Nicht selten wird Jemen in einem Atemzug mit dem internationalen Terrorismus genannt. Dass im Süden der Arabischen Halbinsel durchschnittlich drei Waffen auf einen Bürger kommen, ist dem Ruf des Landes wenig zuträglich. Es gibt zu viele Analphabeten, auch zu viel Willkür und noch mehr Blutrache. Weil die Justiz in resignative Lethargie verfällt, anstatt Recht zu sprechen, sorgt mancher auf eigene Faust für Gerechtigkeit.
Vor allem wird der Jemen mit dem Al-Qaida-Netzwerk und deren Führungsriege in Verbindung gebracht, die maßgeblich für die Anschläge auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 verantwortlich waren. Der Vater Osama bin Ladens kommt ursprünglich aus dem Jemen, und auch der Prediger Anwar al-Awlaqi hä
qi hält sich offenbar in dieser Gegend versteckt. Er soll sich um die Unterweisung des nigerianischen Studenten Umar Farouk Abdulmutallab gekümmert haben, dessen Sprengstoffanschlag auf eine Maschine der US-Fluggesellschaft NWA am 25. Dezember 2009 nur knapp fehlschlug. Abdulmutallab hatte die religiös geprägte Al-Iman University in der Hauptstadt Sanaa besucht. Deren Direktor Abdelmajid al-Zendani steht wegen mutmaßlicher Beihilfe für den internationalen Terrorismus auf den Fahndungslisten der US-Behörden weit oben.Alles spricht dafür, dass al-Qaida hier eine der wichtigsten Basen auf der Arabischen Halbinsel unterhält und zu nutzen versteht. Nasser al-Wahishi, seit dem Tod Osama bin Ladens einer der einflussreichsten Anführer des Terrornetzwerks, fand im Jemen ein relativ sicheres Refugium. Mit einem Wort: Was den weltweiten Terrorismus angeht, steht der Jemen alles andere als gut da. Jeder Jemenit wird als potenzieller Terrorist gesehen. Staaten wie Großbritannien verweigern jemenitischen Staatsbürgern ohne Einreisevisum die Durchreise. Seit die britische Botschaft in Sanaa ihre Visa-Abteilung geschlossen hat, muss jeder jemenitische Bürger sein Einreisevisum für Großbritannien umständlich bei einem britischen Konsulat in einem benachbarten Golfstaat beantragen.Die Bergregionen – so heißt es – seien der ideale Tummelplatz für Al-Qaida-Kader. Gleichzeitig häufen sich die Berichte, denen zufolge Präsident Ali Abdullah Saleh das Einsickern der Gotteskrieger billigend in Kauf nimmt, um von den Großmächten finanziell alimentiert zu werden. Das ist zwar hinlänglich bekannt, wird aber mangels Alternativen hingenommen. Die Tatsache, dass ein Großteil der Finanzhilfe aus dem Ausland in die Taschen der Herrscherfamilie wandert, statt für Anti-Terror-Operationen eingesetzt zu werden, hat den Jemen seit 2001 mehr denn je in Verruf gebracht.Sitzstreik und keine GewaltDieses Stigma verliert jedoch an Wirkung, seit eine Gruppe junger Jemeniten, die nichts mit der Umgebung des Machthabers zu tun haben, vom Geist des Arabischen Frühlings beseelt scheint und ausgerechnet im waffenstarrenden Jemen eine friedliche Revolution anführt. Ohne Krummdolch oder Gewehr versammeln sich seit März in vielen jemenitischen Städten immer wieder junge Menschen zum Sitzstreik. Sie blieben, auch als die Sicherheitskräfte auftauchten, erhobenen Hauptes am Boden sitzen. Angehörige aller Volksgruppen beteiligten sich an solchen stets friedlichen Meetings. Deren Teilnehmer blieben auch dann passiv, als Uniformierte und Männer in Zivil gewaltsam gegen sie vorgingen und in Sanaa ein Blutbad mit über 300 Toten anrichteten.Fachleute waren sprachlos. Hatten sie doch prophezeit, dass die schwer bewaffneten Jemeniten angesichts einer komplexen Bevölkerungsstruktur auf dem besten Weg in einen Bürgerkrieg seien. Stattdessen verzichteten die Demonstranten auf jegliche Gewalt, selbst wenn die Ordnungskräfte noch so hart durchgriffen. Präsident Saleh hatte immer wieder das Schreckgespenst vom entfesselten Mob an die Wand gemalt. Bislang aber beweisen alle Stämme ein Höchstmaß an Disziplin und haben sich – trotz aller Provokationen – zu keinen Gewalttaten hinreißen lassen. Käme es soweit, würde dies wahrscheinlich in der Tat auf einen Bürgerkrieg und eventuell sogar auf das Ende des Jemen hinauslaufen.Die friedliche Revolution hat bislang eines gezeigt: Die Jemeniten haben beschlossen, Abschied vom Totengesang der Waffen zu nehmen. Sie haben all jene eines Besseren belehrt, die das Klischee im Kopf haben, der Jemen werde von ein paar zerstrittenen Stämmen bevölkert, die vorzugsweise mit Fememorden und Kidnapping beschäftigt sind und nicht einmal Touristen auf ihren Kulturexpeditionen verschonen.Neben dem Bild vom Jemen als der militanten Hochburg von al-Qaida gibt es nun ein neues, freundlicheres Bild. Doch sollte man deshalb keinesfalls die Gefahr unterschätzen, die in diesem Land von Al-Qaida-Aktivisten und -Anhängern ausgeht. Sie haben sich im Süden etabliert und versuchen sogar, in der Gegend um Aden ein Kalifat zu errichten.Der Hafenstadt soll eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung des wiedererstarkenden Islam beschieden sein. Man tut gut daran, solche und ähnliche Meldungen ernst zu nehmen. Zugleich aber sollte man stets das neue, zuversichtlich stimmende Bild von zahlreichen jungen Jemeniten vor Augen haben, die ein friedliches Zusammenleben in einer Zivilgesellschaft anstreben.