Der Laptop fehlt. Steffen Seibert sitzt vor einer blauen Wand. Es ist nicht das Türkis des ZDF-Nachrichtenstudios – aber der Hintergrund erfüllt dieselbe Funktion, neutral und fernsehtauglich. Keiner im Raum wäre überrascht, wenn dort plötzlich ein Nachrichtenbild aufleuchtete und der Mann mit dem ordentlichen Seitenscheitel einfach zum nächsten Einspielfilmchen überleitete. Nur den grauen Laptop, mit dem Nachrichtenmoderatoren sonst zeigen, dass sie immer auf dem allerneuesten Stand sind, hat er nicht mitgebracht. Stattdessen liegt vor ihm eine dicke, rote Pappmappe. „Ich trage jetzt immer dreieinhalb Kilo Papier mit mir rum.“ Seibert ist im Reich der Akten, Vorlagen und Diskussionsentwürfe angekommen.
An diesem Montagmittag stellt sich der neue Regierungssprecher das erste Mal in der Bundespressekonferenz seinen Ex-Kollegen. Es gibt ein paar warme Worte zur Begrüßung und ein Buch über die Geschichte der Bundespressekonferenz. Die Journalisten klopfen wohlwollend-freundlich auf ihre Holztischchen. Dabei haben viele Seiberts Wechsel heftig kritisiert. Wie kann er nur? Ausgerechnet Seibert, der im klar sortierten schwarz-rot Kosmos des ZDF als nicht zuordenbar galt und der gern damit kokettierte, Wechselwähler zu sein. Außer bei der Linkspartei habe er schon überall sein Kreuz gemacht, ließ er sich zitieren.
Aus der Fassungslosigkeit, mit der manche Kommentatoren auf den Wechsel reagierten, sprach dabei auch eine narzisstische Verletzung. Journalisten sind schließlich fest davon überzeugt, dass sie den mit Abstand interessantesten Job der Welt haben. Wenn da einer sagt „Ich mach mal etwas anderes“, hat das auf sie eine ähnlich verstörende Wirkung wie Roland Kochs Ankündigung „Ich bin dann mal weg“ auf Mitglieder der Jungen Union.
Ein Gesicht, das Millionen Menschen kennen
Dabei ist es keineswegs ungewöhnlich, dass ein Journalist Regierungssprecher wird, aber er ist der Erste, dessen Gesicht bereits vor Amtsantritt Millionen Menschen vom Fernsehschirm vertraut war. Er soll nicht nur freundlich und möglichst verständlich Dinge verkaufen, die oft wenig erfreulich und schwer verständlich sind. Er soll auch ein wenig Glamour ins dröge Regierungsviertel bringen. An diesem Mittag scheint die Rechnung aufzugehen, das Interesse an seiner Person ist groß.
Als er den Saal der Bundespressekonferenz betritt, stürzt sich ein Pulk Fotografen und Kameraleute auf ihn. Die Sprecher der Ministerien stehen unbeteiligt daneben, wie Leute, die sich auf eine Party verirrt haben, zu der sie niemand eingeladen hat. Ein paar Meter neben den Fotografen steht Benjamin von Stuckrad-Barre, seines Zeichens Springer-Kolumnist und Medienbeobachter. Mit einer Digitalknipse macht er ein Bild von Seibert und dem Pulk. Und während man beobachtet, wie der Medienbeobachter Medien beobachtet, fragt man sich für einen Moment, in welcher Umdrehung der medialen Schleife man hier gerade gefangen ist.
Aber da erzählt Seibert auch schon, dass er sich sehr freue, hier zu sein. Und gesteht den knapp 100 Journalisten, dass er heute „echt nervös“ sei. Kleine Schwächen zu zeigen, macht schließlich sympathisch. Nein, dass er die Arbeit von Angela Merkel gelobt habe, sei nicht seinem Rollenwechsel geschuldet, sondern es sei seine persönliche Überzeugung, das müsse man ihm schon glauben. Deswegen habe er auch mit „heißem Herzen“ zugesagt, als das Angebot der Kanzlerin kam. Was finde er denn so gut, an der Politik der Koalition, lautet eine Nachfrage. Etwa die Hotelsteuer? Da lachen die Ex-Kollegen dann doch einmal laut und böse.
Seibert sagt, dass die Bundesregierung sich große Sorgen wegen der Katastrophe in Pakistan mache. Dass die Kanzlerin bald auf eine „Energiereise“ durch Deutschland gehen wolle, um „zuzuhören und zu lernen“. Und er sagt, Kernkraftwerke seien „nach Aussage, äh, nach Ansicht der Bundesregierung“ eine Brückentechnologie. Zu viel sprachliche Distanz darf er sich jetzt nicht mehr leisten. Ein, zwei Mal zu Beginn verlässt er noch die Sprecherrolle und versucht den Kollegen einen Tipp zu geben. Dass sei eine gute Frage, aber die stelle man viel besser den Chefs der Energiekonzerne als der Bundesregierung, hört da eine Journalistin. Es ist nett gemeint, aber es klingt auch ein wenig nach Nachhilfe.
Das Ressort schüttelt den Kopf
Dann beißen sich die Fragensteller an den Verhandlungen zwischen Regierung und Energiewirtschaft um Brennelementesteuer und Restlaufzeiten fest. Und Seibert wiederholt in verschiedenen Variationen immer wieder einen Satz: „Zu laufenden Gesprächen äußert sich die Regierung nicht.“ Bei einer konkreten Nachfrage kommt er ins Stocken. „Ich habe geahnt, dass so ein Moment kommt. Vielleicht kann das Ressort auch mal helfen?“ Hilfesuchend blickt er nach rechts, wo ganz außen der Sprecher von Bundesumweltminister Röttgen sitzt. Aber der Sprecher schüttelt nur den Kopf, schließlich sei das Umweltministerium an den Verhandlungen überhaupt nicht beteiligt. Dass in Berlin nicht alle nur Freunde sind, wird Seibert sehr schnell lernen müssen.
Eine Lieblingsspekulation der Hauptstadtjournalisten ist, ob der neue Sprecher von der Kanzlerin genausoviel Vertrauen und Zugang bekommt wie sein Vorgänger Ulrich Wilhelm. Denn ein Sprecher könne schließlich nur so gut sein wie die Informationen, die er erhält. Seibert kennt diese Spekulationen natürlich. Um gleich zu beweisen, wie nah er an der Kanzlerin dran ist, berichtet er von einem morgendlichen Telefonat zwischen Merkel und Westerwelle. Die offizielle Formulierung lautet aus seinem Mund nun, man sei sich einig gewesen, dass die „Haushaltskonsolidierung Priorität“ habe. Am Tag vorher hatte Westerwelle noch Spielraum für Steuersenkungen gesehen. Der Journalist Seibert hätte da wohl Konfliktpotenzial zwischen Kanzlerin und Vizekanzler erkannt, der Sprecher Seibert weiß nun nur von einem harmonischen Gespräch zu berichten.
Als die Fragerunde nach anderthalb Stunden vorbei ist, wirkt Seibert erleichtert. Die Frage, ob er jetzt seinen Traumjob gefunden habe, blieb an diesem Mittag aus. Er hatte sie allerdings vor einem Jahr schon einmal beantwortet. Als er die ZDF-Castingshow Ich kann Kanzler moderierte, verriet er: Am liebsten wäre er Bundespräsident.
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