Der blinde Fleck

Fernsehen Die US-Serie „Mr. Robot“ verschmilzt Hackerparanoia und antikapitalistische Visionen zu einer explosiven Mischung
Ausgabe 37/2015
Wer bin ich und, wenn ja, wie viele? Mr. Robot (Christian Slater) und Elliot Alderson (Rami Malek) sind auch IT-Genies
Wer bin ich und, wenn ja, wie viele? Mr. Robot (Christian Slater) und Elliot Alderson (Rami Malek) sind auch IT-Genies

Foto: Christopher Saunders/USA Network/NBCU Via Getty Images

Elliot Alderson, Nicht-Held der neuen US-Serie Mr. Robot, ist von der amerikanischen Gesellschaft enttäuscht. Mit einer Mischung aus Hass und Mitleid blickt der Systemadministrator und Hacker auf die Widersprüche des Lebens im Kapitalismus nach der Finanzkrise. Auf die Selbstdarstellung in sozialen Medien und die hinter der mechanisch produzierten Happiness liegende Unfreiheit unter Studienkrediten und HealthCare-Kosten. Auf die rhetorische und materielle Standardisierung der Welt durch Hard- und Software und das tägliche Scheitern an den Individualisierungsimperativen der Werbeindustrie. Auf den Terror ständiger Kommunikation schließlich, bei gleichzeitiger Hyperinflation eines untröstlichen Gefühls der Einsamkeit. Das Selbstbild dieser Gesellschaft ist ein selbstgefälliger Schwindel, dessen Wahnsinn darin besteht, dass die Menschen sich trotz besseren Wissens immer wieder für die eigene Verblendung entscheiden: „…mit unseren Dingen, unserem Besitz, unserem Geld.“

Paranodie Schizophrenie

Dass Elliots Verortung im blinden Fleck der Ideologie selbst in Konflikt zu seinem Job in einem ihrer unsichtbaren Betriebszentren steht, markiert eine der zentralen Spannungen der Serie. Als Mitarbeiter einer Dienstleistungsfirma für IT-Sicherheit ist er für die Abwehr der zunehmenden Hackerangriffe auf die Server des Großkonglomerats E Corp zuständig, der hässlichen Fratze der herrschenden Verhältnisse: Evil Corp. Auszuhalten ist dieses Leben allein sediert von einer Mischung aus Morphin und dem Entzugsmittel Suboxone, die Elliot längst in die orientierungsarmen Zwischenzonen einer Psychose gedrängt haben: „Hallo Freund, hallo Freund. Das ist Schwachsinn! Vielleicht sollte ich dir einen Namen geben. Aber das ist gefährlich. Du bist bloß in meinem Kopf. Wir müssen uns das merken. Scheiße! Es passiert wirklich: Ich spreche mit einer imaginären Person.“


So beginnt Mr. Robot inmitten der Symptome einer paranoiden Schizophrenie des Protagonisten und gewinnt allein durch diese Fiktionalisierung des in eine freundschaftliche Komplizenschaft genötigten Zuschauerblicks eine Qualität, die in der maximalen Unzuverlässigkeit ihres Erzählers begründet ist. Eingeschlossen in dessen Konstruktion von Welt steht die Differenz von Realem und Imaginärem hier stets zur Verhandlung.


Aus dieser Eröffnung gelingt es der Serie immer wieder neue blinde Flecken zu produzieren, diese kontinuierlich zu verschieben und aus den dabei entstehenden Antagonismen Handlung zu motivieren. Zentral ist in dieser Hinsicht der Auftritt des Titelgebenden Mr. Robot, Anführer der Hackergruppe FSociety, der Elliots diffus moralistischem Antikapitalismus mit der scharfsichtigen Miene des Eingeweihten eine praktische Perspektive gibt: „Geld ist nicht mehr real, seitdem es vom Goldstandard entkoppelt wurde. Es ist virtuell geworden, Software, das Betriebssystem unserer Welt.“

Gerade aber weil Geld zu einer Software geworden ist, kann es gehackt werden. Und so ist es das Ziel von FSociety mit Hilfe von Elliot in die Server von E Corp einzudringen, wo angeblich 70% der globalen Privatschuldenindustrie verwaltet werden. Diese sollen restlos formatiert werden: „Es wäre alles verschwunden. Der einzigartige, größte Fall von Vermögensumverteilung in der Geschichte.“


Dieses Revolutionspathos kommt nicht ohne populistische Moment aus. So wird der Zusammenhangs von Kapitalismus und Staatsschulden zugunsten einer Fokussierung auf die Leiden der Mittelschicht ausgeklammert. Wenn Mr. Robot aber die Fiktionalisierung des Geldes und dessen Funktion als Unterdrückungsinstrument in Form von Privatschulden anprangert und Elliot einen Hack als Mittel zur Zerstörung dieser „virtuellen Realität“ verkauft, zeigt sich eine gut funktionierende Verschränkung der sich im Handlungsverlauf kontinuierlich gegenseitig destabilisierenden, narrativen und ideologischen Ebenen.

Scharfe Widersprüche

Die Offenlegung ungelöster Widersprüche zwischen dem Selbstverständnis der Hauptfiguren auf der einen und ihrem tatsächlichen Handeln auf der anderen Seite erhält so überhaupt erst ein erzählerisches Prinzip. Dass Elliot etwa dem ominösen einen Prozent der Machtelite vorwirft, ohne Erlaubnis Gott zu spielen, während er selbst als Hacker in die Accounts seiner Mitmenschen eindringt, deren e-Mails liest, Bankkonten einsieht und sogar unmittelbar in ihre Leben eingreift, markiert sein zutiefst selbstbetrügendes Gefühl moralischer Erhabenheit.


Gleichzeitig liegt seiner hackenden Selbstjustiz nämlich ein Menschenbild zugrunde, das allein darauf ausgelegt ist, niemandem zu vertrauen und jeden Menschen auf dessen Schwächen hin zu berechnen: „Ich bin gut darin, Menschen zu lesen. Mein Geheimnis: ich suche nach dem schlechtesten in ihnen.“


Noch schärfere Widersprüche treten an Mr. Robot zutage. Als dieser infolge einer Meinungsverschiedenheit signalisiert, Elliot habe ihm gegenüber eine Schuld zu begleichen, und dessen Einwand, er glaube doch gar nicht an Schulden, wegwischt mit der Erklärung: „ich glaube an Schulden: ich glaube daran, sie zu löschen“ , entlarvt der patriarchale Charakter seiner Rhetorik die Komplizenschaft der FSociety zu dem von ihr attackierten Kapitalismus. Als Bild wird diese fassbar, wenn Elliots Gesicht kopfüber in einem auf dem Tisch platzierten Spiegel zu sehen ist und er zwischen zwei Lines Morphin zu beruhigen versucht: „Du glaubst ich hätte dich vergessen? Vertrau mir, ich brauche dich mehr denn je.“ Ideologisch ist die FSociety – ob das F als Free oder als Fuck gelesen wird macht dabei keinen Unterschied – das schizophrene Spiegelbild in den glatten Fun-Oberflächen des Kapitalismus.


Mr. Robot ist eine bemerkenswerte Serie. Durch ihre geschickte Anlage entgeht sie der Gefahr, eine funktionierende Außenperspektive auf die Gesellschaft behaupten zu wollen, von der aus eine erhabene Form von Kritik formuliert werden könnte. Anders als ihr von der eigenen Desillusionierung geblendeter Protagonist verstrickt sie sich bereitwillig in die Gegenwart und erkennt sich so als deren Produkt an.

Nachfolger von „Mad Men“ und „Breaking Bad“

American Crime

Wie ein entzündeter Daumen wirkt John Ridleys düstere Geschichte über den Mord an einem Kriegshelden und seiner katalogschönen Frau in der sonst gern so heilen Fernsehwelt. Schon wird diese Tiefenanalyse eines rassistischen Amerikas, in dem keiner jemandem vertraut, glaubt oder zuhört, der nicht genauso aussieht wie er selbst, als legitimer Erbe von The Wire gefeiert – was allerdings auch bedeutet, dass die elfteilige Serie stellenweise recht didaktisch wirkt. Felicity Huffman als die angewiderte, untröstliche, engstirnige Mutter des Soldaten ist das Glanzlicht in einer großartigen Besetzung. Timothy Hutton spielt den verzweifelten und gescheiterten Ehemann, beide wurden dafür selbstverständlich mit Emmys ausgezeichnet.

The Knick

Amerikanische Einzigartigkeit und Eigensinnigkeit werden in Steven Soderberghs Ärzte-Drama zelebriert und genauso betrauert. Schauplatz ist das Knickerbockerhospital in New York um 1900, als das Ziehen von Zähnen noch als wirksames Mittel gegen Depressionen galt. Als arroganter, koks- und opiumsüchtiger Star des OPs wird Clive Owen allmählich von seinen Gelüsten zugrunde gerichtet. André Holland gibt den brillanten schwarzen Chirurgen, der aus Europa zurückkehrt. Während dort seine Fähigkeiten gewürdigt wurden, wollen sich nun sterbende Patienten nicht von ihm anfassen lassen. Soderbergh hat bei allen zehn Folgen der ersten Staffel selbst Regie geführt und spart weder an Witz noch an Blut.

Halt and Catch Fire

Ein Ingenieur und ein schillernder Geschäftemacher versuchen bei der PC-Revolution der frühen 80er groß herauszukommen. Die erste Staffel, fixiert auf den von Lee Pace gespielten launischen Businessman, fiel beim Publikum durch. Doch in einer erstaunlichen Rettungsaktion schoben die Schöpfer dann die männlichen Hauptfiguren in den Hintergrund und ließen die weiblichen vortreten. Die Frau des Ingenieurs, technisch genauso versiert wie er und verkörpert von der unglaublichen Kerry Bishé, und eine görenhaft-geniale Programmiererin (Mackenzie Davis). So wird Halt and Catch Fire in Staffel zwei zu einer Serie über zwei Pionierinnen, die sich in einer männlich dominierten Welt durchkämpfen.

The Leftovers

Endzeitparanoia kollidiert mit der christlich-fundamentalistischen Hoffnung auf „Entrückung“: HBO hat Tom Perrottas Roman über eine Welt verfilmt, in der zwei Prozent der Bevölkerung auf unerklärliche Weise verschwunden sind. Die verdatterten Überlebenden in der US-Kleinstadt Mapleton versuchen, die Fassade der Normalität aufrechtzuerhalten. Schwer gemacht wird ihnen das von der schweigenden, weiß gekleideten und kettenrauchenden Sekte The Guilty Remnant (Die schuldigen Hinterbliebenen), die einen Zustand ständiger Trauer und Reue anstrebt. Wer seine misanthropische Weltsicht bestätigt haben will und The Walking Dead noch zu hoffnungsvoll findet, wird an The Leftovers Freude haben

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