Wer wissen will, wie es um Hannover in Zeiten der Weltausstellung bestellt ist, muss ins Niedersachsenstadion gehen. Neulich war der 1. FC Köln zu Gast. Die 96er spielten den Zweitligaspitzenreiter eine Stunde lang an die Wand und hatten den Aufstieg vor Augen. Am Ende hieß es 3:5. Der FC war erstklassig, Hannover guckte wieder mal in die Röhre. Das Personal versiebt schlicht zu viele Chancen.
Leider auch Harald Böhlmann. Hannovers Kulturdezernent, den seine Mitbürger vornehmlich als Zylinder schwenkenden Kleinkunstimpressario kennen, hatte beschlossen, den Rummel um die Expo 2000 zu nutzen und Niedersachsens Landeshauptstadt als Kulturstandort zu promoten. Also posierte er gerahmt von Museumsdirektoren, Festivalleitern und einem Opernintendanten im frischgetün
getünchten Rathaus, um den Medien zu erläutern, was die vielgeschmähte Provinzmetropole so alles zu bieten hat. Doch Böhlmann mochte sich auf gut sozialdemokratische Art nicht entscheiden, was Vorrang hat, Picasso oder "die Stadtansichten" Hannovers im Landesmuseum. Eine geschlagene halbe Stunde irrte er durch das Termingestrüpp des städtischen Veranstaltungskalenders. Als er sich endgültig zwischen Feuerwerkswettbewerb und La Bohême verrannt hatte, blieb für die echten Highlights, die z. B. das Sprengel Museum Hannover oder der Kunstverein tatsächlich im Dutzend auf die Beine stellen, nur ein paar Minuten Restzeit. Die Presse gähnte ermattet und buchte das städtische Kulturprogramm unter "konzeptlos" (taz) ab.Bezeichnend für die mentale Gemengelage ist, dass Tom Stromberg, seines Zeichens Kulturchef der Weltausstellungsgesellschaft Expo GmbH, so etwas gerne liest. Denn der smarte Lautsprecher glaubt, dass ohne ihn in Hannover überhaupt nichts mehr geht. Eine Pressekonferenz schon gar nicht. Und so steckte er einem Szeneblättchen, Böhlmans Auftritt sei "ein starkes Stück" gewesen. Denn wenn hier jemand Kulturprogramme bezahlt, seien das "die Expo GmbH, das Land Niedersachen und die Stiftungen". Nun lässt sich nicht leugnen, dass Hannover finanziell am Stock geht und Stromberg die Kulturaktivitäten teilweise bezuschusst. Aber da ist das Geld wenigstens gut angelegt. In eigener Sache hat der EXPO-Zampano außer Faust-Kämpfer Peter Stein und Ausstellungsmacher Kasper König vorrangig Kulturheroen der Güteklasse Tina Turner, Karl Moik, Peter Maffay oder die Scorpions verpflichtet. Im Gesamtwert von 107 Millionen Mark. Damit steht er immer noch besser da als seine Geschäftsführerkollegen Reinhard Volk und Birgit Breuel. Das Duo brachte es fertig, durch grobes Missmanagement, Abfindungen für unfähige Führungskräfte und immer sinnfreier dröhnende PR-Kampagnen 400 Millionen Mark Verbindlichkeiten anzuhäufen, ohne auch nur den Ansatz eines schlüssigen Konzeptes vorgelegt zu haben.Angesichts dieses Gewurstels wirkt der Optimismus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung geradezu rührend. "Die Expo in Hannover hat sich zu einer Erfolgsgeschichte gewandelt", posaunt sie. Es klingt wie das Pfeifen im Walde. Im Lokalteil liefert das Blatt täglich den Gegenbeweis. Hier kämpfen die Propagandastäbe von Stadtverwaltung und GmbH längst darum, wem sie das sich abzeichnende Debakel der Weltausstellung am Ende in die Schuhe schieben können. Jüngstes Beispiel ist der Streit um die 25.000 Parkplätze vor dem Veranstaltungsgelände. "Megastaus, Wut und Frust bei den Besuchern" seien vorprogrammiert, weil das Areal nur mit vorgebuchten Tickets angefahren werden darf. Die Stadt kontert mit "Informationsdefiziten" und verweist stur auf den Expo-Vertrag, in dem diese Kopplung festgeschrieben worden ist.Ein hochkomisches Gezänk vor allem, weil das Interesse an dem Spektakel gegen Null tendiert. Bis jetzt wurden weltweit 2 Millionen Eintrittskarten abgesetzt, 20 Millionen weniger als projektiert. Ein ähnliches Fiasko droht der Eröffnungsfeier. Statt 250.000 Tickets gingen 12.000 über den Tresen.Die Hannoveraner nehmen's mit der Gelassenheit des vom Leben gehärteten Stoikers. Sie stolpern seit Jahren zwischen 300 Baustellen herum und haben per Bürgerbefragung für eine Expo plädiert, die anders aussieht als ein überdimensionierter Freizeitpark. Jetzt sollen sie genau dafür pro Kopf 68 Mark Eintritt zahlen.Dieter Eisfeld, der erste EXPO-Beauftragte der Stadt, ahnte, was kommen würde. "Jede Weltausstellung wird aussehen wie die Gesellschaft, in der sie stattfindet", sagte er 1990. Ein Jahr später ließ sich Eisfeld pensionieren und schrieb einen Roman. Er heißt "Das Loch"und erzählt, wie Hannover in einem solchen ganz einfach verschwindet.