Jeder Dialektiker weiß: Gegensätze ziehen sich an. Dass aber ausgerechnet massenhafte Verblödung und elitärer Geist sich paaren, überrascht auf den ersten Blick doch. Denn die Vereinigten Staaten sind trotz ihres chronisch defizitären Bildungssystems, ihres kulturellen Provinzialismus zum Mekka der Wissenschaften geworden. Wer nach den Gründen für diese erstaunliche Symbiose sucht, findet zwei Umstände, die sich wunderbar ergänzen. Der eine ist hausgemacht: Auf einem breiten Sockel von mehr als 3.000 Colleges und Universitäten, deren Qualität mehrheitlich kaum deutsches Gymnasialniveau erreicht, thront eine Gruppe von 20 bis 30 Spitzenuniversitäten, die nicht nur renommiertes Lehrpersonal, sondern auch exzellente Forschungsbe
sbedingungen bieten, und damit um die besten Wissenschaftler und Studenten konkurrieren. Dieser leistungsfördernde Ausleseprozess allein würde aber nicht erklären, weshalb in vielen Disziplinen die Standards in den USA gesetzt werden und weshalb immer wieder das Gros der Nobelpreise in die USA geht. Hinzu kommt nämlich der Import geistigen Potenzials, der vom Standpunkt der Entsendeländer ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat. Die USSpitzenuniversitäten sind nicht nur innerhalb des Landes, sondern weltweit zu Magneten für kreative Studenten und Wissenschaftler geworden.Insgesamt sind in den USA etwa 500.000 im Ausland geborene Wissenschaftler und Ingenieure in Forschung und Entwicklung tätig. Das entspricht einem Anteil von gut 16 Prozent aller Beschäftigten in diesem Bereich. Zum Vergleich: Nur gut neun Prozent der Gesamtbevölkerung wurden im Ausland geboren. Der Ausländeranteil an den Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen ist dabei mit durchschnittlich 21 Prozent besonders hoch. Von den knapp 77.000 ausländischen Wissenschaftlern, die im akademischen Jahr 1998/99 an den Colleges und Universitäten der USA beschäftigt waren, kamen allein 11.850 aus China und 5.575 aus Japan. Deutschland war mit knapp 5.200 Akademikern das drittgrößte Entsendeland. Drastisch ist die Situation vor allem in den Technik- und Naturwissenschaften. Von den Studenten der physikalischen und mathematischen Disziplinen stammen 40 Prozent aus dem Ausland, in den Ingenieurwissenschaften sind es 47 Prozent und im Bereich Informatik sogar 53 Prozent. Auch in der Gruppe der etwa 40.000 bereits promovierten Nachwuchswissenschaftler ("Post-Docs") stellen die im Ausland Geborenen mittlerweile die Mehrheit. Wer so viele Talente vor der Nase hat, kann verständlicherweise der Versuchung nicht widerstehen, gerade die Besten mit attraktiven Angeboten zu binden. Und so wird die Reputation von Harvard, Stanford, Berkeley, MIT und anderen Elite-Universitäten immer wieder erneuert und die privatwirtschaftliche Spitzenforschung kontinuierlich mit den kreativsten Köpfen versorgt.Was für die USA ein Segen, ist für die Herkunftsländer ein besonderes Ärgernis, weil sie ihre Studenten und Doktoranden häufig mit Stipendien in die USA geschickt haben, um später im eigenen Land von den Kenntnissen der Rückkehrer zu profitieren. Kein Wunder also, dass sich Bildungspolitiker in Europa und anderswo fragen, was sie dem berüchtigten "Brain Drain" entgegensetzen sollen. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat ihre Antwort gefunden: Weg mit der in anderen Ländern nicht üblichen Habilitation als Einstiegshürde in das Professorenamt, leistungsabhängige Entlohnung an den Hochschulen und 6.000 Juniorprofessuren - im Kern also Anpassung an die angelsächsischen Konventionen und deutliche Verjüngung. So soll das Land fit gemacht werden für den Kampf um die Köpfe.Diese Botschaft ist beim deutschen Wissenschaftlernachwuchs angekommen und wird insbesondere von den knapp 1.000 Stipendiaten begrüßt, die derzeit in den USA ihre Forschung betreiben. Denn viele von ihnen wollen durchaus zurück, aber eben nicht ins Mittelalter, nicht in eine Meister-Knecht-Forschungshierarchie. Wer in den USA frühzeitig wissenschaftliche Selbständigkeit erfahren hat und gewohnt ist, sich nicht an Status, sondern an Leistung zu orientieren, wird kaum noch die Sehnsucht verspüren, mit Mitte vierzig dem weisungsbefugten Professor hinterherzulaufen und ihn bei der Veröffentlichung eigener Forschungsergebnisse auch noch als Erstautoren nennen zu müssen. Mit diesem feudalen Erbe ist das deutsche Hochschulsystem nicht konkurrenzfähig. Sollte Frau Bulmahn mit ihren Reformen am Widerstand der etablierten Professoren oder im Dickicht der Länderinteressen scheitern, wird die junge Garde auch künftig wissen, wo sie bessere Konditionen findet, auch wenn die Ignoranz der Yankee-Massen und ihres neuen Präsidenten bisweilen kaum zu ertragen ist.