Früher war alles besser. Vor allem die Berichterstattung über Weltausstellungen. Im Jahre 1910 kabelte Stefan Zweig aus Brüssel an die Neue Freie Presse in Wien: »Es ist, als stünde man auf einem hohen Gipfel, und immer käme von einer Seite Sturm an einen heran, immer Lärm, die brausende Stimme des Lebens: man atmet sie ein, fühlt die eigene Kraft, die eigene Lust daran wachsen.»
Bleibt die Frage, warum ein modernes Massenspektakel keine derartigen feuilletonistischen Adrenalinschübe mehr auslösen kann (außer in Rainald »MC» Goetz, wenn er die Love Parade kommentiert). Gut, Paraden sind irgendwie hip, Weltausstellungen ein alter (Filz)hut. Aber die EXPO 2000 in Hannover wäre so dankbar über ein paar nette Sä
n paar nette Sätze im überregionalen Blätterwald. Statt dessen gibt es nur Saures. Debatten über Milliardenlöcher und Häme, wohin man schaut. Zum Beispiel in den Spiegel. Dort stand neulich zu lesen, die Weltausstellung sähe der Generalkommissarin Birgit Breuel »ziemlich ähnlich«. Wer den Mensch gewordenen Mount Rushmore kennt, weiß, dass es schlimmer kaum kommen kann.Am Allerschlimmsten ist jedoch das quasi Schicksalhafte der Misere. Die erste Weltausstellung auf deutschem Boden wirkt, als besiegele sie endgültig das Abdriften der humanoiden Evolutionsgeschichte ins Ausweglose. Wo Stefan Zweig noch »das dunkle Rauschen der Neugier» walten sah oder wenigstens eine »sinnlose und doch schöne Erregung» angesichts »der Dinge des modernen Lebens«, protokolliert die FAZ-Korrespondentin entnervt die Adventuren von Neuntklässlerinnen, die gelangweilt durch die Themenparkabteilung »Basic Needs« stiefeln. Gleich nebenan demonstriert dann McDonalds, wie dieser Zielgruppe das Zusammenspiel von »Mensch, Rind und Technik» zeitgemäß serviert und damit viel Geld verdient werden kann.Überhaupt hat es den Anschein, als liefe das Zurschaugestellte vielfach an den Bedürfnissen der Besucher vorbei. Mit unschönen Folgen. Zum Beispiel für die Kunst. Die Objekte der Ausstellung »In Between«, von Kaspar König etwas uninspiriert im Gelände verteilt, beeindrucken weniger durch ihre auratische Präsenz als durch die Beulen und Schleifspuren jugendlichen Expo-Überdrusses. Selbst die Rentner befällt immer heillosere Renitenz. Aufgeputscht von der Serviceredaktion der Hannoverschen Allgemeinen lassen ganze Altersheimbesatzungen seit Tagen China und Ozeanien links liegen, um den Kassenschalter in Halle 13 zu belagern. Wie EXPO-Tourismus-Geschäftsführer Walter Krombach stöhnt, fordern sie dort Ermäßigungen ein, »auf die sie juristisch gar keinen Anspruch haben«. Die Greisenkader gebärdeten sich derart aggressiv, dass Krombach mehrfach den Sicherheitsdienst rufen mußte, »um meine Mitarbeiter zu schützen.»Immerhin steht wenigstens die neue Mitte klaglos Schlange und wartet auf »Perspektiven für die Zukunft« (Themenparkchef Martin Roth). Endlich drinnen, gibt es lange Gesichter, weil es dort aussieht wie in Schröders Träumen von New Economy. Computer, Computer, Computer. »Uns fehlt der Mensch«, klagt nicht nur Familie Wilkening aus Barsinghausen. Fräulein Pfister aus Karls ruhe vermisst eher »das Handgemachte«. Erst nach zehrenden Irrungen durch PVC-belegte EXPO-Welten findet sie Halt und Genugtuung auf syrischem, garantiert vorindustriell gefertigtem Parkett. Die deutsche Sehnsucht nach Dritter-Welt-Idylle stößt allerdings nicht überall auf ungeteilte Gegenliebe. Sélima Hachich beispielsweise, Direktorin des tunesischen Pavillons, legt Wert darauf, dass die sogenannten Randstaaten als moderne Mitglieder der Weltgemeinschaft wahr- und ernstgenommen werden. »Schließlich habe man mehr zu bieten als Sonne und Strand.«Ob ausgerechnet die Weltausstellung geeignet ist, Vorurteile abzubauen, darf jedoch bezweifelt werden. Bekannt ist bisher nur ein einziger Fall. Sarah Ngondis Kenntnis deutschen Wesens beschränkte sich vor ihrem EXPO-Einsatz auf ästhetische Fragen. »Ich habe gedacht, die sind alle furchtbar fett.« Jetzt weiß die Hostess aus Kamerun immerhin, dass die meisten Deutschen »freundlich sind« und fett. So weit war auch die Koreanis tikstudentin Nina Koo im Bilde. Koo ist in Deutschland geboren und hat Korea nie vermißt. Nach drei Wochen Arbeit im koreanischen Pavillon will sie nach Seoul auswandern. Der Grund: »Die Umgangsformen und der Respekt, mit denen sich die Menschen dort begegnen«.Vom Hesssischen Rundfunk um einen Kommentar zur Besucherentwicklung gebeten, sprach Frau Breuel von einem »Schock«. Weil sich statt der erwarteten 300.000 täglich nur 100 000 Menschen auf die Füße treten. Vor 90 Jahren blickte Stefan Zweig noch mit Wohlgefallen auf »diese wilden, gierigen Menschen, die kommen, ein einziges Schauspiel zu sehen, und nicht ahnen, daß sie es selber sind«. In Hannover ahnen das alle. Nur Frau Breuel hat nichts begriffen.