Ein Schwarm leuchtend blauer Fische durchquert eine Geweihkorallen-Kolonie. Ein perfekt getarnter Steinfisch lauert in einer Felspalte auf Nahrung. Gelb-orange Zwergseepferdchen verstecken sich in den Zweigen einer ebenso gelb-orangen, verästelten Gorgonie: Korallenriffe gehören zu den schönsten und artenreichsten Ökosystemen der Erde. Als dreidimensionale Gefüge mit Nischen und Höhlen bieten sie einer Vielzahl von Organismen privilegierte Lebens- und Rückzugsorte im weiten Ozean. Sowohl die bunten Riffe im tropischen Flachwasser wie auch die Kolonien der Kaltwasserkorallen, die man noch in mehr als 2.000 Metern Tiefe finden kann, sind für viele Meerestiere Hochzeitszimmer und Kinderstube zugleich. Und nicht zuletzt bieten tropische Riffe auch dem Menschen Schutz: Als Barrieren gegen Wirbelstürme und Tsunamis.
Gleichzeitig gelten Korallen seit Jahrzehnten als ebenso sensible wie gefährdete Indikatoren für zwei verknüpfte Probleme: Die Erwärmung und die Versauerung der Ozeane. Erstere ist insbesondere bei tropischen Korallen schon lange spürbar, denn die Nesseltiere gedeihen nur in einem engen Temperatur-Fenster. Je nach Art darf das Wasser nicht kälter als 20 und nicht wärmer als 29 bis 33 Grad sein – deshalb findet man Warmwasserkorallen generell nur in einem schmalen Gürtel entlang des Äquators, während Kaltwasserkorallen nahezu weltweit vorkommen.
Carbonatkrise im Meer
Erwärmt sich das Wasser auf eine Temperatur oberhalb des Grenzwertes, kommt es zu den sogenannten Korallenbleichen. Die überhitzten Korallen entledigen sich jener Mikroalgen, welche mit ihnen in Symbiose leben und sie nicht nur mit Nahrung versorgen, sondern ihnen tatsächlich auch ihre bunten Farben verleihen. Warum endet diese Symbiose jenseits der 30 Grad? „Es liegt vermutlich daran, dass bei höheren Temperaturen die Photosynthese gestört ist und vermehrt Sauerstoffradikale freigesetzt werden, die die Zellen der Korallen schädigen“, erklärt Christian Wild, Leiter der Abteilung Ökologie am Bremer Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie (ZMT).
Für die Korallen beginnt mit der Erwärmung also eine schwere Zeit: Nun müssen sie ohne den Symbiosepartner auskommen, der sonst 90 Prozent ihres Zuckerbedarfs aus der Photosynthese deckt. Entsprechend verlangsamt sich das energieintensive Wachstum der Korallen, oder stagniert gar: Wie Muscheln ihre Schalen bilden Korallen ihre Skelette aus Kalk. Das Material dafür gewinnen sie aus Calcium- und Carbonat-Ionen aus dem Meerwasser, die sie im Innern der Polypen zu Kalk in Form von Aragonit verwandeln.
„Wenn Korallen gebleicht sind, befinden sie sich in einem Stadium großer Schwäche“, konstatiert Wild. Bakterien, Viren und Algen greifen dann zu. „Umso höher die Intensität des Umweltstresses und je länger er anhält, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die gebleichte Koralle abstirbt. Auch nehmen ausgedehnte Korallenbleichen in ihrer Häufigkeit zu, so dass die Riffe weniger Zeit zur Erholung haben“, so Wild.
Düstere Prognose
Die Probleme von Kaltwasserkorallen sind dagegen völlig anderer Natur. Die oft in großer Tiefe lebenden Tiere müssen sich ohnehin eigenständig versorgen – ihren Lebensraum erreicht zu wenig Licht für die Photosynthese möglicher Symbionten. „Dafür sind sie mit einem niedrigeren pH-Wert konfrontiert, denn im kälteren Meerwasser ist deutlich mehr CO2 gelöst“, erklärt Armin Form, Meeresbiologe am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR). Aufgrund der anhaltenden Verbrennung fossiler Energieträger und Urwälder nehmen die Ozeane heutzutage mehr CO2 auf denn je – das Gas lässt sie versauern. Der sinkende pH-Wert behindert das ohnehin langsame Wachstum der Kaltwasserkorallen, im Extremfall können sich sogar ganze Riffstrukturen auflösen. Zudem konnten Wissenschaftler nachweisen, dass die Karbonat-Sättigung des Meerwassers seit der Industrialisierung immer weiter abnimmt. Ursache dafür ist die besagte Versauerung durch CO2: Sie verschiebt das chemische Gleichgewicht im Meerwasser so stark zuungunsten der Karbonatbildung, dass die eigentlich schwer löslichen Kalziumkarbonate angegriffen werden. Das betrifft die Kaltwasserkorallen besonders drastisch, da sie in ihrem Lebensraum ohnehin schon mit vergleichsweise geringen Karbonatkonzentrationen auskommen und mehr Energie für den Skelettaufbau aufwenden müssen.
Die Prognosen für diese besonderen Lebensräume sind düster: Schon jetzt befinden wir uns nach Aussage von Christian Wild „tief in einer Korallenkrise“: „Mehr als 30 Prozent aller (tropischen) Riffe sind bereits stark geschädigt, weitere 50 Prozent gefährdet. Es gibt kaum noch wirklich intakte Riffe.“ Form zeichnet ein gleichfalls schwarzes Bild für die Kaltwasserkorallen: „Ende diesen Jahrhunderts werden sich bei unvermindert fortschreitenden CO2-Emissionen rund 70 Prozent der bekannten Riffe in Wasser befinden, das korrosiv für sie ist.“
Dies würde jedoch nicht zwingend das Absterben der Korallen bedeuten, denn einige Steinkorallen besitzen die Fähigkeit, auch ohne ihre Skelette weiterzuleben. „Sie sehen dann aus wie Anemonen“, erzählt Form. „Wenn die Bedingungen wieder besser sind, bilden sie neue Skelette.“ Auch kommen einige Arten offensichtlich ganz gut mit einem niedrigeren pH-Wert zurecht. Die australische Forscherin Katharina Fabricius erstellte 2011 eine Studie über Korallen, die vor Papua Neuguinea in direkter Nachbarschaft zu natürlichen Kohlenstoffquellen leben. Es sind jedoch nur wenige Arten, die diesen Lebensbedingungen trotzen. Das saurere Milieu geht damit zwar nicht auf Kosten des ganzen Habitats, wohl aber auf die der immensen Artenvielfalt, die tropische Riffe sonst kennzeichnet, leben dort doch bis zu 1.000 Steinkorallenarten zusammen mit Weichkorallen und Schwämmen. Laut Fabricius sind letztere in der Nähe der Quellen schon um rund 70 Prozent dezimiert.
Fragile Riffe ohne Chance
In kälteren Wassern werden die Riffe zwar meist von wenigen Steinkorallenarten beherrscht, trotzdem sind auch sie Hotspots der Artenvielfalt. Besonders häufig ist die meist schneeweiße Steinkoralle Lophelia pertusa. Sie gedeiht in 40 Meter Tiefe vor Norwegen ebenso wie in den Untiefen tropischer Gewässer und gilt deshalb als wahrer Kosmopolit. Forscher des GEOMAR haben in einem Langzeitexperiment im Labor herausgefunden, dass Lophelia sich durchaus an niedrigere pH-Werte gewöhnen kann und dabei sogar noch unvermindert weiter wächst. Entwarnung geben wollen die Wissenschaftler jedoch noch nicht: „Wir haben bislang mit dem pH-Wert nur einen Parameter verändert. Außerdem haben wir die Korallen regelmäßig gefüttert und keinem zusätzlichen Stress, wie etwa steigenden Wassertemperaturen, ausgesetzt“, erklärt Form. So könnte die zukünftige Überlebensfähigkeit der Korallen unter widrigeren Umständen auch wesentlich von dem vorhandenen Nahrungsangebot abhängen.
Doch sollten auch einige Korallenarten mit einem niedrigeren pH-Wert klarkommen, so handelt es sich doch um eine kleine Minderheit, mahnt der Professor für Ökologie Mariner Tiere an der Uni Bremen, Claudio Richter. Auch sollte das Zusammenspiel der verschiedenen Stressfaktoren nicht unterschätzt werden. Gegenwärtig macht den Korallen vor allem die Schleppnetzfischerei in der Tiefsee zu schaffen. Dabei werden riesige, tonnenschwere Netze über den Meeresboden gezogen. „Alles was sich ihnen in den Weg stellt wird zermalmt. Fragile Hindernisse wie Korallenriffe haben keine Chance. Innerhalb von einigen Wochen zerstören die Schleppnetze das, was über Jahrtausende gewachsen ist“, kritisiert Greenpeace. Dagegen trifft der hohe Nährstoffeintrag ins Meer durch Landwirtschaft und andere Abwässer besonders die tropischen Korallen, die traditionell in nährstoffarmen Gewässern leben. Höhere Stickstoff- oder Phosphatmengen begünstigen Weichalgen, die die Riffe überwuchern. Planktonblüten setzen häufig Giftstoffe frei und beeinträchtigen so auch die übrige lokale Fauna.
So drängen Wissenschaftler und Umweltorganisationen auch im Sinne der Korallen zu einer drastischen Verminderung der CO2-Emissionen sowie zu einem Verbot der Schleppnetzfischerei. Um so mehr, nachdem die aktuellen Entwicklungen sehr schnell ablaufen, sich evolutionäre Anpassungen bei so langlebigen Organismen aber nur langsam vollziehen. Zu langsam.
Ingrid Wenzl schreibt für den Freitag vor allem über Umwelt- und Klimathemen
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