Wenn ich durch die Sümpfe und frischen Wasserläufe waten würde, die den Zeitraum füllen zwischen Liebenden, die sich in den Armen liegen, und dem bitter-süßen Morgenkaffee, den ich beim Lesen der täglichen Gewalt-Nachrichten trinke. Wenn ich meinen Erinnerungstrip in den Dienst dieses Textes stellen würde, der den Ereignissen am 11. September vor zehn Jahren gedenkt, einem ergreifenden Moment, der für viele so einzigartig ist und für andere so gewöhnlich. Einem Angriff, der die Struktur einer ganzen Brave New World nach Vorgabe und Kommando der USA prägte. Dann bliebe mir nichts übrig, als mit Worten zu ringen, um Metall durch Flammen zu schmelzen, Glas durch Haut, Politik, die mit Religion durchtränkt ist. Und dies, um
um am Ende des Schreibens einen zusammenhängenden Text produziert zu haben, der erzählen kann, wie es ist, ich zu sein. Eine Palästinenserin aus dem Nirgendwo.Die Anfänge sind immer das Problem.Ich sollte mit einem konkreten Anfang beginnen. Nicht mit meiner grünäugigen Mutter aus Nazareth, die die Freiheit von New York City in ihrem Lächeln trug, noch mit meinem gut aussehenden Vater, der aus einem Dorf in Galiläa nach Princeton und zurück nach Beirut, dann ins Exil in Damaskus reiste. All das tat er für seine größte Liebe, diese Obsession, die wir „Freiheit für Palästina“ nennen.Ich sollte mit Bier anfangen. Oder vielleicht mit Zigaretten. Und viel lockigem Haar. Dem Geräusch des Verkehrs in Beirut, wo die Autos tragisch über Straßen flitzen, die eigentlich nur für Füße gemacht sind. Und mit Freundschaft oder einer nicht so unschuldigen Jugend. Meiner Jugend.Ich werde mit fehlender Nüchternheit beginnen, einem faulen trüben Nachmittag, an dem wir kleine Küchlein backten und womöglich unser Gehirn.Damals sollte ich mit einem Fulbright-Stipendium nach New York an die Filmschule der New York University gehen. Das Leben war schön. Ich war 23 und machte etwas daraus. Dann klingelte das Handy meiner besten Freundin. Oder vielleicht war es auch eine SMS: Schaltet euren Fernseher ein, es sieht so aus, als wäre irgend so ein Flugzeug in irgend so ein Gebäude geflogen.Und da war es. Wir kauften mehr Bier. Mehr Leute kamen vorbei. Niemand ging irgendwohin. Die werden uns vernichten, sagte meine beste Freundin. Das könnten sie einfach.Mit Musik von Leonard CohenUnd der Krieg kam. Und noch einer.Ich hatte mein Leben vergraben in Büchern verbracht, und der Krieg war immer woanders. Als er in Palästina wütete, war ich in Beirut. Und als er in Beirut tobte, war ich im ruhigen Damaskus. Als er in Syrien herrschte, lebte ich in Amman.Ich wuchs mit Poesie auf und mit Prinzessinnen, die Superkräfte hatten. Und mit der Komplexität menschlicher Psychologie in großen Romanen. Und mit der Musik von Leonard Cohen, die in einem 12-jährigen Mädchen soviel Melancholie wach rief wie nur möglich. Und als mein Vater sein Land verlor, brach ich nicht zusammen. Und als meine Mutter ihr Leben verlor, brach ich nicht zusammen. Aber auf Krieg war ich immer unvorbereitet.Als Kind fragte ich meinen Politiker-Vater, der immer weg, auf wichtigen Meetings war oder grimmigen Blicks die Nachrichten sah, der Bücher las, statt mit mir zu singen: „Wieso ist Politik wichtig?“Weil sie das tägliche Leben beeinflusst, antwortete er. Sie wirkt auf alles, was mit dir zu tun hat, Liebling.Und ich spöttelte. Wo war die Politik, als ich in Damaskus meine erste Zigarette rauchte? Oder wo war sie, als ich den ersten Jungen bei einem Schulpicknick küsste, hinter einem Baum und meine Zahnspange dabei seine Lippe blutig machte? Wo war sie, als ich mich in Beirut in einen christlichen Jungen verliebte, für den ich nichts war als ein 17-jähriger palästinensischer Rotschopf, der ihn erschreckte? Nicht die Locken, nicht die roten Haare, nicht das Temperament, sondern die Tatsache, dass ich zu „diesen Leuten“ gehörte, „diesen Flüchtlingen“, hat ihn irritiert. Und er war einer der auserwählten nationalen Einwohner, die den Libanon gegen die dreckigen Außenseiter verteidigen wollten. Heute, 15 Jahre später, verstehe ich ihn plötzlich.Als ich 2006 in den tobenden Nahen Osten zurückkehrte, waren ein paar Dinge offensichtlich geworden. Ich konnte es nicht ertragen, in New York City zu leben, wo ich ein Niemand war, der Stadt, in der ich mit Performern in den Comedy Clubs streiten musste, die es hassten, wenn ihre zionistischen Ansichten angegriffen wurden. Ich wusste, dass ich gewonnen hatte, als einer mich aufforderte: „Go fuck yourself“. Weil ich Araberin war, eloquent, eine junge unerschrockene Frau und weil ich den schwarzen schönen Mann an meiner Seite hatte, der mich die wilde Kriegerin sein ließ, für die ich mich hielt.Die Torheit der Jugend ist immer Torheit, im Rückblick.2006, nach einigen Jahren in Amerika – in denen ich auf den Straßen von New Orleans vergnügt Bloody Marys getrunken und in Vegas eine kleine, aber begeisterte Liebe für Black Jack entwickelt hatte, mich in der Hitze von Kalifornien gesonnt und dort geraucht hatte und in denen ich stolperte, umgeben von Liebe in Seattle – 2006 also kehrte ich in den Nahen Osten zurück, voller Angst.Sie ließen mir herzlich wenigIn Beirut hatte sich das Spiel verändert, aber die Spieler waren dieselben. Die Warlords der vergangenen 30 Jahre waren immer noch da, auf aktualisierten mit Photoshop bearbeiteten Plakaten, die unsere schönen Beiruter Mauern entwürdigten. Sie wollten die Wahrheit über die Ermordung des Präsidenten, aber jede Nacht ergötzten sich alle an Öl, fettigem Essen und lästerten über die unteren Klassen.Sie hatten keinen Platz gelassen, an dem ich meine Zelte aufschlagen konnte. Sie sagten, man sei ein widerwärtiger, hinter dem Westen stehender amerikanischer Dreckskerl, wenn man den Hariri-Clan unterstützte. Und sie sagten, man sei ein fundamentalistischer, Iran liebender Heuchler, wenn man die Hisbollah unterstützte. Sie ließen mir niemanden, den ich hätte lieben können. Sie ließen meinen libanesischen Freunden niemanden, den sie hätten wählen können. Und sie ließen sehr wenig von dem panarabischen säkularen Traum übrig, für den mein Vater seine Familie, seine akademische Karriere in den USA und schließlich meine Mutter aufgegeben hatte. Sie ließen mir also herzlich wenig.Jetzt haben wir den so genannten Arabischen Frühling. Ich weinte wie ein Kind, als ich sah, wie in Ägypten Polizeiautos angesteckt und in den Nil geworfen wurden. Ich schrieb. Ich las Gedichte und überarbeitete meinen Dokumentarfilm. Ich saß, völlig verblüfft, hinter dem Gefängnis meines Laptop-Bildschirms, als Syrien gerade zu bröckeln begann.Ich vermisste meinen Vater während meiner Monate langen Abwesenheit, da ich zu feige bin, einen Fuß in ein Land zu setzen, in dem Twittern als Bedrohung gilt, Bloggen ein Verbrechen darstellt und eine Meinung zu haben zur Erschießung deiner Familie führen kann.Und fünf Jahre nachdem ich die USA verlassen habe, muss ich es zugeben: Ich habe meine Freiheit nicht. Ich habe sie nicht. Ich zensiere, was in meinen Büchern steht. Ich zensiere die rasende Wut, die ich auf diese Cyberworld surrealen Wahnsinns loslassen möchte. Ich weigere mich, einen Mann zu finden, mit dem ich Kinder in diese Heimatlosigkeit setze. Und ich habe Angst. Freunde von mir sind wegen ihrer Musik im Gefängnis. Andere sitzen dort wegen publizierter Meinungsäußerungen. Und manche allein für das Grundrecht, nicht an die heiligen Bücher zu glauben.Es hätte nie geschehen dürfenUnd sie können so viele entführte Flugzeuge durch so viele unter einem schlechten Stern stehende Gebäude schicken, wie sie wollen. Und die anderen können das dann als Vorwand für ungerechte Kriege an entlegenen Orten nehmen, um dort unter dem Deckmantel der Demokratie die Ressourcen zu plündern.Und sie können die Burka verbieten und den Badeanzug. Sie können uns mit Fatwas (islamischen Rechtsgutachten) gegen die Schönheit überschütten. Sie können die zahllosen Seelen beweinen, die von der Polizei getötet wurden, oder vom Nichteinschreiten. Von gewählten Repräsentanten und Tyrannen. Ich existiere. Die Palästinenser behaupteten schon immer, allein zu existieren sei Widerstand zu leisten. Das ist die neue Lektion, die ich gelernt habe.Der 11. September hätte nie geschehen sollen, so wenig wie tausend andere Terrorakte. Ich stelle keine Tragödie über die andere. Der Verlust jeden Lebens auf diese absolut nutzlose Weise reduziert uns alle. Das macht mich fertig. Dann zieht es mich wieder hoch und gibt mir ein Ziel. Und ich komme in Bewegung, denn ich merke mit zunehmendem Alter, dass dies das Pendel des Lebens ist, über das ich keine Kontrolle habe.Ich kann nicht mehr tun, als da sein. Als zu versuchen, nicht für meine freien Worte ins Gefängnis zu kommen und nicht für die wahre Liebe zu sterben.
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