Affentheater

Tierversuche Nach jahrelangem Tauziehen wird die europäische Tierschutzrichtlinie neu gefasst

Bei wohl kaum einem Thema kochen die Emotionen so hoch wie beim Tierschutz. Während die einen die Versuche an Kaninchen, Ratten und Affen als unnötige Quälerei verurteilen, verweisen die anderen auf ihre zentrale Bedeutung in der Medizin. Rund zwölf Millionen Tiere sterben nach Angaben der Europäischen Kommission in den Mitgliedsstaaten jährlich in Laboren. Den ersten Platz nehmen unter den Versuchstieren Mäuse und Ratten ein.

"Eine Neufassung der EU-Tierversuchsrichtlinie war längst überfällig", meint die grüne Europaparlamentsabgeordnete Hiltrud Breyer. Stammte das bislang gültige Dokument doch aus dem Jahre 1986, weshalb ganze Bereiche wie die Forschung an genmanipulierten Organismen ungeregelt waren. Kürzlich legte die Europäische Kommission nun dem Parlament in Straßburg einen Entwurf vor.

Vorgesehen ist darin, auch Grundlagenforschung und Experimente an niederen Tiergattungen zu regeln. Unabhängige Behörden sollen mindestens zwei Mal im Jahr die Versuchs- und Haltungsbedingungen überprüfen. Positiv wertet Breyer zudem, dass Daten über Tierversuche verstärkt zwischen den Staaten ausgetauscht werden sollen, was zwangsläufig zu einer Reduzierung der Experimente führe. Auch könnten Firmen mit der Vereinheitlichung der Regelungen nicht mehr ins europäische Ausland ausweichen.

Auf scharfe Kritik bei den Tierschützern stößt allerdings der Rückzieher der Kommission im Zusammenhang mit Menschenaffen-Versuchen. Diese sollen nun doch erlaubt sein, wenn es um lebenswichtige Fragen geht. Irmela Ruhdel vom Deutschen Tierschutzbund geht der Entwurf insgesamt nicht weit genug. Sie fordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel: "Tierversuche sollten grundsätzlich verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt werden, nicht umgekehrt", sagt sie. Auch hält sie die geplanten Übergangsfristen für die neuen Haltungsbedingungen von 2012 bis 2017 für "völlig inakzeptabel".

Der Hirnforscher Henning Scheich, der am Leibniz Institut in Magdeburg Experimente an Makakenaffen durchführt, hält Tierversuche dagegen für unentbehrlich, wolle man neurologischen Krankheiten wie Parkinson auf die Spur kommen. "Viele dieser Hirnerkrankungen sind in ihren kausalen Zusammenhängen noch unbekannt", erklärt er. Die Kernspintomografie stelle im Vergleich zum EEG zwar einen großen Fortschritt dar, weil sie einen Blick ins Innere des Gehirns erlaubte. "Doch die Hoffnungen, dass sich Tierexperimente dadurch als obsolet herausstellen, hat sich als unsinnig erwiesen", so Scheich.

Corina Gericke, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Ärzte gegen Tierversuche e.V., plädiert indessen dafür, Affenversuche ersatzlos zu streichen. "Dabei kommt nichts heraus, was den Menschen nützt. Es geht den Experimentatoren nur darum, über wissenschaftliche Publikationen Prestige zu erlangen und Forschungsgelder zu kassieren", so die Tierärztin. Auch in der öffentlichen Meinung stoßen derartige Versuche auf starke Ablehnung, da die betroffenen Affen oft stundenlang mit fixiertem Kopf dasitzen und Aufgaben lösen müssen.

Um Tierversuche zu vermeiden, entwickelt und genehmigt das European Centre for Validation of Alternative Methods (ECVAM) alternative Testmethoden, auf Bundesebene ist es das ZEBET, das dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) unterstellt ist. Der neue Gesetzesentwurf unterstützt die Förderung von Alternativen zu Tierexperimenten erstmals ausdrücklich. Besondere Bedeutung erlangen diese durch die neue Chemikalienrichtlinie REACH: Rund 30.000 Substanzen sollen auf ihre Gefährlichkeit untersucht werden, was anderenfalls zu einem massiven Anstieg von Tierversuchen führen würde.

Bereits angewendet wird der sogenannte Phototoxizitätstest, der an künstlich vermehrten menschlichen Zellkulturen durchgeführt wird. Dabei wird überprüft, inwiefern bestimmte Substanzen die Haut sensibler für Sonnenlicht machen oder bei Sonneneinstrahlung selbst toxisch auf diese wirken. Ebenfalls EU-weit genehmigt ist eine neue Methode, die reizende Eigenschaften von Fremdstoffen an rekonstruierten Modellen menschlicher Haut ermittelt. Bislang mussten chemische Stoffe, bevor sie auf den Markt gebracht wurden, an Kaninchen getestet werden.

Anfang nächsten Jahres soll die Methode auch in die OECD-Richtlinie aufgenommen werden. Das BfR wertete dies als großen Erfolg, denn Betriebe, die alternative Methoden anwendeten, stießen sofort an Grenzen, sobald sie ihre Produkte in die USA exportieren wollten, wo Tierversuche vorgeschrieben seien.

Ebenfalls geforscht wird an Methoden mit embryonalen Stammzellen. So entwickelte ZEDET bereits 1997 einen in-vitro Test mit Stammzellen der Maus, um Chemikalien auf Schädigungen ihrer Nachkommen zu prüfen. Weitere Alternativen bieten Computersysteme, Silizium-Mikrochips, auf denen menschliche Zellen angeordnet sind, Versuche an isolierten Organen und die Arbeit mit Großaufnahmen und Animationen im Studium.

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