Hannover, Sonntag, 22. Oktober. Liebes Tagebuch, beim Bäcker vier Brötchen geordert und Sonntagszeitungen überflogen. Die Nachrichten des Tages: »Aus der Daum« und »Hannover 96 schlägt die Stuttgarter Kickers 1:0 - Aufstiegsplatz.« Prima, die Welt wird sich auch ohne Expo weiterdrehen.
Tja, was gibt's noch zu erzählen? Vielleicht dies: Auch meine Eltern haben es endlich auf die Expo geschafft. Mein Vater ging aber nur unter Protest. Weil: Meine Mutter hatte Tickets für Mittwoch erworben. Um 20.45 Uhr war Anpfiff für das Champions-League-Spiel Bayern gegen Paris St. Germain. Meine Mutter: »Da sind wir längst wieder hier.« Mein Vater, Pessimist seit 1939 und Bayern-Anhänger seit 1969: »Glaub ich nicht!«
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, 22. Oktober. Liebes Tagebuch, beim Bäcker vier Brötchen geordert und Sonntagszeitungen überflogen. Die Nachrichten des Tages: »Aus der Daum« und »Hannover 96 schlägt die Stuttgarter Kickers 1:0 - Aufstiegsplatz.« Prima, die Welt wird sich auch ohne Expo weiterdrehen.Tja, was gibt's noch zu erzählen? Vielleicht dies: Auch meine Eltern haben es endlich auf die Expo geschafft. Mein Vater ging aber nur unter Protest. Weil: Meine Mutter hatte Tickets für Mittwoch erworben. Um 20.45 Uhr war Anpfiff für das Champions-League-Spiel Bayern gegen Paris St. Germain. Meine Mutter: »Da sind wir längst wieder hier.« Mein Vater, Pessimist seit 1939 und Bayern-Anhänger seit 1969: »Glaub ich nicht!XX-replace-me-XXX171;Er sollte Recht behalten. Bei einsetzender Dunkelheit beschränkten sich ihre Expo-Erlebnisse auf das Verklappen zweier Rostbratwürste mit Cola und den Besuch der Afrikahalle. Meine Mutter: »Eine Halle für so viele Länder, das ist doch ungerecht.« Ansonsten hatten die beiden Alten drei Stunden vor Bertelsmanns Planet m gewartet, zwei Stunden vor den Arabischen Emiraten, eben so lange vor diversen Abteilungen des Themenparks und Finnlands Pavillon. Mein Vater drängte zur Umkehr (»Rumstehen kann ich auch in meinem Garten«), meine Mutter zum deutschen Pavillon (»Irgendwo müssen die uns ja mal reinlassen«). Und siehe da: nach einer weiteren Stunde Schlangestehen öffnete sich die Pre-Show der Bundesrepublik. Meine Mutter war fassungslos (»Hier sind ja nur Gipsköppe«), mein Vater am Boden zerstört (»Jetzt ist es zehn nach acht. Das Spiel kann ich vergessen!«)Zum Trost besorgte ich ihm am nächsten Tag eine Flasche Original Retter-Kirschbrand aus dem österreichischen Expo-Restaurant Lafer. Dort ist wie überall auf dem Gelände großer Ausverkauf. Quasi alles wird verramscht. Komische Hüte, Teppiche, exotisches Schnitzwerk und der Themenpark. Letzterer geht größtenteils nach Oberhausen. Das finden viele Hannoveraner gar nicht komisch. Aber Hannover, sagt Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, habe kein Geld mehr. Die letzte Mark ging für eine Marketinggesellschaft drauf, die aus dem Ruhm der Expo-Stadt Kapital schlagen soll. Wenn das mal gut geht. Denn die Welt dürfte sich in Sachen Expo vorrangig an zwei Dinge erinnern.An die Affäre »Pinkel-Prinz» und den Fall Wibke Bruns. Der eine, Ernst August von Hannover, posierte in entsprechender Haltung am türkischen Pavillon und sorgte für diplomatische Verwicklungen bis hinauf in den Nato-Rat. Expo-Sprecherin Bruns wiederum hatte die unprofessionelle, aber nicht gänzlich abwegige Bemerkung fallen lassen, Hannover sei ungefähr so langweilig wie Heilbronn. Hei, da brauste ein Sturm der Empörung durch die Amts- und Redaktionsstuben, dessen geifernde Emphase allerdings eimerweise Wasser auf die Mühlen derer ergoss, die Hannover schon immer für die Heimat provinzieller Pflaumenauguste gehalten hatten.Als Phänotyp dieser Gattung brillierte neben dem Welfenaugust wie stets Herbert »Grüßaugust» Schmalstieg. Beleidigt wie ein Duodezfürstchen ließ der OB die Bruns, eskortiert von der Lokalpresse, vom Rathaus bis in die Herrenhäuser Gärten schleifen. Zum Beweis, dass seine Regentschaft ein Gemeinwesen auf Weltniveau krönt. Schließlich sind nächstes Jahr Kommunalwahlen. Weshalb man Schmalstieg auch täglich mit frisch polierter Platte, Armani-Anzug und neuer Designerbrille über die Expo pirschen sah, auf der Suche nach einer Kamera, der er samt seinem angeheirateten Landesministerinnenguglhupf den Sucher versperren konnte. Hannovers oberster Repräsentant scheut eben auch in Expo-Zeiten keine Sonderschicht, um den zweitklassigen Ruf Hannovers zu untermauern. Aber bitte, das soll keine Kritik sein. Im Gegenteil.Dank an alle, die die Expo zu dem gemacht haben, was sie war: Ein Panoptikum weltumspannender Eierköpfigkeiten. Danke Herbert Schmalstieg, danke Birgit Breuel, danke Hannovers Messe-Vorstand Sepp Heckmann, danke Expo-Geschäftsführer Reinhard Volk. Ihr habt unserem Städtchen einen großen Dienst erwiesen. Wir sind bald wieder unter uns und werden es bleiben. Aber mit entschieden mehr Komfort.Zum Beispiel im frisch renovierten Hauptbahnhof. Während die Globalisierungsritter hier ihren Anschlusszügen hinterher hecheln, lassen wir im Cuba-Café in aller Seelenruhe die Zigarren verglühen. Wir können unbehelligt von Event-Schaumschläger Tom Stromberg erstklassiges Theater sehen; wir gondeln mit der funkelnagelneuen S-Bahn ins Grüne, und sollte uns mal die Decke auf den Kopf fallen, brummen wir vierspurig nach Berlin.Nach einer Woche befällt uns das Heimweh. Dann fahren wir schnurstracks nach Hause und begeben uns an die Orte, wo sich auch ohne Themenpark und Weltpartner das große Humanum, Lebensfreude und Dialektik der Aufklärung aufs Schönste zur heiligen Trias runden: Zum Beispiel ins Künstlerhaus, Heimstatt der legendären »Fitz-Oblong-Show» oder zu »Vater und Sohn«, wo die besten Bratkartoffeln des Jahrhunderts serviert werden.