Die Politikwissenschaft habe sich in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet, in der Disziplin dominiere das L’art pour l’art. Bei großen Gesellschaftsthemen wie der Flüchtlingsfrage oder der Zukunft Europas blieben daher ausgerechnet diejenigen stumm, die die Debatte qua Profession eigentlich voranbringen müssten. So klagten vor kurzem zwei deutsche Politikprofessoren in der FAZ.
Dass es auch anders geht, dass man mit dem analytischen Besteck des Fachs gewinnbringend Fragen für eine breite Öffentlichkeit bearbeiten kann, zeigt jetzt ein schmaler Band über Populismus, den Jan-Werner Müller bei Suhrkamp veröffentlicht hat. Müller lehrt seit 2005 Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Princeton. Und in den USA ist es viel selbstverständlicher, dass Professoren sich auch ins aktuelle Debattengetümmel stürzen.
Wer über Populismus schreibt, landet zwangsläufig dort – im Getümmel. Da gibt es zum einen das Erstarken der Rechtspopulisten, quer durch die europäischen Länder. Zum anderen werden von links viele Hoffnungen auf einen „guten“ Populismus gesetzt, einen Linkspopulismus, der mit Zuspitzungen und klaren Frontmarkierungen das Mobilisierungsproblem progressiver Kräfte lösen soll. Und der nicht nur als Gegengift gegen rechte Stimmungsmache gepriesen wird, sondern auch als Königsweg zu einer gerechteren Gesellschaft.
Es geht nicht um Therapie ...
Müller schreibt, daraus macht er keinen Hehl, aus der liberalen Perspektive. Es geht ihm darum, aus konkreten Beispielen und demokratietheoretischen Überlegungen einen Idealtypus des Populismus herauszufiltern. Denn der unscharfe Gebrauch des Wortes verhindere jede weiterführende Erkenntnis und schade der Demokratie, weil das Etikett Populist oft einfach auch benutzt werde, um politischen Alternativen die Legitimation abzusprechen.
Ein Kurzschluss bei der Definition, warnt Müller, sei die Fokussierung auf die Wähler. Die untere Mittelschicht, die sich vom Abstieg bedroht sieht, wählt zwar in einigen Fällen stark populistisch. In manchen aber auch nicht. Wer auf sozialpsychologische Kategorien wie Wut, Ressentiments und Ängste den Schwerpunkt lege, verfalle allzu schnell der Versuchung, die Herausforderung durch Populisten „als eine Art kollektiven Therapiefall zu behandeln“.
Müller bestimmt Populismus stattdessen von der gedanklichen Struktur her – als eine Politikvorstellung, in der einem moralisch reinen, homogen Volk stets unmoralische, korrupte Eliten gegenüberstehen. Wobei entscheidend ist, dass echte Populisten nicht nur antielitär, sondern auch antipluralistisch sind. An ihrem Anspruch, als Einzige den Willen des „wahren Volks“ vertreten zu können, sind Populisten erkennbar. Dabei geht es ihnen nicht darum, diesen Willen empirisch zu erfassen, sondern sie meinen, immer schon vorher zu wissen, was „das Volk“ eigentlich wünscht.
An diesem Punkt macht Müller seine Hauptthese fest, dass Populismus der Tendenz nach immer antidemokratisch ist – ganz gleich, wie hyperdemokratisch er sich gerieren mag. Denn Demokratie ist ohne Pluralität nicht zu haben, einen einheitlichen Volkswillen gibt es nicht, oder mit den Worten von Jürgen Habermas gesprochen: Das Volk „tritt nur im Plural auf“.
Aus der populistischen Vorstellung, allein berechtigt zu sein, das Volk zu vertreten, erklärt sich auch das notorisch misstrauische Verhältnis zu den Medien. Der als moralisch rein gedachte Volkswille könnte durch „mediatisierende Kräfte“ verfälscht werden, weshalb gerade rechte Populisten es vorziehen, direkt mit ihren Anhängern zu kommunizieren. Daher die überragende Bedeutung des Internets mit seinen Foren und Facebookgruppen, in denen das eigene Weltbild immer wieder neu bestätigt wird.
Nun ist Müllers Beschreibung des Antipluralistischen bei Rechtspopulisten gut nachvollziehbar. Wie ist es aber mit dem Linkspopulismus, wie ihn etwa Podemos mit den Ideen von Chantal Mouffe praktiziert? Der Volksbegriff ist hier offener gedacht – aber zugleich in scharfer Abgrenzung zu den „Kräften des Neoliberalismus“ (Mouffe). Auch hier ist Müllers Argumentation plausibel: Von links kann genauso nicht einfach behauptet werden, den „wahren“ Volkswillen zu repräsentieren, auch hier müssen abweichende Meinungen als legitim anerkannt werden – Stichwort: Minderheitenschutz.
... sondern um Demokratie
Dennoch zeigt sich an dieser Stelle auch eine Schwäche in Müllers Essay: Die Folie, vor der er seine Überlegungen anstellt, ist eine ideal funktionierende Demokratie. In einer solchen haben alle Bürger die gleichen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen und ihre Interessen zu vertreten. Dass repräsentative Demokratien in der Realität anders aussehen, dass mehr Geld in der Regel mehr Einfluss bedeutet (Lobbyismus) und soziale Ungleichheit sich in der Verteilung von Bildungs- und Partizipationschancen niederschlägt, kommt in seinen Überlegungen zu kurz.
Und so bleiben seine Ratschläge für den Umgang mit Populisten auch oft auf einer allzu ideal gedachten Ebene hängen. Sich mit Populisten auseinanderzusetzen, bedeute etwa, ihre Positionen zu einer Verteilung von Flüchtlingen in Europa erst einmal anzuerkennen und zu diskutieren – allerdings nur, wenn sich dabei an bestimmte Grundregeln gehalten und nicht mit menschenverachtenden Kommentaren Hass geschürt werde. Genau daran scheitert ja aber ein demokratisches Gespräch mit der AfD ständig: Weil deren Frontleute kaum eine Gelegenheit auslassen, ihre Anhänger mit völkischer Stimmungsmache aufzuheizen.
Jan-Werner Müllers Essay zieht in der Populismus-Debatte ein paar dringend notwendige Orientierungspfeiler ein. Aber die Herausforderungen der Demokratie beginnen da erst so richtig. Und so hilfreich es ist, all die Idealtypen einmal herauszuarbeiten – im politischen Alltag changiert das meiste eben doch dazwischen. Es bleibt kompliziert.
Info
Was ist Populismus? Ein Essay Jan-Werner Müller Suhrkamp 2016, 160 S., 15 €
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