Quadratur des Kreises

Zukunft Mit privater Altersvorsorge lässt sich die Demographie nicht überlisten. Das Problem ist nicht die steigende Zahl der Rentner, sondern eine falsche Politik
Ob es nun echte oder nur verkleidete Alte sind; das Problem bleibt das gleiche: Wie finanziert man die Folgen des demographischen Wandels?
Ob es nun echte oder nur verkleidete Alte sind; das Problem bleibt das gleiche: Wie finanziert man die Folgen des demographischen Wandels?

Foto: Getty Images

Die Argumente für die private Altersvorsorge sind bekannt: Wegen der geringen Geburtenhäufigkeit nimmt die Zahl der Jungen, der Erwerbstätigen ab, während es immer mehr Alte gibt, die zu versorgen sind. Behauptet wird, diese Frage könne mit dem traditionellen Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung nicht gelöst werden. Deswegen soll die gesetzliche Rente ergänzt oder ersetzt werden durch private Altersvorsorge.

Richtig ist, dass sich das Zahlenverhältnis Alte/Junge verändert: Von 1991 bis 2011 nahm die Zahl der über 65jährigen um 40,3 Prozent zu, die Zahl der Jungen dagegen um 1,8 Prozent ab. Die Frage der Altersversorgung ist dann gestellt, wenn es deswegen zu wenig Arbeitskräfte gibt, die genug produzieren könnten, um die Alten und sich selbst zu versorgen. Falsch dagegen ist, dass hier das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung versagt und dass daher privat vorgesorgt werden müsse. Das ist nicht die Lösung.

Denn wenn die Produktion wegen fehlender Arbeitskräfte ihre Obergrenze erreicht hat, dann führt privates Sparen mit dem Ziel der Altersversorgung nicht zu mehr Produktion. Entscheidend für das Funktionieren des Umlageverfahrens ist nicht einfach die Zahl der Jungen und Alten. Noch wichtiger ist das Folgende: Wie viel Produkte stellen die Erwerbstätigen in einer Stunde her, wie hoch also ist die Arbeitsproduktivität? Wie viel Arbeitslose es gibt und wie viel nicht gewollte Teilzeitbeschäftigung? Wie hoch ist der Lohn angesichts der Produktivität der Arbeit? Zahlen alle Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung? Für die öffentliche Meinung, besonders aber für die durch Politik und Medien hergestellt Meinung zählt in erster Linie der biologische Aspekt der Frage, nicht aber die Arbeitsproduktivität, die unerwünschte Teilzeit, die Lohnhöhe und Beitragspflicht. Die steigende Arbeitsproduktivität als Folge von technischem Fortschritt oder die Verteilung des Einkommens sind in den Talk Shows eher tabu. Populäre Irrtümer sind eben schwer auszurotten, besonders dann, wenn Versicherungskonzerne daraus Gewinn ziehen!

Die Zahl der Alten also ist von 1991 bis 2011 um rund 40 Prozent gestiegen. Aber die Arbeitsproduktivität hat in derselben Zeit um rund 39 Prozent zugenommen: In Preisen von 2011 wurde in einer Erwerbstätigenstunde im Jahr 1991ein Wert von rund 32 Euro hergestellt, 2011 waren es 44 Euro. Arbeitsproduktivität und Anzahl der Alten sind also mit derselben Rate (um rund 40 Prozent) angestiegen. Warum ist der reale Lohn nicht um 39 Prozent gestiegen? Höhere Löhne nämlich steigern die Einnahmen der Rentenversicherung. Und überdies wären die Einnahmen der Rentenversicherung um ein Weiteres gestiegen, wenn die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in diesem Zeitraum zugenommen hätte und nicht gesunken wäre, nämlich von 1991 bis 2011 um etwa sechs Prozent. So erklärt sich auch, dass die abhängige Beschäftigung von 1991 bis 2011 um fünf Prozent angestiegen ist: Die Teilzeitarbeit in ihren unterschiedlichen Formen hat zugenommen. Ist diese Bundesregierung deswegen tatsächlich „die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung“, weil wir, so Kanzlerin Merkel am 21.November im Bundestag, „ den tiefsten Stand der Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung haben“?

Doch zurück zur privaten Altersvorsorge. Unterstellen wir, dass es trotz allem zu wenig Junge gibt, um die Alten zu ernähren. Wer eine Altersversorgung bezieht (gesetzlich oder privat), der konsumiert zwar, aber er produziert nicht. Das ist der alles entscheidende Punkt. Die Alten entnehmen der laufenden Produktion, die von den Jüngeren erzeugt wird, einen Teil für ihren Lebensunterhalt. Sie leben zu Lasten der Jüngeren. Dabei macht es keinen Unterschied, welches Recht ihnen den Zugriff auf die laufende Produktion erlaubt. Gleichgültig, ob ihr Recht daher stammt, dass sie als Junge die Alten durch ihre Beitragszahlungen ernährt haben, oder daher, dass sie privat gespart und zusätzlich Zinsen eingenommen haben: In jedem Fall entnehmen sie als Alte der laufenden Produktion etwas, das sie nicht selbst erzeugen.

Bei der privaten Vorsorge spart der Mensch, wenn er jung ist. Wenn wir nun davon ausgehen, dass die Obergrenze der Produktion erreicht ist, dann hat dieses Sparen, dieser Konsumverzicht es den damals Alten ermöglicht, auf Konsumgüter zuzugreifen. Und wenn die Jungen alt geworden sind, dann sorgen die dann Jungen durch ihr Sparen für den Konsum der Alten. Beim Umlageverfahren verzichten die jungen Beitragszahler ebenfalls in Höhe ihrer Beiträge auf Konsum. Da unterscheiden sich beide Verfahren nicht. Nachdem nun die Jungen alt geworden sind, zahlen die ‚neuen‘ Jungen Beiträge, und verzichten ihrerseits auf Konsumgüter, auf die nun die Alten zugreifen können. Welches Verfahren auch immer gewählt wird: Ist die Produktion durch den Mangel an Arbeitskräften begrenzt, kann sie weder durch privates Sparen noch durch das Umlageverfahren erhöht werden. Stets können die Alten nur das konsumieren, worauf die Jungen verzichten. Ob privates Sparen oder Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung: Was die einen sparen, konsumieren die anderen. Das Nettosparen ist hierbei stets Null.

Dennoch ist das Umlageverfahren überlegen. Hier wird politisch darüber entschieden, wie viel die Jungen sparen und die Alten konsumieren: Das Parlament regelt die Höhe der Beiträge und die Höhe der Renten. Damit ist auch sicher, dass der Rentenanspruch solange nicht entwertet wird, wie bei Preissteigerungen die Nominallöhne und damit die nominalen Beitrage steigen. Bei der privaten Vorsorge entscheiden die Preissteigerungen, die allgemeine Entwicklung am Kapitalmarkt, die Zinspolitik der Zentralbank und Ähnliches mehr über den endgültigen Realwert des Rentenanspruchs. Hierbei kann die Mechanik des Marktes nicht sicherstellen, dass die Jungen so viel sparen, wie die Alten konsumieren. Und auch für den einzelnen Sparer ist kaum vorauszusehen, wie hoch sein Lebensstandard im Alter sein wird. Denn niemand weiß, mit welcher Geschwindigkeit die Preise der Konsumgüter steigen, welchen realen Wert die Ersparnisse haben. Niemand kann voraussagen, wie hoch die Zinserträge und Kursgewinne oder –verluste sind. Gegenwärtig ist die gesetzliche Rentenversicherung trotz aller Verschlechterung im Vorteil: „Die Rente vom Staat schlägt Allianz & Co“, schreibt Gertrud Hussla im Handelsblatt vom 14. Januar. Und weiter: „Wer noch zwanzig Jahre arbeiten muss, kann die staatliche Rente vergessen, glauben viele. Weit gefehlt: Die gesetzliche Rente wurde zwar kräftig gekürzt, doch sie schlägt Privatrenten um Längen.“

Dennoch eröffnet die private Vorsorge für die Alten eine Möglichkeit, mehr zu konsumieren als das, worauf die Jungen im eigenen Land verzichten: Wenn Rentenfonds Geld im Ausland anlegen, kann bei entsprechenden Zinseinnahmen und Kursgewinnen die Konsumnachfrage der Alten steigen. Sie kann höher ausfallen als das Sparen der Jungen. Das bringt dann keine Übernachfrage mit sich, wenn mehr importiert wird. Volkswirtschaftlich wird das verbucht als Defizit in der Handelsbilanz. Das wird finanziert durch einen Überschuss in der Bilanz der Vermögenseinkommen (Zinszahlungen aus dem Ausland) und in der Kapitalverkehrsbilanz durch Kapitalimport (Transfer von Geldvermögen vom Ausland ins Inland). Allerdings hat diese Lösung ihre Tücken: Das Risiko der Kapitalanlage im Ausland kann höher sein, der Importe von Waren aus dem Ausland kann dort den Konsum schmälern, wenn auch dort die Arbeitskräfte knapp sind und die Produktion ihre Obergrenze erreicht hat.

Deutlich wird bei all dem auch, wer die Vertragspartner beim sogenannten Generationenvertrag sind: Die Jungen, d.h. die Beitragszahler oder Sparer, müssen mit den ganz Jungen, mit den noch nicht Geborenen einen Vertrag abschließen. Diese nachkommende Generation muss sich verpflichten, auf denjenigen Konsum zu verzichten, auf den die dann Alten wegen ihrer Beiträge oder ihres Sparens einen Anspruch erheben.

Beim privaten Sparen wird überdies ein Dilemma deutlich: Wenn das etwas einbringen soll, dann muss das Gewinneinkommen (die Dividenden und Zinsen) hoch sein. Das aber bedeutet ein niedriges Lohneinkommen, was es schwer macht, zu sparen. Für welches Ziel nun demonstrieren, für höhere Löhne oder höhere Gewinne?

Herbert Schui ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac sowie in der Linkspartei. Von 1980 bis 2005 war er außerdem Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden