Der Aralsee ist ein sinnfälliges Beispiel dafür, welche schädigenden Auswirkungen Kunstdünger- und Pestizideinsatz haben können. Wo sich früher fruchtbare Ebenen erstreckten, bedeckt heute eine mit Schwermetall verseuchte Salzwüste das Land. Durch den massiven Wasserverbrauch ist das einst viertgrößte Binnengewässer der Erde dramatisch zusammengeschrumpft. Die Arbeiter und Anwohner leiden an Erbgutschädigungen, Tuberkulose und Blutarmut. Nicht viel besser ergeht es den Arbeitern in Mittelamerika auf konventionellen Bananenplantagen oder den Anwohnern zwischen den gigantischen RoundUp Ready-Soja-Feldern in Argentinien.
Auch unter dem Plastik der Gewächshäuser, die sich kilometerweit in der südspanischen Provinz Almería aneinanderreihen, wird kräftig gesprüht. Die hier gezogenen Tomaten und Paprika gehören zu den pestizidverseuchtesten Gemüse Europas. Vorwiegend Migranten arbeiten hier und leiden unter Hautirritationen, Kopfschmerzen oder Übelkeit. Pestizide reichern sich im Fettgewebe an oder verteilen sich über Luft und Wasser über den ganzen Planeten wie etwa das bis in die siebziger Jahre verwandte Insektizid DDT. Nach einer Greenpeace-Studie finden sich noch heute beunruhigend hohe Konzentrationen davon in der Muttermilch der Inuits. Zu den Langzeitschäden zählt Susan Haffmans, Projektkoordinatorin beim Pestizid-Aktionswerk (PAN) Deutschland, hormonelle Beschwerden, Missbildungen und Krebs.
Neue Wege in Afrika
Wie einst am Aralsee wird auch in Mali Baumwolle angebaut. Das Land südlich der Sahara ist nach Ägypten der zweitgrößte Baumwollproduzent Afrikas, der flusig weiße Rohstoff der größte Devisenbringer des Landes. Doch die Fruchtbarkeit des Bodens schwindet, und mit ihr die Erträge. 1998 startete die Schweizer Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit Helvetas dort mit 25 Baumwollproduzenten ein Pilotprojekt mit Biobaumwolle. Die meisten von ihnen waren Kleinbauern. 2007 nahmen bereits über 4.000 an dem Projekt teil. "Bei intensivem konventionellem Anbau werden die von Pestizid verseuchten Flächen nach mehreren Vegetationsperioden unbrauchbar für den Baumwollanbau. Die Bauern verlieren Land und Arbeit. Nicht so beim biologischen Anbau: Die Zerstörung der Böden wird verhindert, und die Kosten der Pestizide und Kunstdünger können gespart werden", erläutert die Organisation den Hintergrund ihrer Aktivität.
Parallel zum Anbau der Ökobaumwolle erforschen Farmer und Wissenschaftler in Mali verschiedene Pflanzenextrakte auf ihre Wirkung als Pflanzenschutzmittel. Dabei spielt wie im Ökolandbau weltweit die Verwendung der Samen des Neembaumes, aus denen zunächst ein Öl und später ein Spritzmittel hergestellt wird, eine wichtige Rolle. Weitere Verwendung finden Extrakte der Purgiernuss, Jatropha curcas, die auch als Agrotreibstoff weltweit an Bedeutung gewonnen hat, sowie der gemeine Rizinus oder die in Mali heimische Pflanze mit dem lateinischen Namen cassia nigricans. "Wir wollen gegen den traditionellen Anbau von Baumwolle unsere eigenen Experimente stellen", erklärt der Landwirt und Biologe Amadou Coulibaly. "Dabei geht es um den Schutz von Pflanzen durch natürliche Pflanzenextrakte, aufbauend auf unseren eigenen bäuerlichen Erfahrungen".
Auch in anderen Teilen der Welt finden natürliche Spritzmittel und Präparate bereits Anwendung: So verwenden Ökobauern neben dem Neemsamenextrakt gegen beißende und saugende Insekten im Gemüselandbau auch Quassia, einen Wirkstoff aus Bitterholz. Auch Pyrethrum, das aus Margariten gewonnen wird, oder Kaliseife werden gegen Blattläuse eingesetzt. Nicht unumstritten ist die Nutzung von Kupferpräparaten gegen Kraut- und Knollenfäule, denn das Schwermetall reichert sich möglicherweise im Boden an. An Alternativen dazu forscht das Julius Kühn Institut in Darmstadt, bislang jedoch noch ohne Erfolg.
Die Mischung machts
Dagegen fand das Institut erst kürzlich eine wirksame Methode gegen den Apfelwickler. Bereits in der Vergangenheit hatte sich eine Infizierung mit dem Granulosevirus bewährt, doch hatten sich dann erste Resistenzen entwickelt. Dagegen werden jetzt andere Stämme des Virus eingesetzt. Besonders positiv an den Präparaten ist, dass der darin vorhandene Virus sehr selektiv ist und nur den Apfelwickler und nicht andere nützliche Insekten schädigt. "Erfolgreich war auch die Entwicklung des Präparats Milsana", berichtet Jürg Huber, Leiter des Instituts. "Dabei handelt es sich nicht um ein Pflanzenschutz-, sondern vielmehr um ein Pflanzenstärkungsmittel, das aus dem Sachalin-Staudenknöterich, einer Riesenstaude, hergestellt wird".
Auch Pilze können wirkungsvoll als Alternative zu herkömmlichen Pestiziden eingesetzt werden. Im Herbst 2002 teilte sich Peter Lüth, Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens Prophyta, mit Klaus Töpfer den Deutschen Umweltpreis. Sein Verdienst war es, weltweit das erste biologische Pilzbekämpfungsmittel entwickelt und auf den Markt gebracht zu haben. Contans heißt das Sporenpräparat. Es handelt sich dabei um einen Pilz mit dem Namen Coniothyrium minitans, der mit Vorliebe einen anderen - schädlichen - Pilz vertilgt, der die so genannte "Weißstängeligkeit" auslöst. Anders als die Großkonzerne mit ihren gentechnischen Präparaten oder Pflanzen, die sie auch gerne unter den ungeschützten Sammelbegriff der Biopestizide subsummieren, nutzt Lüth die Wechselwirkungen der Natur, die sich über die Millionen Jahre entwickelt haben. Comiothyrium minitans kommt überall in den Böden vor und darf auch im Ökolandbau eingesetzt werden.
Ein zweites Pilzpräparat der Firma bekämpft bösartige Nematoden, die etwa Bananenstauden und Wurzelgemüse im Mittelmeerraum befallen. Der Pilz stammt aus den Philippinen und ist, wie der oben genannte sehr selektiv. Nicht nur die negativen Nebenwirkungen sind verschwunden, vielmehr haben sich die positiven Nematoden vermehrt und die Bodenaktivität hat sich gesteigert.
Wie Susan Haffmans gibt auch Maria Finckh, Professorin für Ökologischen Pflanzenschutz an der Universität Kassel-Witzenhausen, zu bedenken, dass es nicht damit getan sei, chemische Schädlingsvernichtungsmittel mit pflanzlichen oder mikrobiologischen zu vertauschen. "Natürlich sind diese Mittel wirksam, aber vor allem dann, wenn sie im Kontext einer gesunden Agrarwirtschaft stehen", erklärt Finckh. Mischkulturen, eine gesunde Fruchtfolge und ein adäquates Bodenmanagement seien das A und O einer umweltverträglichen und nachhaltigen Landwirtschaft. Der Einsatz von sogenannten Ökopestiziden dagegen "nur eine kleine Komponente", sozusagen das i-Tüpfelchen.
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