Kowalski wählt Kaczynski

Polen vor der Sejm-Wahl Die Rächer der Erniedrigten und Beleidigten sind in ihrem Element

In Polen beginnt die heiße Wahlkampfphase vor dem Urnengang am 21 Oktober. Die entscheidende Frage lautet: Wird es der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gelingen, ihre Position zu behaupten - wird sie wie 2005 wieder als stärkste Partei in den Sejm einziehen und weiter an der IV. Republik bauen können?

Sollte nach diesem Votum Staatschef Lech Kaczynski seinen Zwillingsbruder Jaroslaw erneut mit einer Regierungsbildung beauftragen dürfen - wer käme dann als Partner in Betracht? Ein Aufguss der gescheiterten Allianz mit der Samoobrona von Bauernführer Andrzej Lepper und der katho-nationalistischen Liga Polnischer Familien (LPR) des Roman Giertych scheint ausgeschlossen. Es bliebe nur ein Schachzug übrig, der nach der Sejm-Wahl vom September 2005 ausgeschlagen wurde: ein Bündnis der beiden Rechtsparteien PiS und Bürgerplattform (PO).

Vor zwei Jahren hatte sich die PO im Wahlkampf bereits selbst als strahlenden Sieger hofiert und Parteichef Donald Tusk auf ihren Wahlplakaten als künftigen Präsidenten gefeiert - doch es kam anders. Die PiS gewann mit deutlichem Vorsprung (s. Übersicht), bot aber eine Koalition und Ressortteilung mit der PO im Verhältnis von 50 : 50 an. Sie war sogar bereit, einem PO-Politiker die Schlüsselstellung des Sejmmarschalls zu überlassen, Obwohl zwischen beiden Parteien die programmatische Nähe unübersehbar war, lehnte Donald Tusk "diesen Eintopf" entschieden ab.

Sie verteidigen die Opfer

In der augenblicklichen Wahlschlacht geben sich PiS und PO erneut als Todesfeinde, auch wenn Polens Arbeitgeberverband und die Wirtschaftskorporationen mit wachsender Ungeduld stabile innenpolitische Verhältnisse reklamieren. Die Dompteure in der Manege faseln dennoch unablässig vom "absoluten Durchmarsch und Sieg", ohne selbst ernsthaft daran zu glauben, dass es gelingen könnte, 231 Sitze oder mehr im 460-köpfigen Sejm zu erobern.

Nicht zuletzt für die EU wird es von Interesse sein, wer diesem Ziel am nächsten kommt. Eine Prognose zu wagen, fällt schwer - da aber Präsident Lech Kaczynski seinen Amtsbonus ungerührt ausbeutet und aktiv in den Wahlkampf eingreift, ist nicht auszuschließen, dass seine Partei auch am 21. Oktober wieder besser abschneidet als der Gegner Bürgerplattform. Die Kaczynskis hinterlassen einfach mehr Wirkung als der politisch graue und zuweilen unbeholfen agierende - oder nur reagierende - Donald Tusk. Es ist den Brüdern gelungen, soziale Claims klar abzustecken, auf denen die PO zur persona non grata degradiert ist.

"Ihr seid auf der Seite der Reichen, der Großkapitalisten und Oligarchen. Ihr wollt deren in der III. Republik erreichten Positionen verteidigen - wir verteidigen die Opfer der III. Republik!" schreit die PiS in Wahlspots und auf Plakaten ihren Gegnern ins Gesicht. Das klingt nach Klassenkampfparolen und kommt beim PiS-Anhang gut an. Zwar haben die Kaczynskis seit 2005 fast alle sozialen Versprechen gebrochen, doch wird das skrupellos einer "erbarmungslosen Opposition" zu Last gelegt. Immerhin - so Jaroslaw Kaczynski - habe seine Regierung begonnen, die Korruption unerbittlich zu bekämpfen, dafür ein nationales Antikorruptionsbüro ins Leben gerufen und "schon manche Clique entlarvt".

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, um die seit 1990 betriebene "diebische Privatisierung" zu durchleuchten, kam nicht zustande, weil die Opposition ihn sabotierte, dafür jedoch wurde der Militärische Abschirmdienst (WSI) abgeschafft, der den Oligarchen gedient haben soll. Gewiss sei von den sozialen Wohltaten für das Volk manches ausgeblieben, deshalb brauche man ja einen neuen Sejm. Gesetzesvorlagen über einen auf 1.100 Zloty (297 Euro) angehobenen Mindestlohn, für mehr Steuerabschreibungen, die kinderreichen Familien zugute kämen, für bessere Gehälter bei der Polizei, für Ärzte und Krankenschwestern, den Öffentlichen Dienstes überhaupt - all das gebe es bereits auf dem Papier, sagt Jaroslaw Kacznyski. Wenn die PiS am 21. Oktober triumphiere, werde dies 2008 ausnahmslos eingeführt. Den Vorwurf der PO, man habe es wie 2005 wieder mit leeren Versprechungen zu tun, weil der Haushalt derartige Maßnahmen gar nicht erlaube, wischt Jaroslaw Kaczynski mit lockerer Hand von seinem sozialen Gabentisch: Seht her, die wollen nichts für die Armen tun!

Sie tun ihr Bestes

Dass die PiS von einer vermutlich erneut niedrigen Wahlbeteiligung profitieren wird, steht außer Zweifel. Die Kaczynski-Partei kann sich auf einen harten Wählerkern von etwa 25 Prozent verlassen, den sie zu vergrößern hofft. Von der Sejm-Wahl 2005 wollten nur 40,5 Prozent der Wahlberechtigten etwas wissen.

Eine soziologische Aufschlüsselung des PiS-Elektorats ergab im August: Nur vier Prozent erreichen ein Einkommen von mehr als 4.000 Zloty (derzeit 1.080 Euro), 42 Prozent dagegen müssen sich mit Einkünften unterhalb der 1.000-Zloty-Grenze (270 Euro) begnügen. Faktisch sind zwei Drittel der Familien, die zum Wählerstamm der PiS gerechnet werden, auf weniger als 1.200 Zloty (324 Euro) angewiesen (davon etwa 35 Prozent auf lediglich 500 bis 900 Zloty / 135 bis 243 Euro). Nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt ist der PiS-Wähler zu 32 Prozent Bauer, zu 30 Prozent Hilfsarbeiter und zu 22 Prozent Facharbeiter. Von den Pensionären schwören 37 Prozent auf die Kaczynski-Brüder. Schaut man nach dem Alter ihrer Wählerschaft, so haben 38 Prozent das 64. Lebensjahr überschritten, 29 Prozent sind zwischen 55 und 64 Jahre alt und 26 Prozent gehören zum "alten Eisen" zwischen 45 und 54 Jahren. Fragt man nach der Frömmigkeit, lautet die Antwort: 44 Prozent aus der Kaczynski-Gemeinde gehen jeden Tag in die Kirche - 29 Prozent nur am Sonntag.

Es heißt bei vielen Analysten, die Kaczynskis hätten den durchschnittlichen Polen - den Herrn Kowalski - für sich gewonnen. Herr Kowalski will eine starke Regierung, die Ordnung hält und mehr Sicherheit garantiert, und verzichtet dafür notfalls auf persönliche Freiheiten. Herr Kowalski schätzt die "Wir sind wer"-Politik in der EU und unterstützt den "harten Kurs" gegenüber Deutschland und Russland.

"Nur die Kirche ist die Bewahrerin des einzig universalen Wertesystems", sagte neulich Jaroslaw Kaczynski auf einer Pilgerfahrt in Tschenstochowa. Folglich ist auch das äußerst umstrittene Radio Maryja des Patesr Tadeusz Rydzyk (s. Freitag 40/07) für die PiS: Ein richtiger Katholik könne nur diese Partei wählen. Als Trumpf in der Wahlkampagne ist ohnehin die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass alle Stationen der öffentlich-rechtlichen Telewizja Polska und Polskie Radio Werbung für Jaroslaw Kaczynski betreiben. Womit sich auszahlt, dass seit 2005 die Chefetagen der Anstalten ausnahmslos mit PiS-Leuten besetzt wurden. Das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) - ebenfalls fest in PiS-Händen - publiziert gerade wieder Listen von ehemaligen Mitarbeitern der einstigen Sonderdienste, und Antoni Macierewicz, Chef der neuen Militärischen Abwehr, kündigt einen zweiten Bericht über den "kommunistischen" MAD für nächste Woche an.

Und falls das nicht reicht, reisen Jaroslaw Kaczynski und seine Minister kreuz und quer durch Polen, um neue Brücken, Straßenabschnitte und Sozialeinrichtungen zu eröffnen - sie wollen siegen und tun ihr Bestes.

P. S. Auf das Tun der Linken und der mit ihr verbündeten Demokraten (Linke und Demokraten bilden die LiD), der dritten Kraft in diesem Wahlkampf, wird noch in einem gesonderten Text vor den Wahlen eingegangen.


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