Nach den Ausschreitungen in Berlin am 1. Mai und den Demonstrationen der NPD ist die Diskussion um eine Verschärfung des Versammlungsrechts neu entbrannt. Inzwischen schließt auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine Änderung des Demonstrationsrechts nicht mehr aus. Seine Ankündigung, alle nötigen "exekutiven und legislativen Maßnahmen" zu prüfen, um Aufzüge extremistischer Organisationen an historisch exponierten Orten zu unterbinden, freut besonders die Berliner CDU.
Seit Monaten setzen sich die Christdemokraten in der Hauptstadt, allen voran Innensenator Eckart Werthebach und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, für eine Bannmeile um den Berliner Reichstag inklusive Pariser Platz und Brandenburger Tor ein. Neben befriedeten Bezirke an verschiedenen "historisch neuralgischen Punkten" solle ein "präzisiertes Versammlungsgesetz" dafür sorgen, dass künftig das Ansehen Berlins und der Bundesrepublik nicht weiter durch Aufmärsche extremistischer Gruppierungen Schaden nehme, sagt Innensenats-Pressesprecher Stefan Paris. Begründung für den CDU-Vorstoß: Die geltenden Gesetze reichten für ein wirksames Vorgehen gegenüber extremistischen Demonstrationen nicht aus.
Tatsächlich haben es Innensenator Werthebach und Polizeichef Hagen Saberschinsky in diesem Jahr nicht vermocht, Aufmärsche der rechtsextremen NPD wirksam zu unterbinden. Das Oberverwaltungsgericht in Berlin wies die behördlichen Verbote in allen Fällen zurück. Die Konsequenz: Neonazis marschierten am 29. Januar durch das Brandenburger Tor, am 12. März durch Berlin-Mitte und am 1. Mai durch Berlin-Hellersdorf. Die Teilnehmerzahl stieg dabei von 600 auf 1200 Personen. In Berlin scheint allmählich ein Hauptdemonstrationsplatz für Rechtsradikale zu entstehen. Gute Gründe also für die Pläne von Werthebach und Co?
Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht. Artikel 8 des Grundgesetzes gewährt allen Bürgern die Recht, sich "ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Den Veranstaltungsort können sie in der Regel frei wählen. Ohne schwerwiegenden Grund darf dieses Recht nicht eingeschränkt werden. Grundsätzlich sind demnach Aufmärsche auch von extremen Rechten nicht zu untersagen.
"Das ist schmerzhaft", räumt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ein. Der Gesetzgeber habe sich aber bewusst für diese Regelung entschieden. Andernfalls sei die Gefahr, staatlich gesteuerter Demonstrationen zu groß. Das Versammlungsgesetz sieht ein Verbot nur in Ausnahmefällen vor: Wenn von einer Demonstration Straftaten ausgehen oder zu befürchten sind.
Ihr Verbot für den NPD-Aufmarsch in Berlin-Hellersdorf begründete die Polizei in erster Linie damit, sie hätte zu wenig Personal, um die Demonstration zu schützen. "Das ist ein schwaches Argument und kann nicht klappen", kritisiert Wiefelspütz diese Argumentation. Polizeikräfte können bei Bedarf beim Innenminister aus anderen Bundesländern angefordert werden. Für den "Revolutionären Mai" hat das auch funktioniert. Vielmehr hätte auf die Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen und Straftaten hingewiesen werden müssen, um ein rechtskräftiges Verbot zu erlangen. Damit tut sich die Berliner Polizeibehörde aber offensichtlich schwer.
Ein Problem ist sicherlich die neue Strategie der NPD. Ihre jüngsten Aufrufe, im Internet und auf Flugblättern - kein Holocaust-Denkmal in Berlin, keine EU-Sanktionen gegen Österreich, Arbeit für Deutsche, - verschaffen den Staatsanwaltschaften keinen Anlass zur Verfolgung. "Die geben sich lammfromm", warnt Wiefelspütz.
Andererseits werden auf den meisten neo-nazistischen Aufmärschen nach wie vor massenhaft Gesetze gebrochen: Neonazis brüllen volksverhetzende, beleidigende Parolen und tragen dabei verbotene Uniformen. Sie glorifizieren faschistische Organisationen wie die Waffen-SS und versuchen mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Sprüchen die Bevölkerung aufzustacheln.
Das berichten Beobachter der NPD-Märsche. Das Antifaschistische Bündnis Berlin (AAB) weist im Internet zudem darauf hin, dass es nach Demonstrationen von Neonazis wiederholt zu Straftaten kommt. Alles gute Gründe für ein Verbot. Die Berliner Polizei scheint diese Tatsachen bisher jedoch nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Der Verdacht, dass mit der Diskussion um ein verschärftes Demonstrationsrecht eine ideologische Scheindebatte inszeniert wird, in deren Verlauf gewisse Hardliner ihre verschärfte Version eines Rechtsstaats durchsetzen wollen, liegt nahe. Bereits vor Wochen hat der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen durchblicken lassen, dass er alle Versammlungen von extremistischen Gruppen am Brandenburger Tor und auf dem Pariser Platz verbieten lassen will, unabhängig davon, ob Straftaten vorkommen oder nicht. Dazu zählen nach seiner Auffassung natürlich auch Demonstrationen seiner politischen Erzfeindin, der PDS.
Mit ihren Forderungen befinden sich Werthebach und Diepgen in bester CDU/CSU-Tradition. Bereits im Jahr 1985, knapp zwei Monate nach dem demonstrationsfreundlichen Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränkte die damalige Bundesregierung das Recht auf Versammlungsfreiheit durch das sogenannte Vermummungsverbot und das Verbot der passiven Bewaffnung erheblich ein. Dabei bezweifelten selbst Polizeiexperten die Notwendigkeit und Wirksamkeit der neuen Regelung. Schließlich konnte auch nach dem bis dahin geltenden Recht Vermummung untersagt werden. Zusätzlich wollte die CDU den Tatbestand des Landfriedensbruch (§ 125 StGB) erweitern, um Demonstranten, die sich in unmittelbarer Nähe von vermummten "militanten" Personen aufhielten, strafrechtlich ebenfalls belangen zu können. Der Vorstoß scheiterte am Widerstand der anderen Parteien.
Bislang stellt die Position von Werthebach und Diepgen eine klare Minderheitenmeinung dar, betont Wiefelspütz. Mit ihm sei weiterhin keine Verschärfung des Demonstrationsrechts durchzusetzen. Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit von wirklich relevantem Ausmaß seien in der letzten Zeit stets von rechts außen gekommen. Nicht schärfere Gesetze seien nötig, sondern die bestehenden Möglichkeiten müssten richtig ausgeschöpft werden.
Unterdessen haben sich Diepgen und Werthebach schon längst weiteren Feldern zugewandt. Sie wollen die so genannten P-Abteilungen wieder einsetzen, Sektionen der Staatsanwaltschaften gegen politisch motivierte Straftaten, die Rot-Grün vor zehn Jahren mit der Begründung abgeschafft hatte, hier gelte schon Gesinnung als Verdachtsmoment und nicht die Tat. Und mit lauten Gedanken über die Einführung der Videoüberwachung in der Hauptstadt ist die Lunte für einen gepfefferten Koalitionsstreit mit der SPD schon gelegt.
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