Im sachsen-anhaltinischen Hecklingen gibt es die Hecklinger Tafel. 250 Menschen, deren Einkommen nicht einmal für das tägliche Essen reicht, können sich dort mit Lebensmitteln versorgen. Aus dem Vollen kann die Tafel dabei nicht schöpfen: die Nahrungsmittel sind Spenden, die Beschäftigten als „Bürgerarbeiter“ angestellte Ex-Erwerbslose. Lange gab es nicht einmal ein Faxgerät – bis Elke Reinke eines stiftete. Die 51-Jährige stammt aus dem benachbarten Aschersleben und war viele Jahre lang selbst eine der Langzeitarbeitslosen, die bei der Tafel ein- und ausgingen. Dann zog die Hartz-IV-Empfängerin im Herbst 2005 für die Linkspartei in den Bundestag ein. Als Abgeordnete kümmerte sie sich weiter vorwiegend um Arme und Erwerbslose – zum Beispiel in Hecklingen.
Aber: Ein Faxgerät ist noch keine parlamentarische Initiative und Hecklingen nur ein kleines Dorf in Sachsen-Anhalt. Reinke hat sich im Einzelfall rührend engagiert; generell aber habe sie „die Erwartungen nicht erfüllt“, kritisieren selbst einstige enge Mitstreiter. Und so wird Reinkes Stelle im Bundestag befristet bleiben: Nachdem sie für ihre Bewerbung um einen aussichtsreichen Listenplatz für die Wahl im Herbst bereits im Landesvorstand keine einzige Stimme erhalten hatte, fiel sie am vergangenen Wochenende auch bei den Delegierten der Wahlversammlung durch. Bei ihrer Kampfkandidatur um den wohl gerade noch Erfolg verheißenden Listenplatz 5 erzwang sie zwar eine Stichwahl, unterlag dann aber der früheren PDS-Landeschefin Rosemarie Hein mit 60 zu 46 Stimmen. Nun kandidiert sie auf dem aussichtslosen Listenplatz 7.
Sie galt als Symbolfigur der neuen Linkspartei
Damit dürfte im September eine Politkarriere enden, die zunächst für enormen Wirbel und viel Aufsehen sorgte – zuletzt aber eher Ernüchterung hervorrief. Reinke, die einst Ingenieurin für Elektrotechnik, aber nach der Wende 15 Jahre lang höchstens noch in ABM-Stellen untergekommen war, galt nach ihrer Wahl 2005 als eine Symbolfigur der neuen Linkspartei. Mit der Frau, die in ihrer Stadt Montagsdemonstrationen organisiert hatte, schickte die Partei, die nicht zuletzt von der bei den Protesten zutage getretenen Wut über die Agenda 2010 und die Hartz-IV-Gesetze in den Bundestag getragen worden war, eine von damals vier Millionen Erwerbslosen ins Parlament. Die Dauer-Umschülerin wurde wider Willen zum Medienstar. „Sie ist das Volk“, schrieben Journalisten und nannten sie eine echte „Volksvertreterin“.
Der Ruhm war allerdings von kurzer Frist. Nachdem die Kameras abgestellt worden waren, die sie zunächst fast um die Uhr verfolgt hatten, ging Reinke in der Schar ihrer Fraktionskollegen unter. Sie hielt hin und wieder eine Rede, meist zu Themen wie Grundsicherung oder Hartz IV; sie gehörte entsprechenden Arbeitsgemeinschaften in der Partei an und unterzeichnete den Aufruf der „Antikapitalistischen Linken“ – beides freilich, ohne darüber hinaus je groß in Erscheinung zu treten. Sie habe, erklärt ein prominenter Landesvorständler, „politisch nicht stattgefunden“. Auch von „Überforderung“ ist die Rede: Wenn sie von Kreisverbänden als Referentin eingeladen wurde, habe oft Ernüchterung geherrscht: „Blamieren können wir uns alleine.“
Reinke will von alledem nichts mitbekommen haben: Zwar habe ihr der Landesvorsitzende Matthias Höhn in einem Gespräch „zu viel Betroffenenpolitik“ vorgeworfen, klagt sie: „Was allerdings von mir erwartet wurde, hat mir niemand gesagt.“ Sie sei bereit gewesen, ihren Arbeitsstil zu ändern: „Aber da kam nichts“, erklärte sie in einem Interview unmittelbar vor dem Listenparteitag. Höhn bringen diese Äußerungen in Rage. Selten seien dem Vorstand in so „diffamierender Weise öffentlich Unwahrheiten unterstellt“ worden, schäumt er und betont, schon seit 2006 habe man die Abgeordnete kritisiert – unter anderem wegen „mangelnder Kooperation mit dem Landesvorstand“.
Symbolträchtiges Exempel
Während es freilich auch anderswo ein gnadenloses Rennen um begehrte Listenplätze gibt, erregte der Fall Reinke in Sachsen-Anhalt bundesweite Aufmerksamkeit. Dabei ging es einmal nicht um die innerparteiliche Strömungsarithmetik, auch wenn Reinke im Unterschied zu ihren Mitbewerbern als einzige nicht dem Lager der „Regierungssozialisten“ zugerechnet wird. Und auch die im Bundesland noch vor vier Jahren heiß diskutierte Frage, wie gut die WASG als eine von zwei „Quellparteien“ der Linken mit Mandaten versorgt wird, spielte keine Rolle.
Politisch Brisanz gewann die Angelegenheit vor allem, weil sie zum symbolträchtigen Exempel stilisiert wurde. Aus Reinkes Umfeld hieß es, ausgerechnet eine Hartz-IV-Betroffene solle „aus dem Bundestag gekickt“ werden – ein Vorgang, der dazu passe, dass die Partei in ihrem aktuellen Wahlprogramm auch nur noch „kosmetische Korrekturen“ für Hartz IV vorgesehen habe. Die Kritik bezieht sich auf zeitweilige Verwirrung um eine Passage, der zufolge der Regelsatz zunächst nur auf 435 Euro angehoben werden soll und nicht wie beschlossen auf 500 Euro; sie zielt aber auch auf die Frage, wie die Linke es inzwischen generell mit Hartz IV hält.
In dieser Angelegenheit aber gebe es kein Wanken, beeilen sich Spitzenpolitiker zu versichern. Höhn erinnert an den 2005 plakatierten Wahlslogan, wonach Hartz IV „Armut per Gesetz“ sei. Daran habe sich „nichts geändert“. Wenn Reinkes Anhänger anderes kolportierten, sollten sie sich überlegen, welchen „Schaden sie der gesamten Partei zufügen“. Das Wahlprogramm für die Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt richtet sich nicht zuletzt an sozial Schwache.
Allerdings, fügt Höhn hinzu, sei die Linkspartei eben nicht nur gegen Hartz IV. Als „linke Volkspartei“ müsse sie darauf achten, „andere Bereiche nicht zu vernachlässigen“. Reinke wurde genau das vorgeworfen – was sie im Herbst ihr Mandat kosten dürfte. Wo der Eingang zum Arbeitsamt in Aschersleben sei, kommentiert die Politikerin mit unverhohlenem Sarkasmus, wisse sie noch ganz gut.
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