Die Saat des Guten

Nahrung Damit alte Tomaten- oder Bohnensorten überleben, müssen wir sie essen. Warum werden sie nur so wenig angebaut?

Sie heißen Sweet Chocolate, Goldene Königin, Schwarzer Peter oder Erfurter Zwerg. Hinter diesen originellen Namen verbergen sich alte Kultursorten: eine Paprikasorte, die sich schon bald schokoladenbraun mit ziegelrotem Fleisch färbt, eine Tomate mit mittelgroßen, goldgelben Früchten, eine Schwarzwurzel, die sich auf schweren Böden leichter ernten lässt und ein Blumenkohl, dessen Blüte nicht größer als 16 Zentimeter groß wird.

Eigentlich müssten Gärten, Äcker, Läden und Marktstände voll von verschiedenstem Gemüse, Obst und Getreide in allen Farben, Größen und Formen sein, würden wir noch immer der immensen Vielfalt der über Jahrtausende von Menschen gezüchteten Sorten Rechnung tragen. Weltweit sind allein schon 10.000 Tomatensorten bekannt, ähnlich groß ist die Diversität bei Bohnen. Doch laut Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) sind im letzten Jahrhundert bereits rund Dreiviertel dieses Kulturguts unwiderbringlich verloren gegangen. Und das obwohl die alten Sorten oft bunter und aromatischer als die gängigen Hochleistungssorten sind und für die Pflanzenzüchtung und die Ernährungssicherheit von besonderer Bedeutung wären. Doch die Erhalterorganisationen stoßen bei ihrer Arbeit auf immense Schwierigkeiten.

30.000 essbare Arten sind bekannt

Im Norden hat sich die Landwirtschaft seit Ende des Zweiten Weltkriegs immer stärker industrialisiert und auf den Weltmarkt ausgerichtet. Die Nutzgärten haben im selben Zeitraum an Bedeutung verloren. Obwohl weltweit rund 30.000 essbare Pflanzenarten bekannt sind, liefern nur drei davon die Hälfte der Nahrungsmittel der Weltbevölkerung: Weizen, Reis und Mais, und nur wenige hochgezüchtete, ertragsreiche Sorten – viele von ihnen Hybride, deren Ernteausbeute bereits in der nächsten Generation schon wieder rapide sinkt – landen in den Supermarktregalen.

Auch der Saatgutmarkt ist stark monopolisiert: Monsanto, Du Pont, Syngenta und eine Handvoll weiterer Saatgutkonzerne stellen inzwischen bereits rund Dreiviertel des globalen Saatguts – und das nicht nur bei den meistverkauften Arten. Nach Aussage von Susanne Gura, Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), kommt inzwischen auch schon bis zur Hälfte aller Gemüsesamen in Europa von Monsanto und Syngenta. Sie interessieren sich für die alten Sorten höchstens als Rohmaterial für ihre Züchtungen, denn mit ihnen lässt sich kein großes Geld machen.

Auch ein Kulturerbe

„Die Züchtung ist immer mehr auf die Bedürfnisse der konventionellen Großbauern eingegangen. Die Sorten werden nach Kriterien gezüchtet und selektiert, wie der gleichzeitigen Abreife der Pflanzen, Haltbarkeit der Früchte bei langen Transporten oder Uniformität für den Großhandel. Der Geschmack bleibt dabei oft auf der Strecke“, erläuert Sabine Marten vom Dreschflegel e.V., einem Verein, der sich für den Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt einsetzt.

Dabei sind die alten landwirtschaftlichen Sorten alles andere als pures Kolorit, sondern das Kulturerbe der Menschheit. Laut Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL), liefern die Industriesorten zwar im Schnitt doppelt so hohe Erträge wie alte Sorten, doch seien sie in Form von Kunstdünger und Pestiziden – die beide auf Erdöl basieren – und ihrer Bearbeitung auf enorme Mengen fossiler Brennstoffe angewiesen. „Das kann auf Dauer keinen Bestand haben. Es ist töricht, darauf zu setzen. Wir werden wieder auf die alten Sorten zurückgreifen müssen“, versichert der Landwirt. Und das erst recht in Zeiten des Klimawandels: Mit ihrem weitaus breiteren Genpool können sie sich viel besser auf Wetterextreme wie Dürre und Überschwemmungen oder etwa eine erhöhte Salinität des Bodens einstellen als die gängigen Hochertragssorten.

Auch die FAO hat ihre zentrale Bedeutung für die künftige Ernährungssicherung der Weltbevölkerung längst erkannt. Aus ihnen können wertvolle Eigenschaften in neue Züchtungen eingekreuzt werden. Diese Sicht teilt der Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). „Bestimmte Eigenschaften dieser Sorten wie zum Beispiel Resistenzen gegen Schädlinge können für die Entwicklung neuer Sorten hilfreich sein. Somit ist der Erhalt dieser Sorten im Hinblick auf genetische Varianz und Diversität sehr wichtig“, erklärt der Geschäftsführer des Verbandes, Carl-Stephan Schäfer.

Musealisierung hat keinen Zweck

Um sie für die Züchtung und spätere Generationen zu erhalten, lagern Tausende von Mustern alter und neuer Kultursorten in sogenannten Saatgutbanken. Die größte in Deutschland befindet sich in Gatersleben. Dort werden rund 150.000 Proben aufbewahrt und regelmäßig ausgebracht, um die Keimfähigkeit der Samen zu erhalten. Förderung erhalten sie vom Staat aber auch in Form von Drittmitteln von der Industrie. Doch auch im Bundesministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ist man sich darüber bewusst, dass eine pure Aufbewahrung der Samen nicht reicht. „Alte Sorten kann man nicht im Museum bewahren, man muss sie essen um sie zu erhalten“, erklärt der dortige Referent für Biologische Vielfalt Thomas Meier.

Undenkbar wäre die Erhaltung alter Sorten ohne die Arbeit der Initiativen, die sich diesem Ziel verschrieben haben, neben VEN und Dreschflegel e.V. in Deutschland ist das etwa Arche Noah in Österreich. Ihre Arbeit besteht im Wesentlichen darin, alte selten gewordene Nutzpflanzen zu finden, zu vermehren, weiterzuentwickeln oder Patenschaften für derartige Sorten zu vergeben. So hat der VEN zum Beispiel die schon fast vergessene Pastinake oder die Wintersalate wiederentdeckt. Die Dreschflegel GbR verkauft auch einen Teil des Saatguts. Doch da fangen die Schwierigkeiten der Erhalterinitiativen schon an.

Erhaltungs- und Amateursorten

Denn altes Saatgut zu verkaufen ist nicht so ohne Weiteres möglich. Wie andere Sorten auch müssen die alten Sorten nach umgesetztem EU-Recht für die Zulassung die sogenannten DUS-Kriterien erfüllen: die Unterscheidbarkeit von anderen Sorten, die Einheitlichkeit der Sortenmerkmale und ihre Stabilität. Die meisten alten Sorten erfüllen jedoch die strenge Anforderung nach Homogenität nicht. Ein Schlupfloch bietet die sogenannte Erhaltungssorten-Richtlinie von 2009, nach der auch Nutzpflanzensorten, die diese Kritierien nicht erfüllen, als „Erhaltungssorten“ oder „Amateursorten“ angemeldet werden „dürfen“. „In der Umsetzung der Erhaltungssortenrichtlinie haben wir den EU-Spielraum maximal ausgenutzt, um die Zulassungsverfahren für Erhaltungssorten so einfach und damit so kostengünstig wie möglich zu gestalten“, versichert Thomas Meier vom BMELV.

Doch für die Vereine oder kleinen Betriebe sind Bürokratieaufwand und Kosten für die geringe Nachfrage immer noch unverhältnismäßig groß. Das Register fasst demnach nach zwei Jahren gerade einmal ein knappes Dutzend sogenannter Erhaltungssorten oder Amateursorten. „Auch die Erhaltungsrichtlinien der EU behindern durch ihre Reglementierungen die Erhaltung der biologischen Vielfalt eher, als dass sie diese fördern. Sie bieten eine nur sehr kleine und umständliche Nische für den Erhalt der Vielfalt“, kritisiert die Kampagne für Saatgut-Souveränität.

Das Kokopelli-Verfahren

Doch erst kürzlich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Gültigkeit der Richtlinien in einer Vorabentscheidung, die ein französisches Gericht im sogenannten Kokopelli-Verfahren angefordert hatte, bestätigt. Kokopelli, eine gemeinnützige Organisation in Frankreich, setzt sich für die Wiedereinführung alter Gemüse-, Blumen- und Getreidesorten in Europa ein, verkauft Biosaatgut alter Kulturpflanzen und gibt Samen seltener oder gefährdeter Sorten an ihre Unterstützer unentgeltlich ab. Im Dezember 2005 klagte das mittelständische, französische Saatgutunternehmen Graines Baumaux gegen sie wegen unlauterem Wettbewerb und forderte einen Schadensersatz von 50.000 Euro. Die Entscheidung des EuGH hatte in den Medien für großen Wirbel gesorgt, denn die Generalanwältin, deren Gutachten sich die Richter normalerweise anschließen, war Kokopelli in ihrer Argumentation überraschend weit gefolgt. Das Urteil des Obersten Gerichtshof von Nancy steht noch aus.

Das Verfahren zeigt einmal mehr, mit welchen Schwierigkeiten idealistische Erhalterinitiativen konfrontiert sind, sobald sie das sorgfältig gepflegte und vermehrte Saatgut unter die Leute bringen wollen. „Mit der Erhaltung alter Sorten kann man kein großes Geld machen, dafür sind es zu viele und die Arbeit mit ihnen zu aufwändig“, versichert Susanne Gura vom VEN. Statt aber finanzielle Unterstützung und offizielle Anerkennung zu bekommen, kämpfen die Erhaltervereine im Extremfall – wie Kokopelli – um die eigene Existenz.

Lila Kartoffeln, bunter Mais

„Wir fordern die Kommission auf, die Schwächen der Ausnahmerichtlinie zu beheben, insbesondere die engen Beschränkungen (bei der Zulassung von Erhaltungssorten) auf Regionen und kleine Mengen“, sagte der Vorsitzende der AbL Graefe zu Baringdorf zum EuGH-Urteil. Die Kampagne für Saatgut-Souveränität geht in ihren Forderungen angesichts der geplanten Saatgutrechtsreform der EU noch weiter: Die EU solle die vielfältige, kleinbäuerliche Landwirtschaft sowie das entsprechende Saatgut auf allen Ebenen fördern statt einschränken und reglementieren sowie ihr Paradigma der Homogenität der Sorten überdenken. „Die Prioritäten der Sortenzüchtung sind neu zu definieren“, schreibt die Kampagne in einer Presseerklärung Ende Juli. Ob die EU dem nachkommen wird, ist mehr als fraglich. Die Lobbys der großen Saatgutkonzerne und Großbauern sind stark, und die wirkliche Bedeutung der alten Sorten und ihrer Erhaltung scheint immer noch nicht genügend zu den großen Entscheidungsträgern durchgedrungen zu sein.

Die alten Sorten sowie die Hausgärten erleben derzeit eine Renaissance. Urban Gardening ist chic, lila Kartoffeln oder bunter Mais auch. Immer mehr Menschen wollen wieder Obst und Gemüse essen, das schmeckt, eine zarte Haut hat oder, wenn sie es selbst anbauen, ein langes Erntefenster hat. Auch dem sollte der Gesetzgeber Rechnung tragen.

Kleine Weißleinchen, Zahnradtomate, Green Zebra oder die Reisetomate

Sowohl geschmacklich als auch ästhetisch haben alte Tomatensorten einiges zu bieten. Die oft plakative Namensgebung verrät meistens schon viel über die Frucht. Für Befremden dürften vor allem Sorten sorgen, die optisch nicht dem Bild der runden, roten Tomate entsprechen. Die Kleinen Weißleinchen haben nicht zu wenig Sonne abbekommen, sondern sind tatsächlich cremeweiß. Ähnliches gilt auch für die Salattomate Weißer Pfirsich, die ihren Namen einem leichten Samtpelz verdankt. Auch bei der Sorte Green Zebra ist der Name Programm. Durch die gelblich-grüne Streifung der Schale erinnert die Frucht an einen geschrumpften Zierkürbis. Wer seine Tomaten lieber rot möchte, der findet trotzdem einiges an Skurrilitäten. Die Zahnradtomate strahlt in einem knalligen Himbeerton und wirkt durch die gefurchten Ränder im Profil wie ein Zahnrad. Eher an eine Rebenfrucht erinnert dagegen die Reisetomate, die schon die Indios in Guatemala als Proviant nutzten. Die einzelnen Fruchtkammern sind bei ihr voneinander getrennt. Dadurch können einzelne Teile entfernt werden, ohne die Frucht zu beschädigen. Sehr praktisch fürs Picknick. Hinter den Namen Cream Sausage und Green Sausage verbergen sich die Tomaten, die vielleicht am allerwenigsten mit dem klassischen Bild der Frucht zu tun haben. Optisch irgendwo zwischen unförmiger Bratwurst, schlaffem Luftballon und Kartoffel angesiedelt, gibt es auch diese Tomate in den Färbungen Creme und Grün. Geeignet sind sie vor allem zum Schmoren oder Einlegen.

Sebastian Triesch

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