Über sieben grüne Brücken

Lebensräume Straßen und Gleise zerteilen die Heimat vieler Tiere und gefährden die Artenvielfalt. Sind Querhilfen eine sinnvolle Lösung?

Achtung Wildwechsel“ warnen Schilder vielerorts, vor allem an bewaldeten oder unübersichtlichen Abschnitten von Landstraßen. Dennoch kommt es immer wieder zu Zusammenstößen, denn wie die Menschen verspüren Tiere den Drang sich fortzubewegen, und die Straßen durchschneiden sowohl ihre Lebensräume, als auch die Routen, auf denen sie wandern. Mehr als 250.000 Kollisionen zwischen kreuzendem Wild und Fahrzeugen zählte der Deutsche Jagdschutzverband (DJV) im Jahr 2009. 2.800 Personen wurden verletzt, der Sachschaden betrug 500 Millionen Euro. Für eine Viertelmillion Tiere endeten die Zusammenstöße meist tödlich.

Überraschen sollte das nicht: Deutschland besitzt eines der engsten – und weiter enger werdenden – Straßennetze Europas. Nach Zahlen des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) führen rund 13.000 Kilometer Autobahnen, 120.000 Kilometer Fernstraßen und mehr als 33.000 Kilometer Bahnschienen durch das Land. Für viele Tiere stellen diese Infrastrukturen ein nahezu unüberwindliches Hindernis dar.

Brücken und Tunnel

Dabei geht es oft nicht um einzelne Tiere, sondern um die jeweilig ganze Spezies. In Schleswig Holstein zerteilen vier größere und mehrere kleinere Autobahnen das Land, hier ist die Lage besonders dramatisch. „Damit sind die Wildtierpopulationen Dänemarks faktisch vom Rest Europas abgeschnitten“, sagt Björn Schulz von der Stiftung Naturschutz. Einige Rothirsch-Populationen sind bereits derart isoliert, dass sie Inzuchterscheinungen zeigen: Manche Tiere werden blind geboren, andere haben deformierte Kiefer. Auch kleinere bedrohte Arten wie Haselmaus oder Kreuzkröte werden durch die menschgemachten Barrieren daran gehindert, ihre Lebensräume zu erreichen oder wiederzubesiedeln.

Eine Lösung sollen Grünbrücken und Wildtiertunnel bieten, die seit einigen ­Jahren auch in Deutschland an den problematischsten Straßen und Autobahnen errichtet werden. Diese fallen unter die Ausgleichmaßnahmen, die das Bundesnatur­schutz­gesetz für neue Straßen fordert. Laut Bundesamt für Naturschutz befinden sich derzeit 14 Querungshilfen im Bau. Doch sei die Entscheidung um jede Brücke ein Kampf, kritisiert der BUND, denn bislang fehle Geld und ein klares Finanzierungskonzept. Ende des Monats soll das Bundeskabinett zudem über das Bundesprogramm Wiedervernetzung beraten, auf das die Naturschutzverbände schon seit langem warten. Kernstück darin sind 93 Abschnitte an Autobahnen und Bundesstraßen, an denen kurz- oder mittelfristig Über- und Unterführungen gebaut werden sollen.

Die Grünbrücke Kiebitzholm in Schleswig Holstein wurde bereits im Jahre 2006 errichtet und seither bepflanzt. Doch ihre Existenz ist noch kein Garant für den Fortbestand dort ansässiger seltener Tier- und Pflanzenarten. Im Rahmen des Projektes „Holsteiner Lebensraumkorridore“ versuchen Jäger, Förster, Straßenbauer, Wildparkbetreiber und Wissenschaftler der Uni Kiel gemeinsam Konzepte für eine bessere Vernetzung der verbleibenden Lebensräume rundherum zu entwerfen.

Damit etwa die Haselmäuse bis zur Grünbrücke gelangen können, darf es keine Lücken in den sogenannten Knicknetzen geben: Traditionell begrenzt in Schleswig Holstein eine Gebüschlinie die Äcker. In ihrem Schutz können die Tierchen zu den Übergängen gelangen. Rothirsche benötigen mindestens alle 200 Meter ein Gehölz, in dem sie sich verstecken können. Schon nach dem ersten Jahr konnten Forscher und Naturschützer mehr al 350 teils stark bedrohte Arten im Umfeld der Brücke nachweisen, unter ihnen die seltene Heidenelke, deren Samen offensichtlich größere Tiere im Fell transportiert hatten.

Fische für den Otter

Während viele Säuger, aber auch kleinere Tiere wie die Weinbergschnecke, schon von klein auf eine Art „Map in Mind“ anlegen, lassen sich weniger entwickelte Arten auf Querungshilfen lenken, indem man ihren Lieblingslebensraum anbietet: „Der Warzenbeißer [eine Heuschreckenart aus der Heide] würde zum Beispiel niemals durch den Wald gehen, weil er Wald nicht mag. Deshalb muss man ihm einen Wanderweg aus Trockenrasen bauen, wenn man seine Ausbreitung fördern will“, erklärt Schulz.

Auch die Gestaltung der Grünbrücke bestimmt, wie gut die Tiere sie annehmen. „Früher dachte man, man bräuchte erstmal einen fetten Mutterboden“, erzählt der Landschaftsökologe an der Kieler Uni Heinrich Reck. „Doch das in Kombination mit der gewaltigen Stickstoffdusche aus der Atmosphäre heute begünstigt eine sehr dichte Vegetation, da kommen viele Tierarten nicht durch.“ Heute wählt man den Boden mit Bedacht. Auf der etwa 50 Meter breiten Brücke Kiebitzholm wachsen neben Büschen und Bäumen auch Heide und Magerrasen. Wildschweine, Hirsche und Siebenschläfer können die Autobahn so unbeschadet überqueren wie Zauneidechsen, Schlingnattern und Knoblauchkröten.

Das Dependant für Wassertiere sind Tunnel, die unter den Infrastrukturen durchführen. So gibt es wenige hundert Meter von der Grünbrücke Kiebitzholm einen Ottertunnel. „Doch noch hat der Otter keine Lust in die Gewässer jenseits des Tunnels hinüberzuschwimmen“, sagt Schulz. Erst muss die Landschaft dort so gestaltet sein, dass er sich auch wohlfühlt: Teiche müssen angelegt werden, wo er Fische findet.

Rückkehr des Luchs

Die Wiedervernetzung der Landschaft ermöglicht auch stark dezimierten Arten, sich in Deutschland wieder auszubreiten. Seit einigen Jahren setzt sich der BUND etwa dafür ein, die europäische Wildkatze wieder in deutsche Wälder zurückzuholen. Ihr größter Feind: ein kleiner Lebensraum. Die scheuen Tiere mit ihrem graugelben Fell und dem buschigen Schwanz brauchen Baumhöhlen, wilde Hecken und Reisighaufen für die Aufzucht ihrer Jungen, und große zusammenhängende Waldstücke zum Jagen. Ab einem Alter von sechs Monaten suchen junge Kater dann neue Reviere – bloß kommen sie meist nicht weit.

Eine noch stabile Wildkatzenpopulation gibt es im Hainich. Doch wald- und heckenlose Agrarflächen und die A4 verhindern ihren Sprung in den nur 20 Kilometer entfernten Thüringer Wald. Im Herbst 2007 ließ der BUND die ersten 20.000 Bäume und Büsche zwischen Nationalpark und Mittelgebirge pflanzen. Damit war der erste Schritt in der Umsetzung des Wildkatzenwegeplans getan. Es folgten Pflanzungen in der Pfalz und in Niedersachsen, bis 2015 sollen sechs weitere Korridore entstehen. „Die Wildkatze ist Gallionsfigur für andere Pflanzen und Tierarten des Waldes, wie Vögel oder verschiedene Fledermausarten, die ausgeräumte Landschaften und Straßen als Wanderhindernis sehen“, erklärt Mark Hörstermann vom BUND. Schwieriger sei die Wiederansiedelung größerer Raubtiere, wie dem Luchs, der wieder durch den Harz und den Bayrischen Wald streift. Sein Gebietsanspruch ist noch größer als der der Wildkatze. Es braucht mindestens Reviere von der Größe des Harz, um seinen Bestand zu sichern.

Sind Querungshilfen naturnah gebaut und gut an ihren Lebensraum angeschlossen, werden sie auch von Luchs, Jaguar, Bär und Wolf genutzt. Das zeigen Studien, die auf einer internationalen Fachkonferenz in Seattle vorgestellt wurden. „Dass die Grünbrücken angenommen werden zeigen die Ergebnisse von jahrelangem Monitoring“, erzählt Gabriel Schwaderer von der Naturschutzorganisation EuroNatur, die mit anderen NGOs, der Uni Zagreb und Autobahngesellschaften zusammenarbeitet. Noch bessere Wirkung zeigten zwei sehr lange und bis zu 900 Meter breite Tunnel auf der Strecke zwischen Zagreb und Rijeka.

Vorreiter in der Lebensraumvernetzung in Europa ist Holland: „In einem 400 Millionen Euro-Projekt arbeiten sie an der Entschneidung schon bestehender Straßen“, berichtet Reck. Damit sind sie all den Ländern voraus, die nur bei neuen Straßenbauprojekten Grünbrücken errichten. Falls das Wiedervernetzungsprogramm umgesetzt wird, könnte auch Deutschland wieder in das untere Feld der Pioniere aufsteigen.

Ingrid Wenzl schrieb im Freitag zuletzt über die die Folgen der Eisschmelze in der Arktis

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