Es gibt Bücher, die nie hätten publiziert werden dürfen - jedenfalls nicht in dem Zustand, wie es geschehen ist. Die Interviewsammlung mit Autoren, die als Nicht-Deutsche ihre Literatur auf Deutsch verfassen - Ich habe eine fremde Sprache gewählt« - ist ein solches Buch. Das Haupt problem dieser Schandtat sind aber nicht die dort vorgestellten Autoren (oder einige von ihnen), sondern in erster Linie die Herausgeberin Frau Lerke von Saalfeld. Diese wollte höchst wahrschein lich etwas Gutes schaffen, hat aber etwas Abstoßendes zusam mengetragen. Und der Bleicher-Ver lag hat das böse Spiel mitgemacht und gibt nicht nur die Herausgeberin einer ordentlichen Blamage preis, sondern läßt sie leider noch etliche andere erwachsene Menschen mit hineinziehen.
Frau von Saalfeld weigert sich unter anderem, gewisse Regeln, die beim Ver schrif ten von Interviews unbedingt zu beachten sind, anzuerkennen; und läßt alle Interviews im relativ rohen Zustand - erklärtermaßen der Authentizität wegen - unbearbeitet stehen, so daß man andauernd solche sprachlichen und gedanklichen Skurrilitäten zu lesen bekommt: ... durch dieses Studien angebot bekam ich einen Reiz ... ein Zuhause aus Wörtern und Dichtern ... ein Mongolei-Boom steht uns bevor ... als Lyriker wollte ich mich ver mitteln ... meine Anwesen heit ist in Deutschland ent stan den ... völlige Identität mit der deutschen Sprache beanspruche ich, und keine bloße Iden tifizie rung ... Reichtum ist schon ein Grund, daß man dumm wird ... Die Sprache hat ja eigentlich nicht viel zu sagen ... (gemeint ist hier etwas minder Unrichtiges: es hat nicht viel zu sagen, in welcher Sprache man schreibt).
Eine so reiche Sammlung von furchtbaren syntaktischen und logischen Fehlern, unbedachten, unfreiwillig komischen Äußerun gen, naiven literaturtheoretischen Absonde rungen und zum Teil wirklichen Dummheiten habe ich noch nie in der Hand gehalten. Das Buch ist ein wirklich quälendes Sammelsurium von Anakoluthen, Denkfehlern, Bildbrüchen, Kongruenz- und Valenzfehlern und wie sie alle heißen. Dabei weiß man eigentlich, daß man auch Interviews mit Mutter sprach lern nie so lassen darf, wie sie hingesprochen wurden. Satzbrüche gehören nun mal zum mündlichen Ausdruck, satzinterne Beziehungen geraten beim Sprechen schnell durchein ander, Sätze werden viel zu oft nicht ordentlich zu Ende gesprochen und so weiter. Interviews zu publizieren bedeu tet dann in jedem Fall immer sehr viel Arbeit. Und aus den mitabgedruckten Beispielen aus dem Schaffen der Beteiligten sieht man - diese sind nämlich (grammatikalisch zumindest) völlig in Ordnung -, daß es auch anders geht. Die Herausgeberin macht sich aber oft nicht einmal die Mühe, die in Nebensätzen falsch plazier ten Verben irgendwohin nach hinten zu stellen, wohin sie nun mal gehören. Die seltsamen, eine gewisse Realitätstreue garantierenden Präsentations prinzipien der Heraus geberin sind inakzeptabel, auch wenn die Interviews so, wie sie sind, schon ausgestrahlt und von Rundfunkredakteuren in Köln oder sonstwo akzeptiert worden sind.
Das, was Frau von Saalfeld vorgelegt hat, könnte man - schlie ßen wir Faulheit als Grund aus - fast als einen Sabotageakt bezeichnen, wenn man nicht andauernd ihren verbissen guten Wil len spüren würde. Sie möchte uns zeigen, wie anregend für die deutsche Kultur und Literatur das Fremde sein kann, sie will uns unbedingt vor führen, daß und wie diese dadurch bereichert werden. Es gelingt ihr in diesem Band aber nur in eini gen Ausnahmen, obwohl ihre Thesen an sich im Grund satz nicht falsch sind. Zé do Rock zum Bei spiel, der das Problem des Fremdseins im Deutschen frontal und mit souveränem Humor ange gan gen ist, brauchte und braucht keinen beson deren Beistand. In der Realität ist man eben schon ein Stück weiter.
Leider hat die Herausgeberin selbst ein Problem mit der sprachlichen Sensibilität und der Logik. Nachdem eine Autorin das Schreiben - in dem behandelten Kontext nicht ganz überzeu gend, aber immerhin nachvollziehbar - mit einem Trapezkunststück verglichen hat, greift Frau von Saalfeld diesen Ver gleich auf - weil er ihr gefällt - und verwendet ihn in ihrem Vorwort prompt falsch. Paraphrasiert ihn nämlich als die Sprache ... ist gefährlich wie eine Trapez-Nummer und merkt den groben logischen Fehler nicht, der ihr dabei unterlaufen ist. Eine Trapez-Nummer ist ein Kunst stück, und die Sprache ist höchstens Rohmaterial, das sich beim Gebrauch als gefährlich heraus stel len könnte; mehr nicht. Aber in ihrem Vorwort und ihren Fragen finden sich sowieso noch etliche andere, auch rein sprachliche Fehler, woran man sehen kann, daß sich Frau von Saal feld auf die Problematik des Fremd seins eindeutig viel zu tief eingelassen hat. Man findet auch bei ihr seltsame, nicht als Zitate gekennzeichnete Äußerungen wie: die Orientalisten sind die gemil derte Form der Fortsetzung des Kolonialismus ...
Welche Kraft die Herausgeberin bei ihrem Vorhaben, bei dem der deutschen Sprache ganz offensichtlich Gewalt angetan wird, wirklich angetrieben hat, weiß ich mit letzter Sicherheit doch nicht. Sie engagiert sich für ihre Interviewpartner, begeistert sich über das, was diese für die deut sche Literatur geleistet haben oder geleistet haben sollen, führt sie aber im Grunde in einer unver ant wortlichen Weise vor. Das Buch dürfte dann in der Endkonsequenz auf folgende und allgemein gültige Lehre hinaus laufen: Bloß nicht! - haltet alle literarisch ambitionierten Eindring linge von den jeweiligen Landessprachen fern! (Zitat dazu: ... wir haben die Chance, die Fremde zum Wesen in der Sprache zu machen ...) Mein Fazit: Fremdheit hin, Fremdheit her - Fehler sind Fehler, zu korrekte, zu gewählte oder hochgestochene Ausdrücke (einige der vorgestellten Autoren neigen dazu) können mit unter total falsch oder grausig unpassend sein, und alle Bilder, egal wie gewöhnlich oder ungewöhnlich sie sind, müssen in dem jeweiligen sprachlichen Umfeld einfach stimmen, wenn sie etwas aussagen sollen und genossen (und dann eventuell gelobt) werden sollen.
Für die armen Beteiligten habe ich mich pausenlos schämen müssen (zwei Ausnahmen: Francesco Micieli und Ota Filip), und mein Ärger war auch deswegen so groß, weil ich mich auf die Lektüre des Buches ursprünglich sehr freute, die Erfahrungen dieser Leute mit meinen eigenen ver gleichen wollte und auf alle die für mich neuen Namen neugierig war. Schuld an dem Fiasko tragen aber auch die Autoren selbst; sie hätten sich die Interviews unbedingt zum Autori sieren vor legen lassen müssen und sie niemals in diesem Zustand aus der Hand geben dürfen. Auch wenn es - wie man an einem bearbeiteten Beitrag sieht - auch nicht immer die Rettung bedeutet hätte. Libuse Moníková hat sich dem ganzen Vorhaben schon vor Jahren zum Glück verweigert.
Bei den meisten locker-roh transkribierten Sätzen errät man ziemlich schnell, was der Sprecher mit ihnen gemeint hat; sie sind oft nicht ganz falsch, sie sind aber viel zu oft auch nicht ganz richtig. Einige Aussagen bleiben aber ganz im dunkeln, andere sind wiederum aus festste hen den und klischeehaften Wendungen (oder aus ihren stark mutierten Mischformen) zusammenge setzt und daher ohne wirkliche Aussage. Extrem peinlich wird es dann aber, wenn der Autor noch durch un an genehme, völlig unange brachte Selbstüberschätzung getrie ben wird (... Europa hat keine Poe sie mehr ... Der christlich-abendländische Mensch ist imstande, nur Äußerlichkeiten zu sehen ...) oder durch frag würdige politische Ressentiments (... offizielle Staatspropaganda im Westen ... ich sehe viele Kühl schrän ke, die auf der Straße herumlaufen [also im Westen ]). Ziemlich unver schämt und vollkom men realitätsfremd sind auch manche Äuße rungen zum Beitrag der nicht-deutschen Literaten fürs Deutsche (... die Angehö rigen der Mehrheit denken, die deutsche Sprache gehört nur ihnen ... dann würde man merken, daß selbst Einhei mi sche plötzlich verun si chert sind ... manchmal haben auch die Lektoren recht ...), daneben finden sich aber auch allge mein schräge Sätze wie: Ich habe den Anteil meiner Familie an Tränen schon als erledigt betrach tet ... Optimal für meine Literatur als bester Weg ist, ich arbeite in einem freien Beruf ... wenn man an fängt, kompliziert zu werden, dann wird es schwierig ... man muß nicht immer alles in der Lite ratur verstehen ...
In manchen Menschen erweckt die aus der Fremde kommende Naivität wahrscheinlich mütter liche Gefühle, kommentarlos und ungefiltert dürfte man deswegen aber trotzdem nicht jeden Unsinn weiter reichen. Frau von Saalfeld tut es aber und sie weigert sich anzuerken nen, daß man der Sprachgemein schaft nur sehr schwer etwas auf zwingen kann, was ihrem Sprach gefühl eindeutig widerspricht. Sie begeistert sich in ihren Einwürfen für sinnlose Vorhaben, bei denen die Träger einer Sprache - also die jeweilige Mehrheit im Land - durch fremd klin gen de Neuheiten, die aus ganz anders funktionierenden Sprachen kommen, zu ihrem muttersprachlichen Glück gezwungen werden sollen. Diese Träumereien sind aber nicht einfach nur dumm; in den Interviews werden - ohne entschie denen Wider spruch der Herausgeberin - auch Aggres sionen kanalisiert und dreiste Drohungen aus gesprochen. Und einige der geäußerten Frechheiten zeugen außerdem ganz allge mein von fehlen dem Respekt und fehlender Demut der Sprache gegenüber - welcher auch immer.
Meine Allergie gegen das vorliegende Machwerk ist leicht erklärt, wenn ich verrate, daß ich von manchen Texten an die fünfzehn und mehr Versionen (und das nicht nur im Deutschen) mache, sie längere Zeit liegen lasse und die wirklich wichtigen erst einmal mehreren kompetenten Men schen zum Lesen gebe. Ich werde natürlich leicht wütend, wenn ich sehe, wie schludrig oder in kom petent auch an wichti gen und sensiblen Vorhaben gearbeitet werden kann. Aber abgesehen von mir: Das, was bei dieser Arbeit konkret heraus kam, ent hält genug Gründe zum Ärgern für jeden. Ein Komparatist dürfte sich zum Beispiel über so einen allgemeingültigen und für ihn immer und auf alles anwendbaren Satz freuen: ... uns unter scheidet, welchen Gebrauch wir von den einzelnen Wörtern machen oder nicht und wie wir diese zusammen setzen - mehr als jene Wörter steht uns nicht zur Verfügung ... Und etwas noch für Cineasten: Die allermeisten Filme sind sowjetische Erzeugnisse, Kriegsfilme.
Lerke von Saalfeld (Hrsg.): Ich habe ine fremde Sprache gewählt. Ausländische Schriftsteller schreiben deutsch. Bleicher-Verlag, Gerlingen 1999, 274 S., 39,80 DM
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.