Der Freitag: Herr Lindstrom, Sie behaupten, dass wir in Zukunft nicht mehr so viel Sex in der Werbung sehen werden. Glauben Sie das wirklich?
Martin Lindstrom: Ja, schlicht und einfach, weil Werbung nicht besonders effektiv ist, wenn sie versucht, über Sex ein Produkt zu verkaufen. Es kommt dann zum „Vampir-Effekt“. Die Aufmerksamkeit, die der Sex auf sich zieht, wird von der beworbenen Marke abgesaugt. Am Ende kann sich der Zuschauer gar nicht mehr erinnern, für welches Produkt geworben wurde. Früher konnte man mit Sex in der Werbung zumindest noch Skandale auslösen – und so auf die Marke aufmerksam machen.
Das geht heute nicht mehr?
Nein, die Zeiten sind vorbei, weil Sex so allgegenwärtig ist. Im Internet können Sie mit zwei, drei Mausklicks
llgegenwärtig ist. Im Internet können Sie mit zwei, drei Mausklicks jede vorstellbare Pornographie sehen. Wen wollen Sie da in der Werbung noch schockieren? Ich denke, dass die Branche darauf auch langsam reagieren wird. Wir werden in Zukunft intelligentere Werbung sehen, die entweder wirklich informativ ist oder uns emotional anspricht.Sie waren einer der ersten, der sich mit Neuromarketing beschäftigt hat und nutzen die Gehirnforschung, um die Wirkung von Werbung zu verbessern.Ein grundlegendes Problem von Werbung und Marketing war bisher, dass sich der Erfolg nicht wirklich messen ließ. Ein Produkt verkaufte sich gut, ein gleichwertiges blieb in den Läden liegen. Nur warum? Bei Befragungen hatten wir bisher das Problem, dass Menschen oft nicht offen sagen, was sie denken, dass sie sich durch den Fragenden beeinflussen lassen oder dass sie sich selbst nicht bewusst sind, warum sie bestimmte Entscheidungen getroffen haben. Mit Hirnscans kann man dagegen eindeutig sehen, ob jemand auf eine bestimmte Werbung reagiert oder nicht.Das klingt unheimlich. Jetzt wollen Firmen auch noch in die Köpfe der Verbraucher schauen? Als ich mit meiner Neuromarketing-Studie begonnen habe, war ich selbst beunruhigt über die manipulative Kraft, die damit einhergehen könnte. So schlimm ist es aber nicht. Man kann mit diesen Untersuchungen zwar genauer herausfinden, was Menschen anspricht. Was Neuromarketing aber nicht kann – und das ist die gute Nachricht –, ist, Menschen dazu zu bringen, etwas zu kaufen, was sie gar nicht wollen.In Ihrem Buch Wenn wir im Supermarkt vor einem Regal stehen, dann sichtet unser Gehirn blitzschnell eine riesige Menge an Erinnerungen, Fakten und Gefühlen und formt daraus eine rasche Antwort – binnen Sekunden wird auf diese Weise bestimmt, was im Einkaufswagen landet, ohne dass dies den bewussten Bereich unseres Denkens überhaupt erreicht.Und was landet dann in unserem Einkaufswagen?Der Preis ist meist nicht das Entscheidende. Wir greifen am ehesten zu einem Produkt, wenn wir eine emotionale Bindung zu einer Marke haben. Ich nenne das einen somatischen Marker. Man muss sich das vorstellen wie ein Lesezeichen bei einem Internet-Browser, mit dem man immer auf einer bestimmten Webseite landet. Genauso gibt es Lesezeichen in unserem Gehirn, die uns zu bestimmten Marken greifen lassen, mit denen wir etwa angenehme Kindheitserinnerungen oder positive Assoziationen verbinden. Einer der beliebtesten Gerüche weltweit ist der Duft von Johnsons Baby-Puder (in Deutschland die Marke Penaten).Diese somatischen Marker können auch negative Effekte haben.In der Tat. Ich habe eine Studie zum Klingelton von Nokia-Handys gemacht, weil mir aufgefallen war, dass viele Menschen darauf abweisend bis ärgerlich reagieren. Wir haben den Probanden Bilder zusammen mit Melodien und Geräuschen präsentiert. Die Hirnscans zeigten, dass immer bei der Nokia-Melodie die Bilder negativer wahrgenommen wurden als sonst. Die Menschen hatten aufgrund ihrer Erfahrungen eine negative Verbindung, eben einen somatischen Marker, hergestellt. Die Handy-Melodie war zusammen mit Erinnerungen an Unterbrechung, Störung und Verdruss abgespeichert worden. Die Nokia-Manager waren schockiert, als ich ihnen die Ergebnisse der Studie präsentierte.Sie beschreiben eine Zukunftsvision des Times Squares im Jahr 2030. Keine Plakate und Leuchtreklame mehr, sondern Werbung mit Gerüchen und Geräuschen. Ich denke, dass die Zukunft so aussehen wird. Zurzeit dominiert noch das Visuelle in der Werbewelt, dabei können uns Gerüche und Geräusche viel stärker beeinflussen. In Großbritannien hat man einen Versuch in der Weinabteilung eines Supermarkts gemacht. In der ersten Woche hat man Akkordeonmusik gespielt, in der zweiten Woche Blasmusik. Auch wenn das nationale Klischees bedient, hat es sich direkt im Absatz niedergeschlagen: In der ersten Woche wurden deutlich mehr französische Weine verkauft, in der zweiten Woche mehr deutsche.Sie prognostizieren zudem, dass wir zurzeit die letzten Wahlkämpfe mit Umfragen erleben.Neuromarketing ist natürlich für Politikberater interessant. Politiker werden heute wie eine Marke verkauft – mit Logo und Werbebotschaft. Der Erfolg lässt sich mit Hirnscans eindeutig messen. Nehme ich einen Politiker als glaubwürdig wahr, beruhigt er mich oder macht er mir Angst? Interessant ist, dass Menschen je nach parteipolitischer Präferenz unterschiedlich reagieren. So reagierten bei einer US-Studie Demokraten beim Ansehen von 9/11-Bildern stärker mit Furcht als Republikaner, vermutlich weil sie damit militärische Gewalt assoziieren, die sie stärker ablehnen.Das Gespräch führte Jan Pfaff