Irgendwann in ein Heim zu müssen, ist für jeden von uns ein Albtraum. Besonders häufig werden Menschen mit Behinderungen oder hohem Pflegeaufwand im Alter in Heime gegeben. Betroffen sind aber auch Kinder und Jugendliche, die ihre Eltern verloren haben und Menschen, die aus psychischen oder anderen Gründen pflegerisch aufwändig betreut werden müssen. Die demographische Entwicklung könnte dazu führen, dass immer mehr alte oder demenzkranke Leute in Heimeinrichtungen, Anstalten oder ähnliche Institutionen gesteckt werden. Tatsache ist jedoch, dass sich Groß-Wohneinrichtungen sowohl im Bewusstsein der Bevölkerung als wenig attraktiv darstellen, als auch im praktischen Leben zunehmend die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinter sich l
h lassen. Das strenge Regime einer Hausordnung lässt für Selbstbestimmung keinen Raum. Das Recht auf ungehinderte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben besteht für die Heimbewohner nur formal. Hohe Kosten führen nicht selten dazu, dass sich die Betroffenen von ihrem persönlichen Hab und Gut trennen müssen. Heimbewohner bemängeln außerdem, wie wenig Personal in den Einrichtungen zur Verfügung steht, Personal, das unter einem rigiden Zeitplan arbeiten muss. Die unzumutbaren Arbeitsbedingungen können auch durch noch so großes persönliches Engagement einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht kompensiert werden. Fälle von Gewalt in der Pflege sind hinreichend dokumentiert. Sie verlangen, dass sich die Politik mit den Bedingungen auseinandersetzt, die diese Formen der gewalttätigen Missachtung der Menschenwürde hervorbringen. Wir müssen uns fragen, ob wir diese Institutionen nicht durch kleinere und andere Wohnformen mit ambulanter Pflege oder Assistenz ersetzen können.Kann es eine Zukunft ohne Heime geben? Schweden, Norwegen und die USA haben diesen Schritt getan und mit der Auflösung von Heimen positive Erfahrungen gemacht. Hier trägt der vor 25 Jahren begonnene Kampf für das Recht jedes Menschen auf ein Leben in der Gemeinde seine Früchte. Norwegen verfügte vor 15 Jahren die Auflösung aller Heime für Menschen mit geistiger Behinderung. Hauptmotiv war dabei die Menschenrechtsperspektive, nicht die Einsparung von Kosten. Eine Gruppe der Lebenshilfe Baden-Württemberg war vor Ort und erlebte so manche Überraschung. So sind vor allem Menschen mit sehr hohem Hilfebedarf die Gewinner der Reform und die Kosten sind im Ganzen betrachtet durch die Ambulantisierung nicht höher als in der Heimbetreuung. Sowohl die Behinderten- als auch die Seniorenbewegung haben auch hierzulande innovative Konzepte ausgearbeitet, die sich mit vielfältigen Formen des Wohnens befassen und Ideen zur assistierenden Pflege bis hin zur persönlichen Alltags- und Ganztagsassistenz formulieren. Die Politik steht nun in der Pflicht, gesetzgeberische Lösungen zu finden, die helfen, diese Konzepte der Betroffenen umzusetzen. Denn immer mehr auf Hilfen angewiesene Menschen artikulieren den Wunsch, auch im Falle hohen Assistenzbedarfs außerhalb von Großeinrichtungen möglichst in der eigenen Wohnung zu leben. Die im Grundgesetz garantierte freie Wahl des Wohnsitzes muss auch im Falle hohen Assistenz- oder Pflegebedarfs gewährleistet sein. Wenn man fordert, Heime zu schließen, heißt das auch, den Menschen, die momentan in Heimen arbeiten, eine neue Perspektive über ein erweitertes Berufsbild zu bieten und die Rahmenbedingungen für ambulante Betreuungsstrukturen zu verbessern.Mit der Föderalismusreform, die die große Koalition nun auf den Weg bringt, soll das Heimgesetz aus Bundesverantwortung in die Hände der Länder gegeben werden. Das ist meines Erachtens der falsche Weg, denn er macht eher die Bahn frei für niedrigere Standards im Heimbereich. Die Anforderungen eines würdigen Lebens mit pflegerischer Assistenz sollten mit fachlicher Kompetenz fraktionsübergreifend ausgearbeitet werden. Daher schlägt die Linksfraktion vor, eine Enquête-Kommission einzusetzen, die sich damit beschäftigt, wie Weichen für die Zukunft so gestellt werden, dass jedem einzelnen Menschen auch dann die Chance auf Selbstbestimmung, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf Entfaltung seiner Persönlichkeit eröffnet werden, wenn er einen hohen Bedarf an Pflege, Betreuung, Beaufsichtigung, eben an personaler Assistenz, hat. Mit einer solchen Enquête-Kommission hätte der Gesetzgeber ein kompetentes Gremium, das Vorschläge unterbreitet, wie Menschen jeden Alters in Deutschland zukünftig außerhalb stationärer Einrichtungen leben können. Das Thema geht schließlich jede und jeden an.Ilja Seifert ist behindertenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke.