Der Freitag: Herr Braungart, Sie propagieren mit Ihrem Cradle-to-Cradle-Konzept "lustvolle Verschwendung". Konsumieren Sie gern?
Michael Braungart: Ich unterscheide zwischen Konsum und Nutzung. Ich konsumiere Lebensmittel, Waschmittel oder Dinge, die verschleißen – etwa Schuhsohlen oder Autoreifen, die sich abreiben. Aber ich konsumiere keinen Fernseher, keine Waschmaschine und keine Fenster, sondern ich nutze sie.
Welchen Unterschied macht das?
Die Idee ist, diese Produkte von Grund auf anders zu konstruieren, sodass sie nach der Nutzung vollständig in die technischen Nährstoffkreisläufe zurückkehren können. Dazu muss man sich vorher genau überlegen, was reinkommt. Nicht erst hinterher darüber nachdenken, wie man die verwendeten Schadstoffe wieder loswird.
Wie sieht so eine Cradle-to-Cradle-Wirtschaft konkret aus?
Man kauft dann keine Waschmaschine mehr, sondern nur noch das Recht, 3.000 Mal zu waschen. Danach gibt man das Gerät zurück und es wird vollständig wiederverwertet. Wir haben jetzt gerade die ersten Fenster auf dem Markt, bei denen man ‚25 Jahre Durchschauen‘ kauft – wenn das Unternehmen weiß, dass es die Fenster zurücknimmt, benutzt es auch bessere Materialen, nicht einfach die billigsten. Die Firma wird auf diese Weise zu einer Rohstoffbank.
Sie haben essbare Sitzbezüge entwickelt, die unter anderem im Airbus 380 verwendet werden. Ihre Kritiker bemängeln, dass zwar die Sitzbezüge komplett recycelbar sind, aber keineswegs der Rest des Flugzeugs.
Das wird immer so verkürzt dargestellt. Wir hatten uns ursprünglich Sofas angeschaut und uns überlegt: Wie wäre es, wenn alle verwendeten Materialien essbar wären? Dadurch sind Bezugsstoffe entstanden, die genauso gut und genauso schön sind wie herkömmliche Stoffe – dazu essbar und noch 20 Prozent billiger. Natürlich kommt dann auch die Flugzeugindustrie darauf, diese in ihren Flugzeugen zu verwenden. Ich fürchte, sie wurden mittlerweile sogar schon in Panzern eingebaut. Was aber keineswegs bedeutet, dass ich Panzer gutheiße.
Wachstumskritiker sagen, eben weil unsere Produktionsweise so ressourcenverbrauchend und umweltbelastend ist, brauchen wir weniger Flugzeuge und weniger Waschmaschinen.
Dass heute so viel von Wachstumskritik gesprochen wird, macht mich eher traurig. Erhard Eppler hatte bereits in den achtziger Jahren wunderbare Veröffentlichungen zum qualitativen Wachstum. Das ist nach wie vor sinnvoll, das müssen wir nicht alle 30 Jahre neu erfinden. Ein Beispiel: Da die Erde mindestens 5.000 Mal mehr Energieeinstrahlung hat, als wir verbrauchen, können wir uns intelligente Verschwendung erlauben. Statt uns dauernd Grenzen zu setzen, sollten wir besser Qualitätsziele formulieren, die wir erreichen wollen.
Sie kritisieren die Verfechter des Schrumpfens auch, weil sie einem immer ein schlechtes Gewissen machen.
Das ist psychologisch unklug. Das fängt ja schon mit dem Begriff Nachhaltigkeit an. Wenn ich einen Freund frage, wie die Beziehung mit seiner Frau läuft, und er antwortet: "nachhaltig" – dann sage ich doch: "Herzliches Beileid." So freudlos klingt das. Nachhaltigkeit ist kein positives Ziel, sondern nur Schuldmanagement, mit dem man versucht, das begangene Böse wieder auszugleichen. Dabei ist jedem klar, dass weniger vom Schlechten nicht gleich gut ist. All jene, die mit dem Mantra hausieren gehen, man müsse weniger verbrauchen, vertreiben aber die Innovativen vom Markt, die neue Produkte entwickeln, die tatsächlich Dinge ändern können.
Hinter der Wachstumskritik stehe vor allem ein falsches Menschenbild, monieren Sie.
Ja, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen Schädlinge sind, dann sind wir natürlich zu viele auf der Erde. Aber wenn man davon ausgeht, dass die Menschen für andere Lebewesen und die Natur nützlich sein können, dann sind wir nicht zu viele. Dann könnten wir noch mehr sein.
Was schlagen Sie vor?
Lasst uns doch bestimmen, wo wir 2020 sein wollen. Zum Beispiel soll dann alles Papier biologisch nützlich sein. Davon sind wir heute weit entfernt, noch immer werden Unmengen an Wasser bei der Papier-erzeugung verschmutzt. Oder wir sagen: 2020 soll die Luftqualität in Gebäuden besser sein als die Luft draußen. Im Moment ist sie drei- bis achtmal schlechter. Wenn ich so vorgehe, habe ich für meine jungen Studenten positive Ziele. Wenn ich ihnen stattdessen sage, 2020 werdet ihr nur noch 50 Prozent von dem leisten, was ihr jetzt macht, sage ich ihnen eigentlich: Am besten gäbe es euch gar nicht.
Welches Produkt hat Sie persönlich denn zuletzt überzeugt?
Das tollste Produkt zurzeit ist der neue Philipps-Econova-Fernseher. Er ist so konstruiert, dass seine Bestandteile beliebig oft in Kreisläufe zurückkehren können. Der erste Fernseher ohne PVC – alle Kunststoffe, die nicht recyclingfähig sind, wurden ersetzt. Aber als ‚Econova‘ kauft ihn kein Schwein. Die Leute glauben, er wäre als Gerät irgendwie schlechter, weil er ‚öko‘ ist. Das Marketing ist noch stark verbesserungsfähig.
Michael Braungart ist Chemiker, Verfahrenstechniker und Leiter der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg. Zusammen mit dem amerikanischen Designer William McDonough hat er das Cradle-to-Cradle-Konzept entwickelt. Alle Produkte sollen so konzipiert werden, dass man sie nach ihrem Gebrauch restlos wiederverwerten kann und kein Abfall entsteht. Braungarts Ideen haben besonders in den USA und den Niederlanden viele Anhänger.
Kommentare 42
Alles wunderbare Konzepte. Solche Sachen gibt es ohne Ende, schon seit Jahren. Nur durchgesetzt haben sie sich leider bisher nicht, weil sie dem Prinzip des ständigen Wachstums der Wirtschaft im Kapitalismus widersprechen. Aber vielleicht sollte man nicht einfach einen Tisch bauen, der hält, sondern einen, dessen Bestandteile sich immer wieder recyclen und neu verkaufen lassen. Dann wäre auch dem Kapitalismus genüge getan.
Ein interessanter Text zum Thema im Blatt aktuell auch übrigens hier: www.freitag.de/politik/1120-das-gute-leben-vorbei
Ein wunderbares Konzept lebt Vivienne Westwood, sie schneidert bekanntermaßen ja nicht nur ökologische Kleidung, sondern sagt (entgegen jeglicher Kapitalistenmentalität, die man mit Modeschöpfern verbindet), was eigentlich logisch ist: lieber zwei gute Kleider gekauft mit Sinn und Nachhalt, als zehn mit minderer Qualität, die in einem Jahr wieder ersetzt werden müssen. Das ist ein gutes Konzept!
"Nachhaltigkeit ist kein positives Ziel, sondern nur Schuldmanagement, mit dem man versucht, das begangene Böse wieder auszugleichen." Das ist natürlich hochgradiger Unfug und pure Polemik, wie einiges in dem Interview. Nachhaltigkeit bedeutet, Sachen auf Dauer zu konzipieren. Aber das bedeutet weniger Konsum - geht nicht im Kapitalismus. Deshalb muss als neue Ideologie so eine wie die des oben interviewten Herren her.
Aber nicht für die Logik des Kapitalismus. Zehn Kleider kaufen oder 20, die dann essbar sind nach Benutzung oder so.
Mit Eigenaroma, nam, nam.
Oder ab auf den Kompost als Futter für die Würmchen!
Ja, ich glaube so war das "essbar" eher gemeint. Das stand ja oben als Beispiel und ich fand die Vorstellung von (benutzten) Bezügen von Flugzeugsitzen als Mahlzeit eher unappetitlich ;)...
Das Interview passt zwar thematisch zu dem Text "Das gute Leben - vorbei?", aber es ist der nicht ausgereifte kleine Bruder dazu. Und überhaupt, wir reden doch von einem psychologischen Prozess (wirft man der Werbung nicht immer vor an die Psyche zu appellieren?), was sollen da diese Kategorien von Nutzen und Konsum (aber die Hauptsache losphilosophiert). Es geht um eine Einstellung, nicht um Kommastellen.
Naja, was ich sehr interessant an der vorgestellten Idee fand und für mich der Punkt war ist, dass hier ja ein Konzept von regenerativem Konsum entworfen wird, der in der kapitalistischen Marktlogik funktioniert. Nachhaltigkeit außerhalb dieser Logik und eigentlich dem gesunden Menschenverstand entsprechend würde bedeuten, dass Sachen nicht nur recyclebar sind, sondern auch möglichst lange halten.
Aber es ist ja bekannt, dass Waren so hergestellt werden, dass sie so schnell wie möglich wieder kaputt gehen oder obsolet werden, damit man den Leuten im Prinzip das gleiche Produkt wieder neu verkaufen kann. Und dieses Konzept der ‚lustvolle Verschwendung‘ passt da wie Faust auf Auge, während wirkliche Nachhaltigkeit das Wirtschaftssystem in Frage stellen würde. Darauf beziehen sich meine ganzen Anmerkungen hier.
Ist auch unappetitlich. :-)
Die Westwood näht sich Klamotten aus alten Geschirrtüchern und trägt das bei offiziellen Anlässen, saucool irgendwie, und, jetzt kommts: das ganz sieht auch noch gut aus. Vielleicht ist der Ausstieg aus dem kapitalistischen Szenario auch eine Frage der Fantasie.
"Vielleicht ist der Ausstieg aus dem kapitalistischen Szenario auch eine Frage der Fantasie." Nicht allein, das aber auf JEDEN Fall auch.
Da darf ich mal wieder einen meiner derzeitigen Lieblingsätze zitieren: "Laurie Anderson says that more people can imagine the end of the world than can imagine the end of capitalism. But perhaps those people are getting the world and capitalism mixed up. So when they imagine "the end of the world", that's actually their way of imagining the end of capitalism." (von Nicholas Currie alias Momus)
Dauerhaft und modern wurde schon eine bekannte prähistorische Kult- und Observatoriumsstätte nach den Prinzipien eines schwedischen Möbelhauses gekauft und aufgebaut:
blog.stonehenge-stone-circle.co.uk/2011/02/18/ikea-stonehenge-henj-diy-flat-pack-henge/
Diese Fantasie, vielleicht hat die auch damit zu tun, dass ich und du wohl auch Vorteile und Nachteile vom Osten und Westen mitbekommen haben. Ich meine das gute Gefühl von selbst eingemachter Marmelade ohne große Verpackung aus Plastik in Glasflaschen auf der einen, und die Möglichkeit nach Portugal zu fahren auf der anderen Seite. Das eine machte bescheiden, das andere regte die Lebens-Neugier an.
"Nachhaltigkeit ist kein positives Ziel, sondern nur Schuldmanagement, mit dem man versucht, das begangene Böse wieder auszugleichen."
Ja, der Satz stieß mir auch auf. Was bitte anderes als Nachhaltigkeit wäre das 'Cradle-to-Cradle'?
Man merkt dem gesamten Interview an, dass es Braungart nur um's Marketing für die Consulting-Dienste seiner EPEA GmbH geht. Ansonsten würde er nicht versuchen, solche albernen Abgrenzungen, die eigentliche keine sind, zu konstruieren.
Und natürlich brauchen wir Wachstumskritik. Die schädlichen Auswirkungen vom unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstum lassen sich ja nicht allein auf die Frage nach Recycling reduzieren.
Glückliche Kühe, Pardon, Studenten entwickeln essbare Bezugsstoffe für Flugzeuge und Panzer. Auch wenn manchen Lesern dieses Produkt am Arsch vorbeigeht, genau um solche Innovationskraft beneidet uns der Rest der Welt.
"Da die Erde mindestens 5.000 Mal mehr Energieeinstrahlung hat, als wir verbrauchen, können wir uns intelligente Verschwendung erlauben. Statt uns dauernd Grenzen zu setzen, sollten wir besser Qualitätsziele formulieren, die wir erreichen wollen."
Das scheint mir psychologisch ganz wichtig zu sein: Der Mensch muss nicht nur Grenzen erkennen und respektieren lernen, er muss auch Ziele vor Augen haben, die für ihn individuell und für die Menschheit ganz allgemein von Interesse sein können.
Prima Artikel, den nur die meisten der Kommentatoren leider nicht im Ansatz verstehen. Da ist viel Unwissen und Ideologie im Spiel.
Ohne ins chemisch-technische Detail zu gehen, versucht Braungart langfristige Entwicklungslinien vorzuzeichnen.
Nur beißt er da bei vielen auf Granit, weil sie meinen, sie verstünden auch etwas von der Sache und müssten hier ihren Senf dazugeben, anstelle den Artikel unvoreingenommen zu lesen und sich kundig zu machen.
"den nur die meisten der Kommentatoren leider nicht im Ansatz verstehen. Da ist viel Unwissen und Ideologie im Spiel."
Könnten Sie das näher erläutern?
Um die einzelnen Innovationen geht es gar nicht. Sondern um das Konzept, das ich wie oben erläutert sehr kritikwürdig finde.
Dass wir in Deutschland die Voraussetzungen haben, bei solchen Produkten innovative Vorreiter zu sein - darum beneidet uns nicht nur der Rest der Welt (außer den Ländern, die ähnliche und vielleicht sogar bessere Voraussetzungen haben, weil da sowas mehr geördert wird), sondern das ist auch unsere Chance, die wir nutzen sollten. Nur darum geht es in dem Artikel im Kern nicht, das ist ja nichts Neues.
Ich schenke ein "f" dazu - gefördert.
"Der Mensch muss nicht nur Grenzen erkennen und respektieren lernen" - der Interviewpartner sagt doch gerade das Gegenteil.
"Bessere Qualitätsziele" ist erstmal ein Begriff ohne Substanz. Sein Ziel ist doch weiter verschwenden, ohne Einschränkungen, nur mit recyclebaren Produkten.
So pauschal klingt das erstmal wie eine Trotzreaktion, weil *Sie* die Kritik nicht verstehen. Ums "chemisch-technische Detail" gings hier z.B. gar nicht.
wollte man ironisch sein, dann könnte der erste teil des interviews das design-pendant beschreiben zur abschreibung für abnutzung, kurz afa genannt.
aber da wir immer ernst zu sein haben, wird das "schädlings-bild" u.a. durch das united nations environment programme (unep) in seinem neuesten werk "Decoupling: natural resource use and environmental impacts from economic growth" transportiert, nachzulesen unter
www.unep.org/resourcepanel/Portals/24102/PDFs/DecouplingReport_small.pdf
überspitzter tenor: bis 2050 umsteuern, sonst ist der planet überweidet.
ansonsten, vor allem wegen der originalität, gern gelesen.
Braungart schreibt unter anderem:
"Die Idee ist, diese Produkte von Grund auf anders zu konstruieren, sodass sie nach der Nutzung vollständig in die technischen Nährstoffkreisläufe zurückkehren können. Dazu muss man sich vorher genau überlegen, was reinkommt. Nicht erst hinterher darüber nachdenken, wie man die verwendeten Schadstoffe wieder loswird."
Dieser Kern kann von ihm nur so allgemein dargestellt werden, ohne eben in chemisch-technische Details zu gehen. Das genau aber ist der Knackpunkt. Entweder glaubt man dem promovierten Chemiker und Verfahrenstechniker, oder man ist z.B. wie ich selbst (weil ich genau aus der chemischen Verfahrenstechnik komme) in der Lage, die Tragweite seiner Aussage und die logischen Folgen abzuschätzen.
Braungart geht eben von dem jeweiligen Produkt abhängigen schnellen Verwertungszyklen aus, da die Energie vorhanden ist, die man aber erst mit geeigneten Mittlen nutzbar machen muss.
Das hat eben sehr wenig mit dem Bild vom Menschen als Schädling zu tun, das Braungart bekämpft. Ebenso hat es nichts mit dem aus der Land- und Forstwirtschaft kommenden Begriff der Nachhaltigkeit zu tun.
Braungart stellt auf mehr und bessere naturwissenschaftlich-technische Gestaltung unseres Lebens ab, nicht auf ängstliche Vermeidung.
Da haben Sie aber wirklich zumindest meinen Kritikpunkt wirklich nicht verstanden. Der kommt aus einer völlig anderen Ecke. Sie sehen die technische Seite, ich die politische. Das hatte auch nur insofern mit Ideologie zu tun, als dass Baumgart hier mit einer Ideologie versucht, ein mit der Natur des Kapitalismus kompatibles Recyclingkonzept zu schaffen. Das finde ich das Neue, was ich an dem Interview herauslese, und auch das Problematische.
Sich vorher zu überlegen, was in die Produkte reinkommt sollte allgemein zum Konzept von Recycling gehören sollte, das ist sicher im Detail interessant aber kein völlig neues Konzept.
Was meinen Sie mit "von dem jeweiligen Produkt abhängigen schnellen Verwertungszyklen"? Die sind ja bekannter Maßen bewußt von der Industrie verkürzt, um immer wieder schnell neue Produkte verkaufen zu können. Das ist auch keine Ideologie, sondern Fakt.
Was meinen Sie mit "ängstliche Vermeidung"?
"Das hat eben sehr wenig mit dem Bild vom Menschen als Schädling zu tun, das Braungart bekämpft. Ebenso hat es nichts mit dem aus der Land- und Forstwirtschaft kommenden Begriff der Nachhaltigkeit zu tun." Wie meinen Sie das? dass der Begriff "Menschen als Schädlinge" nichts mit dem Begriff Nachahltigkeit zu tun hat oder Baumgarts Konzept? Diese konkrete Bezeichnung "Menschen als Schädlinge" war mir bisher übrigens noch nicht vertraut, ich werde mich noch einmal genau schlau lesen, wie er von den Leuten, die ihn verwenden, genau gemeint war.
@Popkontext,
natürlich geht es nicht um einzelne Innovationen. Mein Text ist eine Kritik, vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig verpackt.
Jan Pfaffs Überschrift ist auf´s Schärfste zuzustimmen. Da "Schädlinge" in jedem planetaren Ökosystem äußerst nützliche Lebewesen sind, wäre es wahrhaftig verfehlt, uns mit ihnen auf dieselbe Ebene zu stellen. Andere Begriffe sind deutlich angemessener, "Krebsgeschwür" kann ich auf Anhieb anbieten
@Lethe: Schädlinge ist auch so ein schwammiger Begriff, rein biologisch gibt es Halbparasiten, Parasiten und Parasitoide; letztere sind die, die ihren Wirt zerstören, nachdem die eigene Entwicklung abgeschlossen ist. Was der Mensch ist... keine Ahnung, daran sind schon große philosophische Geister gescheitert; ich denke er ist auf jeden Fall eines: dumm und egoistisch (wenn man das mal platt und pauschal sagen will).
@Lethe und lilaschwert: Danke für die Kommentare. Mir wird dadurch immer klarer, was Braungart mit seiner Kritik an negativem Menschenbild und Schuldmanagement genau meinte.
@Jan Pfaff
Mir dafür um so weniger. Wenn man davon ausgeht, dass "Schädlinge" erstmal nützlich für's Ökosystem sind, dann wären wir doch laut Baumgart in unserer Verschwendung Schädlinge - wenn wir nur recyclen. Und das "negativem Menschenbild und Schuldmanagement", was er - aus meiner Sicht so wie er es sagt faslch - mit wirklicher Nachhaltigkeit verbindet wäre die Krebsgeschwürgeschichte.
Also dass der Mensch in seinem jetzigen Verhalten das Krebsgeschwür ist und dieses deshalb grundsätzlich ändern muss.
Bitte, aber vermutlich kam der schwarze Humor nicht so durch oder zu stark, und außerdem stehen am Beginn andere Kommentare meinerseits.
Ich sage es mal ganz unschwarz:
ich habe verstanden was Braungart meint, aber ich muss es ja nicht teilen; zudem sind Menschen doch zu individuell um sie per se als Nichtschädling oder Schädling zu bezeichnen. Da schmeiße ich mal den verstaubten Begriff Anstand (Seele) in den Raum.
Dass man angesichts des vielen Mist was Menschen auf der Erde anstellen in die Luft geht, wenn man den Menschen (Homo sapiens sapiens) als alles andere als sapiens bezeichnet, wundert mich. Manchmal reicht es schon zu sagen der Mensch ist NUR Teil der Natur, nicht ihr Beherrscher, und Menschen entrüsten sich.
Entschuldigung, aber so wie die Lage auf unserem Planeten aussieht wird es höchste Zeit zu fragen woran das liegt, und da, Herr Pfaff, liegt das Problem bei uns.
Oha, das ist, glaube ich, echt ein Missverständnis. Die Aussage "Wir sind keine Schädlinge" bezieht sich ganz grundsätzlich auf das Potential/Wesen des Menschen, ist aber nicht in dem Sinne gemeint, dass Schädlinge eine sinnvolle Funktion haben, sonder erstmal - ganz plakativ - so, wie man Schädlinge allgemein versteht. Braungart meint, dass Menschen eine nützliche Funktion für ihre Umwelt haben können. Über das Interview zu schreiben "Wir sind Schädlinge" wäre aber ebenso missverständlich gewesen.
Dass momentan alles super läuft, sagt Braungart überhaupt nicht. Sondern, dass ziemlich viel schief läuft und wir uns in zu viel Kleinklein verlieren, statt konsequent umzustellen. Aber es ist natürlich richtig, dass er die Cradle-to-Cradle-Wirtschaft im kapitalistischen Rahmen denkt. Das finde ich allerdings auch interessant, weil mir der Ansatz ungleich umsetzbarer erscheint, als erst auf die Weltrevolution zu warten.
Ah, ok. Ich hoffe ja auf eine Art Revolution, die davon ausgeht alles zu überdenken, nicht nur den kapitalistischen Rahmen.
Ich denke nämlich der Fortschritt hat uns überrollt in vielen Ebenen.
Aber später dazu, mein Chef meckert sonst.
@lisa
"Ah, ok. Ich hoffe ja auf eine Art Revolution, die davon ausgeht alles zu überdenken, nicht nur den kapitalistischen Rahmen."
Genau. Aber eben nicht weil es einzelne Menschen gibt, die sich "anständig" verhalten, sondern der Mensch an sich immer noch zu sorglos mit der Umwelt umgeht. Das ist schon seit Jahrtausenden so, den nubischen Erzöfen haben wir die Sahara zu verdanken, dem phönizischen Schiffbau die Entwaldung und Erosion weiter Landstriche etc., heute spricht man schon vom Anthropocene, was das Holocene abgelöst hat www.bbc.co.uk/news/science-environment-13335683
Aber wir sind die erste Generation, die das Problem bewußt erkannt hat und somit auch bewußt gegensteuern kann. Nur dann muss sich mE das Denken und damit ggf. auch das Wirtschaftssystem und Konsumverhalten grundsätzlich ändern. Baumgart meint, es geht auch nur mit anderen Werkstoffen.
Ach so, @Jan Pfaff
"weil mir der Ansatz ungleich umsetzbarer erscheint, als erst auf die Weltrevolution zu warten."
Ja, klingt schön einfach. Nur warum stellt er dann Nachhaltigkeit als negativ dar und sagt es nicht einfach so wie Sie: Das scheint mir jetzt erstmal umsetzbarer?
Sicher, Polemik ist dabei und nicht zu knapp. Aber die befeuert auch die Diskussion, wie man an dem Kommentar-Strang ja sieht.
@Popkontxt: Stimmt. Wir sind die Generation, aber auch die, die muss, nicht nur kann, sonst sieht es bald düster aus. Das klingt immer so apokalyptisch, aber da ist auch was dran.
Selbst die Intellektuellen im Elfenbeinturm (nicht böse gemeint) erkennen es; nehme man den Bienen-Bericht der 3sat Kulturzeit von dieser Woche ("Berlin summt"). Der macht auf eine der vielen Baustellen aufmerksam, auf das Bienensterben, an dem wir nicht ganz unschuldig sind (kürzlich gab es hier einen Text zum Fledermaussterben); wir sind abhängig von den kleinen Fliegern, weil eben alles ein Kreislauf ist.
www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/154481/index.html
Die größte Ruine ist die Gegenwart (S. Sontag), da hatte sie wieder einmal recht. Daher ist Braungarts Schritt "nur" ein kleines Rädchen.
"Daher ist Braungarts Schritt "nur" ein kleines Rädchen."
Nicht nur das - indem er es als allein seeligmachend darstellt, für weitere Verschwendung plädiert und gegen Nachhaltigkeit wettert finde ich seine grundsätzliche Haltung sogar kontraproduktiv. Nichts gegen seine essbaren Bezüge (Guten Appetit), und auch nichts gegen innovative, recyclebare Werkstoffe, die sicher auf der technisch-chemischen Ebene eine Herausforderung darstellen. Aber der neue Gedanke hier ist ja der auf der Konsum- und damit der soziologisch-politischen Ebene.
Es freut mich, Jan Pfaff, dass ich Ihnen zu mehr Klarheit verhelfen konnte. Ein positives Menschenbild ist etwas Wundervolles, um sich über die Wirklichkeit unserer Spezies hinweg zu täuschen, aber ich darf Ihnen versichern, dass ein realistisches Menschenbild möglich ist, in Abhängigkeit von unvoreingenommener Beobachtung und Lebenszeit. Es ist nicht meine Schuld, wenn ein realistisches und ein pessimistisches Menschenbild praktisch ununterscheidbar sind.
@Lethe: In einem anderen Zusammenhang habe ich etwas zur menschlichen Beschreibung der Jetzt-Zeit gelesen: der Mensch hält sich für göttlich, das ist ein Produkt der Religion (ist auch streitbar, ich weiß); ein nichtpositives Menschenbild kommt damit der Ketzerei oder schlimmerem gleich. Imgrunde ist das nicht neues, aber die Verherrlichung (Augstein schrieb man verherrliche die Natur, da erlaube ich mir das Gegengewicht anzumerken) des Menschen bei denen festzustellen, die es besser wissen müssten, tja, das ist immer wieder enttäuschend.
@Popkontext: Ja, er schaut durch die Konsumbrille, dabei ist es diese Sichtweise, die schlimmes anrichtet; insofern ist er konsequent, konsequent kontraproduktiv.
Anscheinend geht es "uns" immer noch zu gut, als dass "wir" radikal umdenken, während um uns rum die K... am Dampfen ist (Anspielung auf EHEC, auch so eine Baustelle, die Lebensmittelindutrie).
@Popkontext nochmal: Stimmt vollkommen, nach nochmaligem Lesen, ein kleines Rädchen in die falsche Richtung.