Was ist eigentlich aus dem Quartettspiel geworden, diesem unschuldigen Kindheitsvergnügen? In den frühen Achtzigern gehörte es zum Initiationsritus von Jungs, spielend die Leistungen von Autos, Schiffen und Flugzeugen zu vergleichen. Wer mehr Hubraum, mehr PS oder auch nur mehr Gewicht vorweisen konnte, gewann. Groß und schnell zu sein – das waren noch Werte an sich. Spielte man geschickt, konnte man allein mit der Porsche-911er-Karte das gesamte Auto-Quartett abräumen, weil der Sportwagen in der Kategorie Geschwindigkeit immer "stach".
Und heute? Vorbei scheinen die Zeiten, in denen es reichte, die Karte mit dem größten Schiff oder dem schnellsten Flugzeug zu haben. Und in denen man einfach nur Quartett spielen konnte. 2011 müssen im Kartenspiel die schwierigsten politischen Probleme verhandelt werden. Schuldenkrise, Atomausstieg und Migrationsdebatte – darunter machen es die neuen Polit-Quartette nicht.
Das ist zwar alles mit einem Augenzwinkern für die großgewordenen Kinder von einst gedacht, hat aber meist einen ernsten Kern. Korrekt und oft aufwendig recherchiert sind die Daten, die es zu vergleichen gilt. Und vor allem: Man soll nicht einfach nur spielen, sondern auch etwas lernen. Die neuen Quartette zielen aufs Bewusstsein: Sie wollen, dass der Spieler am Ende die Karten mit der richtigen politischen Einstellung aus der Hand legt.
Sicher, auch die Größer-Weiter-Besser-Quartette der siebziger und achtziger Jahre mit ihrem ungebrochenen Technik- und Fortschrittsglauben waren ideologiekritisch, nun ja, nicht gerade unverdächtig. Sie impften Generationen von Kindern den Gedanken ein, Wachstum sei per se etwas Gutes. Aber das Didaktische stand bei ihnen nicht so plakativ im Vordergrund. Es kam subtiler daher.
Seit Ende der neunziger Jahre rollte über den von Technik-Fans beherrschten Markt der Quartett-Produzenten zunächst eine Ironiewelle. Es entstanden Quartette, die verschiedene Arten Ungeziefer oder unterschiedliche Typen von Plattenbauten verglichen. Verkaufsschlager sind seit Jahren auch Tyrannen-Quartette, bei denen etwa Hitler Stalin aussticht. Mit ironischer Distanz konnten Erwachsene nun wieder dem Zeitvertreib ihrer Kindheit nachgehen. Und so bereiteten diese Spiele den Boden für die nur noch halbironischen, dafür auch halbdidaktischen Polit-Quartette von heute. Aber welche sind die wichtigsten? Und was wird da verglichen? Ein Überblick:
Schuldenkrisen-Quartett
Dieses Spiel will den Beweis antreten, dass kein Thema für ein Quartett zu komplex ist. Die Weltfinanzkrise wird auf Länder runtergebrochen, die in den Kategorien Rating, Staatsverschuldung, Neuverschuldung, Nettoauslandsvermögen und Auslandsverschuldung pro Kopf verglichen werden. Je nach Zynismus-Grad muss man zuvor nur noch klären, ob der höchste oder der niedrigste Wert gewinnt. Ein Problem ist nur die Aktualität. Die Ratings mancher EU-Länder rauschen so schnell in den Keller, dass im Sommer gedruckte Spielkarten schon veraltet sind. Es steht den Spielern aber frei, vor jeder Runde durch ausführliches Googeln ihre Karten zu aktualisieren.
Wer sollte das spielen? Jeder, der bei den Wirtschaftsnachrichten aussteigt, aber schon immer mal wissen wollte, was es mit dieser ominösen Krise auf sich hat.
Mauer-Quartett
Hier ist sie wieder, die ewige Quartett-Frage: Wer hat den Längsten? Bei diesem Spiel erfährt man, dass der längste Zaun der Welt in Australien steht. Der "Dingo Fence" ist 5.320 Kilometer lang und soll Wildhunde aus dem Südosten des Landes fernhalten. Damit zählt die Dingo-Fence-Karte zu den eher unpolitischeren in diesem Quartett, das Mauern und Zäune anhand des Baujahres, der Länge, der Breite, der Höhe und der Dauer ihrer Existenz vergleicht. Man findet unter anderem die Berliner Mauer, die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea und den Tortilla Curtain zwischen den USA und Mexiko. Quartett-Macher Marek Vogt will mit seinem Spiel darauf hinweisen, dass zurzeit „die Bewegung von Menschen stärker als je zuvor begrenzt“ werde.
Wer sollte das spielen? All jene, die mit ihrem EU-Pass noch nie an einer Grenze hängengeblieben sind. Und so manches Mitglied der Linkspartei.
Stuttgart21-Quartett
Gut, die Abstimmung am Sonntag ging verloren. Aber ist es deswegen wirklich vorbei? Wer von der Befriedung per Volksbefragung nichts hält, kann hier die Fronten wieder aufleben lassen. Auf fakeblog.de findet sich ein S21-Quartett zum Selbstausdrucken. Es gibt Karten von Stefan Mappus, Walter Sittler, dem Juchtenkäfer und dem Bauzaun. Sie werden in Alter, Gewicht, Trendsetter-Faktor (was auch immer das sein mag) und Volksnähe verglichen.
Wer sollte das spielen? Nur noch etwas für Hardcore-Wutbürger, die mit der direkten Demokratie so ihre Probleme haben.
Atomkraftwerke-Quartett
Dass das Kartenspiel "Deutschlands Atomkraftwerke" auf dem Deckblatt mit dem Zusatz "Das Original" wirbt, zeigt, dass es an der AKW-Front heftige Konkurrenz gibt. Tatsächlich kann man zwischen mehreren AKW-Quartetten verschiedener Anbieter wählen. "Das Original" vergleicht die deutschen Meiler in den Kategorien Betriebsbeginn, Bruttoleistung, Energieerzeugung, Störfälle und geplante Abschaltung. Neben herrlich hässlichen Ansichten von Kühltürmen hat es auch einfach einen Reiz, sein Gegenüber mit der Anzahl von Störfällen zu übertrumpfen: "Biblis B – 417 sticht!"
Wer sollte das spielen? Nicht mal mehr die CDU muss von den Gefahren der Atomkraft überzeugt werden. Oder doch? Bei Zweifeln, ob das alles noch konservativ ist, bietet sich eine Runde Störfall-Quartett an.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.