Der Bonde

Porträt Alexander Bonde verteilte früher beim Basketball die Bälle, auch an unseren Autor. Jetzt ist er grüner Landwirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Warum wird man das?

Wir haben uns 17, vielleicht 18 Jahre nicht gesehen. Anfang der Neunziger spielten Alexander Bonde und ich zusammen Basketball in Freiburg. Er war Aufbau, dribbelte energisch den Ball nach vorn und verteilte ihn dort. Nur selten nahm er selbst einen Distanzwurf. Ich spielte auf dem Flügel und wartete meist auf einen schnellen Pass für den Fast Break. Wir waren nicht eng befreundet, aber wir trainierten zweimal die Woche zusammen, schlugen auf Fahrten zu Auswärtsspielen im VW-Bus die Zeit gemeinsam tot. Wir redeten über die Musik von Nirvana, über Schulpartys und NBA-Stars. Manche in der Mannschaft trugen ein Pali-Tuch, aber für Politik interessierte sich eigentlich keiner.

Diese Erinnerungen haben mich nun im Herbst 2011 ins Landwirtschaftsministerium nach Stuttgart geführt. Journalisten und Politiker treffen normalerweise aufeinander, wenn beide ihre Rollen gefunden haben, wenn jeder weiß, auf welcher Seite er steht. Als Bonde und ich uns kennenlernten, wussten wir das noch nicht. Er war damals 14 Jahre alt, ich 13. Der Abgleich zwischen früher und heute interessiert mich. Bonde ist seit Mai Minister in der Regierung von Winfried Kretschmann, ein junger Grüner in einem Haus, das 58 Jahre lang von der CDU geführt wurde.

Ich laufe mit dem Fotografen einen endlosen Flur entlang. Erst nachdem wir an unzähligen Bürotüren vorbeigekommen und scharf um eine Ecke gebogen sind, stehen wir am Ende des Gangs vor dem Zimmer des Ministers. Die Sekretärin im Vorzimmer ist so beschäftigt, dass sie kaum aufschaut. Der Pressesprecher begrüßt uns, es dauere noch ein paar Minuten bis zum vereinbarten Interview.

Wie hat er sich verändert?

Während wir warten, frage ich mich, wie sich "der Bonde" verändert hat. Wie wird man eigentlich Minister? Und wie kommt man dazu, sich für ein Leben als Berufspolitiker zu entscheiden? Im Flur hängen Schwarz-Weiß-Porträts von den Amtsvorgängern. Ältere Herren, einmal auch eine Frau, schauen streng in die Kamera. Das Licht fällt seitlich auf ihre Gesichter, es unterstreicht das Ernste. Minister zu sein, ist kein Spaß, sagen die Bilder.

Die Tür des Büros geht auf. Als Bonde und ich uns die Hand schütteln, ist da für einen Moment dieses Klassentreffen-Gefühl: Man erkennt sich wieder, erschrickt kurz, dass das alles schon so lange her ist, und checkt ab, wie der andere sich verändert hat. Er trägt ein helles Hemd und ein dunkles Trachtenjackett, die Haare hat er mit Gel zurückgekämmt. Man könnte ihn für einen CSU-Politiker halten. "Meine Erfahrung lehrt mich, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren politisch einordnen sollte", sagt er. "Auf Parteitagen sieht man Menschen mit bunten Schals rumsitzen, die sonst nie einen tragen."

Seine Kleidung ist natürlich ein Statement. Die Realo-Grünen in Baden-Württemberg gelten vielen im Ländle als die besseren Konservativen. Das macht einen großen Teil ihres Erfolgs aus, die Menschen hier mögen keine Experimente. Sie haben sie auch nicht wirklich nötig. Im Vergleich zu anderen Teilen der Republik sind die Probleme überschaubar, das drängendste ist ein Bahnhofsneubau (siehe Hintergrund).

Als die Nominierung für das "Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz" bekannt wurde, schrieben die Regionalzeitungen, dass es Bondes Aufgabe sei, den konservativen Wählern auf dem Land das Gefühl zu geben, bei den Grünen gut aufgehoben zu sein. Er wohnt im Schwarzwald, ist mit einer CDU-Politikerin verheiratet und hat als einer der wenigen prominenteren Grünen einen ländlichen Wahlkreis. Mehr Realo geht nicht.

Er hängte eine DDR-Fahne auf

Ich suche nach einem Anknüpfungspunkt, etwas, das die Brücke zwischen damals und heute schlägt. Ich kenne Bonde noch, wie er in einer schwarzen Rockerjacke durch Freiburg lief. Als wir mit der Basketballmannschaft im Frühjahr 1992 für ein Turnier ein paar Tage in einem spanischen Küstenort waren, hatten dort im Hotel viele Ostdeutsche ihre Balkone mit Deutschland-Fahnen zugehängt. Bonde trieb irgendwo eine DDR-Fahne mit Hammer und Zirkel auf und hängte sie raus. Es war eine Provokation und seine Art zu zeigen, wie sehr ihn dieser Patriotismus-Kohl-CDU-Deutschland-Rausch nervte.

Und nun trägt er ein Trachtenjackett.

Er bittet in das Ministerbüro. Durch die Glasfront blickt man auf eine Ausfallstraße, dahinter sieht man die Bäume des Schlossgartens und den Hauptbahnhof. Wir setzen uns an einen ovalen Tisch in der Mitte des Raums. Als ich den ersten Termin für das Interview absagen musste, dauerte es über einen Monat, bis sich in Bondes Kalender wieder eine freie Stunde fand. "Wir fahren seit dem Amtsantritt 17-Stunden-Tage, sechs Tage die Woche." Er klagt nicht, er erklärt nur – es klingt wahnsinnig unfrei.

Warum tut man sich das an? Macht Macht Spaß? Er zögert kurz. "Macht ist im direkten Umgang profaner, als man es sich von außen vorstellt." Er könne ja als Minister nicht völlig frei entscheiden. "Aber Gestaltenkönnen ist schon reizvoll." Es ist der übliche Politiker-Sprech von Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung, nur um das Wort "Macht" zu vermeiden.

Mich irritiert dieses Ausweichen. Den Wählern ist doch klar, dass ein Politiker nicht nur aus Sorge um das Gemeinwohl ein Amt anstrebt. Wäre es nicht einfach ehrlich, mal zu sagen, dass es auch Spaß macht? Dass Macht einen Kick gibt? Er setzt erneut an: "Mitentscheiden können macht Spaß." Mehr ist von ihm nicht zu haben. Und er fügt hinzu: "Es ist aber nicht so, dass ich hier morgens mit stolzgeschwellter Brust reinlaufe und sage: Jetzt entscheiden wir etwas um des Entscheidens willen."

Seine Biografie liest sich sehr zielstrebig. Der Durchmarsch eines Karriere-Politikers, der nicht einmal Zeit hatte, sein Studium zu beenden: 1975 in Freiburg geboren, früh in der Grünen-Jugend aktiv, studiert er erst Jura, dann Verwaltungswirtschaft, wird Referent der Grünen-Fraktion im Landtag, mit 27 in den Bundestag gewählt, Finanzexperte im Haushaltsausschuss, zwei Mal wiedergewählt – und nun mit 36 Jahren Minister in Stuttgart.

Wann hat er sich entschieden, die Politik zum Beruf zu machen? Er erzählt, dass er sich während der Basketballzeit als Schülersprecher engagierte. Dann verbrachte er ein Jahr an einer Highschool in Hawaii. Es ist 1992, in Rostock jagt ein Mob Asylbewerber, in Mölln zünden Neo-Nazis das Haus einer türkischen Familie an. "Ich war damals 17, weit und breit der einzige Deutsche im Pazifik, und mich fragten alle, was die Bilder auf CNN zu bedeuten hätten. Da habe ich für mich aus der Ferne entschieden, mich nach meiner Rückkehr breiter einzumischen – und das bedeutete für mich, in eine Partei zu gehen."

Die Grünen waren die naheliegendste Wahl, wenn man damals jung und irgendwie für eine bessere Welt war. In Freiburg waren sie Anfang der Neunziger bereits, was sie im Rest der Republik gerade werden: eine Volkspartei, die bei Wahlen regelmäßig jenseits der 20-Prozent-Grenze landet. Ihn habe besonders der Gedanke der Nachhaltigkeit angezogen, sagt Bonde. Und die Frage, wie man Nachhaltigkeit über die Umwelt hinaus denken könne: "Wie organisieren wir unseren Wohlstand so, dass er nicht auf Kosten anderer Menschen und nachfolgender Generationen geschaffen wird?" Daher sein Interesse an Haushaltspolitik. Mit Machtkalkül – weil derjenige am meisten Einfluss hat, der das Geld verteilt – habe das nichts zu tun, versichert er.

Eine Aneinanderreihung von Zufällen

In Bondes Erzählung klingt der Weg ins Ministerbüro wie eine Aneinanderreihung von Zufällen. Er habe jahrelang ehrenamtlich gearbeitet, ohne daran zu denken, mit der Politik Geld zu verdienen. Als er 2002 das erste Mal für den Bundestag antrat, habe eigentlich keiner mit einem Mandat gerechnet: "Zum Zeitpunkt der Listenaufstellung hatten wir schwache Umfragewerte, weshalb die großen Jungs sich alle um die vorderen Plätze kloppten. Oswald Metzger trat auf Platz acht der Liste nicht mehr an, weil er es als aussichtslos ansah. Ich trat auf Platz zehn an und kam dann rein."

Die Erzählung von den glücklichen Zufällen steht seltsam quer zu dem Bild, wie in Deutschland politische Karrieren eigentlich verlaufen – über im Hintergrund geknüpfte Netzwerke, vorherige Absprachen, das Sich-unentbehrlich-Machen. Und sie steht quer zu einer Erinnerung von mir, die etwas über Bondes Fleiß erzählt. Zu einem Basketball-Trainingscamp in den Sommerferien kam ich eine Stunde zu früh, bevor um 9 Uhr morgens die Halle aufgeschlossen wurde. Ich ärgerte mich, nicht länger geschlafen zu haben. Aber einer war noch früher da: Bonde saß vor der Halle auf einer Bank. Mich irritierte seine Ruhe. Ihn schien das Warten nicht zu stören. Ich fragte ihn auch gar nicht, warum er zu früh da war. Er war immer schon da.

Im Bundestag macht Bonde sich als fleißiger Haushälter einen Namen, er arbeitet sich durch die Aktenstapel, immer gut informiert. Er schießt nie mit Ego-Auftritten quer und pflegt durch viel Präsenz seinen Wahlkreis und die Basis in Südbaden. Deshalb führt auch kein Weg an ihm vorbei, als es nach dem Wahlsieg in Stuttgart darum geht, freie Posten zu verteilen. Als Landesminister stehe er nun ständig unter Beobachtung, erzählt er. Frostschäden der Winzer besichtigen, Hengstparade eröffnen, Schwarzwälder Schinkenfest besuchen – er macht unzählige Termine. Und er hat drei kleine Kinder. Denkt er darüber nach, was er da opfert? „Für die Familie ist das nicht die Traumkonstellation“, sagt er knapp. „So ein Job hat schon einen richtigen Preis.“

Er ist jetzt Chef von 450 Mitarbeitern. Und er ist der jüngste Minister im Kabinett. Er twittert, ist auf Facebook, lädt Bilder ins Netz, Schnappschüsse von den Akten auf seinem Schreibtisch und der Partei-Klausur. Er macht alles, um auf der Höhe der Zeit zu sein – und doch wirkt er in diesem Herbst, in dem so viel über andere Formen der politischen Organisation diskutiert wird, seltsam abgeklärt und etabliert.

Da ist die Piratenpartei, die echte Transparenz und neue Formen der Teilhabe verspricht, und deren Mitglieder im Berliner Abgeordnetenhaus fröhlich vorführen, dass sie vom politischen Betrieb keine Ahnung haben. Da ist die Occupy-Bewegung, die keine klaren Ziele und Grenzen kennt, aber weltweit Menschen begeistert. Und da ist Bonde mit seiner klassischen Politik-Karriere in einer Partei, die mal stolz auf ihre Nonkonformität war. Er sagt: "Ich war früher in Bürgerinitiativen aktiv. Deren Arbeit ist auch wichtig für die Demokratie." Aber für die politische Arbeit bräuchte man auch Parteien. "Von den Single-Issue-Initiativen unterscheidet sie, dass sie politische Konzepte in einer Gesamtschau entwickeln, Gesamtverantwortung tragen und nicht nur auf eine Fragestellung achten."

Mit Dachpappe rumfahren

Ich selbst habe mich immer von Parteien ferngehalten. In meinem Freundeskreis kenne ich niemanden, der in einer ist. Kann er verstehen, dass viele Menschen gegenüber Parteien eine Abneigung haben? "Als ich mich als Jugendlicher engagierte, dachte ich auch: Ich habe hier meine Position – und in einer Partei muss man immer einen Kompromiss finden." Aber selber machen sei besser als zuschauen. "Parteien leben davon, dass Leute nachts mit einem Anhänger voll Dachpappe rumfahren, wenn plakatiert werden muss." Dass jemand zu Ortsverbandssitzungen einlädt, Sitzungsprotokolle schreibt – "ohne das funktioniert unsere Demokratie nicht". Er hat wohl Recht, und dennoch: Es bringt mich nicht gerade dazu, die Distanz zu überdenken.

Die Zeit für das Gespräch ist um, gleich kommt ein Verbandsvertreter. Noch eine Basketball-Frage: Hat er auf dem Spielfeld etwas für die Politik gelernt? "Als Spieler habe ich erlebt, dass einem der Schiri nicht immer recht gibt – auch wenn man recht hat. Spannend wird es dann, wenn du selbst den Schiri-Schein hast und dich anstrengen musst, allen gerecht zu werden – gerade weil trotzdem meistens einer den Pfiff anders gesehen haben will." Ich erinnere mich, dass wir als Mannschaft oft nicht so gut funktionierten, weil jeder für sich glänzen wollte. Bonde schüttelt den Kopf. Große Egos gebe es doch in jeder Mannschaft.

Das S21-Referendum: Chance oder Enttäuschung?

Als die Grünen Ende März bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 24,2 Prozent der Stimmen holten und damit die SPD beim Regierungswechsel zum Juniorpartner degradierten, hatte das vor allem zwei Gründe: Der Fukushima-Schock trieb ihnen Wähler zu und das Versprechen, sich mit ganzer Kraft gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 einzusetzen. Dass die Möglichkeiten, den Neubau zu stoppen, auch für die Partei des Ministerpräsidenten begrenzt sind, war dabei von Anfang an klar. Der Koalitionspartner SPD befürwortet S21. Deswegen soll nun ein landesweites Referendum am 27. November entscheiden, ob das Land seinen zugesagten Anteil von 824 Millionen Euro an den Gesamtkosten zurückzieht. Die Hürde dafür ist extrem hoch. Die Landesverfassung sieht vor, dass ein Drittel aller Stimmberechtigten zustimmen muss, damit das Ergebnis bindend ist. Das wären 2,5 Millionen Menschen. Grüne und SPD zusammen hatten bei ihrem Wahlsieg nur 2,36 Millionen Stimmen. Beobachter erwarten bei einem negativen Ausgang, dass sich viele Wähler enttäuscht von den Grünen abwenden werden. In der Regierung um Ministerpräsident Winfried Kretschmann hofft man aber, dass nach der Entscheidung die Fokussierung auf S21 nachlässt und wahrgenommen wird, wie die Grünen die Landespolitik sonst noch verändern. jap

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