Ein Emigrant aus Göttingen

Der Franck-Report Ein Versuch, die Atombomben-Abwürfe im letzten Augenblick zu verhindern

Er ist von Hause aus ein nationalbewusster Deutscher. Im Ersten Weltkrieg meldet sich James Franck freiwillig, avanciert zum Leutnant und wird für erwiesenen Mut vor dem Feind mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse ausgezeichnet. 1920 beruft ihn die Universität Göttingen zum Professor für Physik, er hält der Lehranstalt über Jahre die Treue, und als Max Born als Jude im Frühjahr 1933 die Universität verlassen muss, kann Franck als dekorierter Weltkriegsoffizier vorläufig bleiben. Aber aus Protest tritt er freiwillig von seinem Hochschulamt zurück. Dem Rektor schreibt er: "Wir Deutschen jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt. Man fordert, dass unsere Kinder in dem Bewusstsein aufwachsen, sich nie als Deutsche bewähren zu dürfen. Wer im Kriege Soldat war, soll die Erlaubnis erhalten, weiter dem Staat zu dienen. Ich lehne ab, von dieser Vergünstigung Gebrauch zu machen..."

Nationalsozialistische Dozenten verurteilen Franck und solidarisieren sich mit der Hitler-Regierung. Der Rektor der Universität schweigt. Von Freunden und aus dem Ausland kommt viel Zuspruch. Franck emigriert und wird Professor an der Universität Chicago. Er nimmt die amerikanische Staatsangehörigkeit an. An seiner Universität trifft er auf den Nobelpreisträger Arthur Compton, der ihn zur Mitarbeit an dem Atombombenprojekt einlädt. Franck zögert zunächst, willigt aber schließlich ein, weil er ähnlich wie Albert Einstein einen Vorsprung Hitlers beim Bau der Atomwaffe fürchtet, was verheerende Folgen haben könnte. Franck fordert aber von Compton die Zusage, dass er bei Gelingen des Projektes das Recht haben werde, den höchsten Stellen seine Bedenken gegen die Nutzung der Bombe zu übermitteln. Compton gibt ihm diese Zusage und hält später Wort.

Aber das Wettrennen mit Hitler findet gar nicht statt. Deutschland kapituliert am 8. Mai 1945 und die Frage lautet: Soll, darf Japan bombardiert werden? Das will James Franck unbedingt verhindern. So verfasst er ein Memorandum, das später als "Franck-Report" bekannt, aber auch bald wieder vergessen wird, denn in ihm steckt eine unangenehme Wahrheit. In dem Text heißt es unter anderem: "Nukleare Bomben können wahrscheinlich nicht länger als einige Jahre eine Geheimwaffe zum ausschließlichen Nutzen eines Landes bleiben... Wenn nicht eine wirksame internationale Kontrolle über die nuklearen Sprengstoffe geschaffen wird, ist es gewiss, dass unmittelbar auf die für die ganze Welt erstmalige Enthüllung unseres Besitzes von Kernwaffen ein allgemeines Aufrüsten einsetzen wird ... Wir glauben, diese Betrachtungen lassen die Anwendungen von nuklearen Bomben für einen baldigen unangekündigten Angriff auf Japan nicht ratsam erscheinen. Wenn die Vereinigten Staaten die ersten wären, die dieses neue Mittel zur Zerstörung der Menschheit anwendeten, würden sie jeden öffentlichen Beistand in der Welt verlieren, das Wettrüsten heraufbeschwören und die Möglichkeit beeinträchtigen, ein Internationales Abkommen zur zukünftigen Kontrolle dieser Waffen zu erreichen."

Am 12. Juni 1945, also knapp zwei Monate vor der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis, wird der Franck-Report dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister Georg Harrison in Washington übergeben. Mitunterzeichner sind vier Wissenschaftler, die gleichfalls am Kernwaffen-Projekt gearbeitet haben. Darunter ist Leó Szilárd, der zuvor Albert Einstein den verhängnisvollen Brief an Roosevelt abgerungen hatte - das Memorandum bleibt wirkungslos.

Noch mit einem weiteren humanistischen Vorstoß soll James Franck scheitern. Als er aus Briefen erfährt, dass in Deutschland viele Menschen durch Hunger und Kälte Not leiden, will er eine Hilfsinitiative starten. Vor allem beunruhigt ihn der Morgenthau-Plan, den Präsident Roosevelt noch kurz vor seinem Tod unterschrieben hat. Der Plan sieht vor, Deutschland in einen Agrarstaat mit minimaler Industrialisierung umzuwandeln. Zusammen mit einflussreichen Amerikanern will Franck die Regierung durch einen Appell dazu gewinnen, ihre Haltung gegenüber Deutschland zu revidieren. Eine Kopie des Textes schickt er mit der Bitte um Unterschrift an Einstein. Aber dieser lehnt schroff ab, redet Franck plötzlich förmlich mit "Sie" an, und versichert, dass er auf die "Tränenkampagne" der Deutschen nicht hereinfalle und bei ihnen auch keine Schuldgefühle und Reue erkenne. Nach einem vergeblichen Versuch, Einstein doch noch umzustimmen, zieht Franck den Appell resigniert zurück in der Annahme, "daß Du (Einstein - die Red.), wenn er veröffentlicht wird, dagegen auftreten wirst." So schickt er nur an frühere Freunde viele Lebensmittelpakete zur Linderung des Elends. In Albert Einstein haben sich offenbar die unter den Nazis erlittenen Kränkungen so tief eingegraben, dass er dem Freunde Franck schon die bloße Anfrage als ungehörige Zumutung verübelt, als hätte dieser nicht auch Verwandte und Freunde durch die Hitler-Barbarei verloren.


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