Anfang der Woche erschien ein weltweiter Aufruf, unterzeichnet von mehr als 560 Autoren aus aller Welt. Darin wird von Regierungen und Geheimdiensten das Ende massenhafter Überwachung sowie die Verabschiedung einer digitalen Menschenrechtscharta gefordert und der Bürger zum Widerstand aufgerufen.
Wieso melden sich gerade die Autoren der Welt auf diese Weise zu Wort? Was haben sie schon zu sagen, wenn sie sich politisch einmischen. Sind sie Spezialisten? Haben sie vielleicht besondere Kenntnisse? Die Schriftsteller haben erkannt, dass die Erfassung aller Daten aller Bürger keineswegs – wie oft von Politikern behauptet – eine administrative Abwägung zwischen den Werten von Sicherheit und Freiheit vornimmt, sondern einen einschneidenden Paradigmenwechsel vollzieht. Die Bürger unterliegen inzwischen einem Generalverdacht. Sie werden kriminalisiert. Die Unschuldsvermutung ist keinen Pfifferling mehr wert. Wir Schriftsteller sind von Berufs gegen Angriffe auf die Meinungsfreiheit frühzeitig empfindlich. Wir wissen, dass die allumfassende Transparenz aller Kommunikation irgendwann einmal die Gedanken ihrer Freiheit berauben wird. Gedanken benötigen zur Reifung eine gesicherte Privatsphäre.
Auch Recherchen, die oft nach garantierter Anonymität verlangen, werden zunehmend erschwert. Wer wird sich schon einem Publizisten anvertrauen, wenn Vertraulichkeit ein leeres Versprechen ist. Jemand, der das freie Wort wie die Luft zum Atmen braucht, ahnt, dass es keine effizientere Repression gibt als die Selbstzensur, die selbsterniedrigende Folge von Kontrolle und Furcht. Insofern ist der oft geäußerte Satz „Ich habe nichts getan, also habe ich nichts zu befürchten“ unsinnig. Denn er erkennt nicht, dass die Kontrolle schon die eigentliche Gefährdung der Freiheit ist – nicht erst die Maßnahme, die sich aus der Überwachung ergibt.
Was soll ein solcher Aufruf – entstanden aus einer selbstorganisierten Zusammenarbeit von engagierten Autoren und Übersetzern, bewaffnet allein mit Zeit und gutem Willen – schon bewirken? Ist der Zug nicht schon längst abgefahren, wie es sich viele Bürger einreden? Mitnichten. Wer das wirklich glaubt, hat sich innerlich von der Vision einer freiheitlichen Gesellschaft verabschiedet. Eigentlich wäre es ein Leichtes, entsprechende Gesetze einzuführen, die Geheimdienste strenger zu regulieren (wer finanziert übrigens ihre Budgets?) sowie innerhalb der Europäischen Union und den Vereinten Nationen entsprechende Konventionen einzubringen. Und das wären noch eher konservative Lösungen, die weder revolutionäres Umdenken oder einen Umsturz der herrschenden Machtverhältnisse erfordern.
Aber es fehlt am politischen Willen. Die Politiker lassen sich überrollen von einer Bürokratie mit Allmachtsphantasien. Sie lassen sich gängeln von multinationalen Konzernen, die immer weniger Steuern zahlen und immer mehr Daten stehlen. Es ist Widerstand gefordert, breiter, weltweiter Widerstand. Diesen anzuregen, ist durchaus Aufgabe jener, die das Privileg haben, sich den ganzen Tag lang Gedanken über den Zustand der Welt zu machen. Und weil dieser Widerstand global gedacht und geführt werden muss, war der Aufruf der Autoren gegen massenhafte Überwachung von Anfang an auch global angelegt. Die Unterzeichner stammen aus allen fünf Kontinenten und allen Regionen der Welt. Einig sind sie sich vielleicht nur in einem Punkt: in ihrer tiefen Sorge über die gegenwärtige Entwicklung von Demokratien zu Überwachungsstaaten.
Auch viele der führenden Schriftsteller der Vereinigten Staaten sind dabei, großartige Kollegen wie Don LeLillo, Richard Ford, Paul Auster, T. C. Boyle, Jeffrey Eugenides und Dave Eggers. Anders als der US-Kongress oder die meisten großen amerikanischen Medien verfolgen sie überaus kritisch die Enthüllungen über immer neue Machenschaften des Geheimdienstes NSA. Absichtlich richtet sich der Aufruf nicht gegen ein Land, eine Außenpolitik, einen Geheimdienst. Denn auch wenn die National Security Agency einen technologischen Vorsprung genießt – massenhafte Überwachung wird in jedem industrialisierten Staat der Welt betrieben, und das mit verschärfter Tendenz.
Dies ist das erste Fanal einer neuen Bewegung. Es sollen sich ihr nicht nur weitere Künstler anschließen, sondern auch viele Bürger. Wir fordern die deutsche Regierung ist auf, endlich zu reagieren. Weiteres Schweigen, gekoppelt mit der stillschweigend vorangetriebenen Erweiterung der Befugnisse für die Geheimdienste, würde ihre Achtung vor unserer Verfassung und unseren digitalen Bürgerrechten endgültig infrage stellen. Dieser massiven Gefährdung werden wir alle noch einige Zeit ausgesetzt sein. Bei der globalen Bewegung gegen massenhafte Überwachung geht es vor allem um eine Frage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Nur wer sich von allen Freiheiten endgültig verabschieden möchte, sollte als Bürger zukünftig schweigen.
Ilija Trojanow ist Schriftsteller, Verleger und gemeinsam mit Juli Zeh, Eva Menasse, Janne Teller, Priya Basil, Josef Haslinger und Isabel Fargo Cole Initiatior einer International Bill of Digital Rights. Mehr Infos unter change.org/ueberwachung
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