Der Freitag: Herr Braungart, Sie propagieren mit Ihrem Cradle-to-Cradle-Konzept "lustvolle Verschwendung". Konsumieren Sie gern?
Michael Braungart: Ich unterscheide zwischen Konsum und Nutzung. Ich konsumiere Lebensmittel, Waschmittel oder Dinge, die verschleißen – etwa Schuhsohlen oder Autoreifen, die sich abreiben. Aber ich konsumiere keinen Fernseher, keine Waschmaschine und keine Fenster, sondern ich nutze sie.
Welchen Unterschied macht das?
Die Idee ist, diese Produkte von Grund auf anders zu konstruieren, sodass sie nach der Nutzung vollständig in die technischen Nährstoffkreisläufe zurückkehren können. Dazu muss man sich vorher genau überlegen, was reinkommt. Nicht erst hinterher darüber nachdenken, wie man die verwendeten Schadstoffe wieder loswird.
Wie sieht so eine Cradle-to-Cradle-Wirtschaft konkret aus?
Man kauft dann keine Waschmaschine mehr, sondern nur noch das Recht, 3.000 Mal zu waschen. Danach gibt man das Gerät zurück und es wird vollständig wiederverwertet. Wir haben jetzt gerade die ersten Fenster auf dem Markt, bei denen man ‚25 Jahre Durchschauen‘ kauft – wenn das Unternehmen weiß, dass es die Fenster zurücknimmt, benutzt es auch bessere Materialen, nicht einfach die billigsten. Die Firma wird auf diese Weise zu einer Rohstoffbank.
Sie haben essbare Sitzbezüge entwickelt, die unter anderem im Airbus 380 verwendet werden. Ihre Kritiker bemängeln, dass zwar die Sitzbezüge komplett recycelbar sind, aber keineswegs der Rest des Flugzeugs.
Das wird immer so verkürzt dargestellt. Wir hatten uns ursprünglich Sofas angeschaut und uns überlegt: Wie wäre es, wenn alle verwendeten Materialien essbar wären? Dadurch sind Bezugsstoffe entstanden, die genauso gut und genauso schön sind wie herkömmliche Stoffe – dazu essbar und noch 20 Prozent billiger. Natürlich kommt dann auch die Flugzeugindustrie darauf, diese in ihren Flugzeugen zu verwenden. Ich fürchte, sie wurden mittlerweile sogar schon in Panzern eingebaut. Was aber keineswegs bedeutet, dass ich Panzer gutheiße.
Wachstumskritiker sagen, eben weil unsere Produktionsweise so ressourcenverbrauchend und umweltbelastend ist, brauchen wir weniger Flugzeuge und weniger Waschmaschinen.
Dass heute so viel von Wachstumskritik gesprochen wird, macht mich eher traurig. Erhard Eppler hatte bereits in den achtziger Jahren wunderbare Veröffentlichungen zum qualitativen Wachstum. Das ist nach wie vor sinnvoll, das müssen wir nicht alle 30 Jahre neu erfinden. Ein Beispiel: Da die Erde mindestens 5.000 Mal mehr Energieeinstrahlung hat, als wir verbrauchen, können wir uns intelligente Verschwendung erlauben. Statt uns dauernd Grenzen zu setzen, sollten wir besser Qualitätsziele formulieren, die wir erreichen wollen.
Sie kritisieren die Verfechter des Schrumpfens auch, weil sie einem immer ein schlechtes Gewissen machen.
Das ist psychologisch unklug. Das fängt ja schon mit dem Begriff Nachhaltigkeit an. Wenn ich einen Freund frage, wie die Beziehung mit seiner Frau läuft, und er antwortet: "nachhaltig" – dann sage ich doch: "Herzliches Beileid." So freudlos klingt das. Nachhaltigkeit ist kein positives Ziel, sondern nur Schuldmanagement, mit dem man versucht, das begangene Böse wieder auszugleichen. Dabei ist jedem klar, dass weniger vom Schlechten nicht gleich gut ist. All jene, die mit dem Mantra hausieren gehen, man müsse weniger verbrauchen, vertreiben aber die Innovativen vom Markt, die neue Produkte entwickeln, die tatsächlich Dinge ändern können.
Hinter der Wachstumskritik stehe vor allem ein falsches Menschenbild, monieren Sie.
Ja, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen Schädlinge sind, dann sind wir natürlich zu viele auf der Erde. Aber wenn man davon ausgeht, dass die Menschen für andere Lebewesen und die Natur nützlich sein können, dann sind wir nicht zu viele. Dann könnten wir noch mehr sein.
Was schlagen Sie vor?
Lasst uns doch bestimmen, wo wir 2020 sein wollen. Zum Beispiel soll dann alles Papier biologisch nützlich sein. Davon sind wir heute weit entfernt, noch immer werden Unmengen an Wasser bei der Papier-erzeugung verschmutzt. Oder wir sagen: 2020 soll die Luftqualität in Gebäuden besser sein als die Luft draußen. Im Moment ist sie drei- bis achtmal schlechter. Wenn ich so vorgehe, habe ich für meine jungen Studenten positive Ziele. Wenn ich ihnen stattdessen sage, 2020 werdet ihr nur noch 50 Prozent von dem leisten, was ihr jetzt macht, sage ich ihnen eigentlich: Am besten gäbe es euch gar nicht.
Welches Produkt hat Sie persönlich denn zuletzt überzeugt?
Das tollste Produkt zurzeit ist der neue Philipps-Econova-Fernseher. Er ist so konstruiert, dass seine Bestandteile beliebig oft in Kreisläufe zurückkehren können. Der erste Fernseher ohne PVC – alle Kunststoffe, die nicht recyclingfähig sind, wurden ersetzt. Aber als ‚Econova‘ kauft ihn kein Schwein. Die Leute glauben, er wäre als Gerät irgendwie schlechter, weil er ‚öko‘ ist. Das Marketing ist noch stark verbesserungsfähig.
Michael Braungart ist Chemiker, Verfahrenstechniker und Leiter der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg. Zusammen mit dem amerikanischen Designer William McDonough hat er das Cradle-to-Cradle-Konzept entwickelt. Alle Produkte sollen so konzipiert werden, dass man sie nach ihrem Gebrauch restlos wiederverwerten kann und kein Abfall entsteht. Braungarts Ideen haben besonders in den USA und den Niederlanden viele Anhänger.
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