicht anders formuliert.
Manchen Zuhörer beschleicht der Verdacht, man sitze einer PR-Veranstaltung auf, die einem im Museum präsentierten Exponat auf beredte Art die philosophische Würde verleihen soll und nebenbei für den Ankauf des Exponats oder besser noch dessen Umsetzung als Gebäude werben soll - eine Werbeveranstaltung für den Bau des Wohnellipsoids "R129”. Sobek hat dieses allseitig transparente, linsenförmige Gebilde aus einer Kunststoffhülle und einem Traggerüst aus Karbonhohlträgern entworfen. Für den Museumsdirektor Markus Brüderlin verkörpert der Entwurf den Traum, die Grenzen zwischen Außen und Innen, zwischen Kosmos und Kokon aufzuheben. Das klingt nach einer romantischen Sehnsucht, ist aber aus der Sicht von Individuen, die sich ja über die Abgrenzung voneinander definieren, höchst bedenklich.
Die architektonischen Vermessenheiten der Moderne
Doch noch ist das auch Zukunftsmusik. Sloterdijk redet stattdessen von den architektonischen Vermessenheiten der Moderne. Er spricht von den Architekten als "Kellerstürmern des 20. Jahrhunderts", die mit ungeahnter Energie jede Verwurzelung, jedes Fundament, alles, was Heimat schaffe, verdrängten. Von der "gottes- wie menschenlästerlichen" machine à habiter, der Wohnmaschine Le Corbusiers. Und von der Beobachtung Ernst Blochs, die modernen Häuser sähen vielerorts "wie reisefertig drein".
Sein Gesprächspartner Sobek erscheint ihm wie ein Mensch, "der aus dem Scheitern der Raumfahrt die terrestrischen Konsequenzen gezogen hat". Wie gestrandete oder nie zum Abheben gekommene Flugkörper muten dem Philosophen Sobeks Gebäude-Entwürfe an. An dem Architekten prallen diese Diagnosen aber ab wie Vögel an seinen vollverglasten Konstruktionen. Etwas Poesie will er allerdings auch einstreuen. Der Mensch soll die Sterne sehen, propagiert Sobek - und verteidigt seine gläsernen Dächer.
Die Visionen zukünftigen Wohnens beschränken sich an diesem Abend auf Vorschläge eines asketischen Umgangs mit den Dingen. Weitaus leerer dürften die Behausungen sein, mahnt der Architekt. Kein Gegenstand sei vonnöten, an den sich der Mensch klammern solle. Eine Absage an jeden Fetischismus. Zugleich aber auch eine Vision dematerialisierten Lebens.
Abfahrbereit da stehendes Haus mit Zündschlüssel
Einmal durchfährt das Wolfsburger Publikum ein gelinder Schreck. Wie zufällig ist die Rede auf das Nomadische und auf Camping gekommen. Da entfährt es Sobek: "Wohnmobile und Camping-Einheiten habe ich aus meinem Denkball verbannt." Sloterdijk korrigiert, das Wohnmobil sei doch eine Art moderner Architektur fürs Volk; es habe die Utopie des abfahrtbereit dastehenden Hauses buchstäblich umgesetzt und mit einem Zündschlüssel versehen. Den Zuhörern und ihrer Sozialisation - Wolfsburg ist mit dem VW-Bus schließlich Produktionsstätte eines Pioniers der Wohnmobilität - ist Sobek mit dieser Äußerung aber doch zu nahe getreten.
Am Ende geht man schnell auseinander. Den Architekten zieht es nach oben, nicht zu den Sternen, aber ins Restaurant des Museums, dort, im Beisein der Stadtoberen, hat das Gespräch vielleicht eine pragmatischere Wendung genommen. Der Philosoph bleibt der ebenerdigen Mobilität verpflichtet: er nimmt ein Taxi zum Bahnhof. Und den Berichterstatter schluckt die Rolltreppe, hinab zu den Fundamenten: ins Parkhaus.
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