Hannelore Sie kämpfte, um das Bild der heilen Familie zu erhalten. Dabei litt Hannelore Kohl an ihrem Mann genauso wie er an ihr. Ein Gespräch mit Biograph Heribert Schwan
Der Freitag: Helmut Kohl hat seine Frau „Schlänglein“ genannt. Ein schöner, ganz origineller Kosename.
Heribert Schwan: Ich habe diesen Namen nach ihrem Selbstmord zum ersten Mal gehört, als Helmut Kohl mir den Abschiedsbrief seiner Frau vorgelesen hat. Der Brief endet mit „Dein Schlänglein.“ Sie hat Tiere gemocht, vor allem solche, die Felle haben. Aber gerade Schlangen, hat Kohl mir erzählt, habe sie eigentlich immer gehasst. Wenn sie im Wolfgangsee geschwommen ist, hatte sie Angst, dass von irgendwoher Schlangen auftauchen könnten.
Aber „Schlänglein“ bedeutet doch auch Falschspielerin?
Das kann ich Ihnen nicht beantworten, ich bin kein Psychologe. Aber ich weiß, dass beide Eheleute in der letzten Zeit sehr schroff
n ich Ihnen nicht beantworten, ich bin kein Psychologe. Aber ich weiß, dass beide Eheleute in der letzten Zeit sehr schroff miteinander umgegangen sind. Er hat sie gnadenlos bestimmt und von ihr verlangt, sich unterzuordnen. Egomanisch, narzisstisch, machiavellistisch – so war Helmut Kohl. In der letzten Lebensphase seiner Frau, nach der Spendenaffäre, ging es ihm vor allem um sein eigenes Leben, um sein politisches Über-Leben. Hannelore Renner war 15 Jahre alt, als sie Helmut Kohl kennengelernt hat. Die beiden haben ihr Leben miteinander verbracht. Worin bestand die Faszination füreinander?Helmut Kohl war ihr Beschützer, vor allem nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1952. Hannelore war ein Vaterkind gewesen. Zu ihrer Mutter, die sie streng nationalsozialistisch erzogen hatte, hatte sie ein schwieriges, distanziertes und beinahe gebrochenes Verhältnis. Als Pennäler war Helmut ein toller Typ. Er sah gut aus, war stark. Ein Anführer. Und er fühlte sich im Unterschied zu ihr in der Pfalz zu Hause. Hannelore selbst blieb nach dem Krieg und ihrer Flucht aus Leipzig eine Fremde. Ein Leben lang hat sie sich nach dieser Leipziger Zeit gesehnt, nach ihrer groß-bürgerlichen Kindheit dort.Insofern ist Hannelore Kohl in ihren Verletzungen, Traumatisierungen und in ihrer Sprachlosigkeit eine ganz typische Vertreterin ihrer Zeit?Absolut, sie entstammt der Generation der Kriegskinder. Sie wurde in den Nationalsozialismus hineingeboren, musste mit ihrer Familie flüchten und ist als junges Mädchen von Soldaten verge-waltigt worden. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen. Das ist stets, auch in ihrer eigenen Familie, tabuisiert worden. Sie bekam keine Hilfe, das zu verarbeiten, und hat dieses Trauma bis zu ihrem Tod mit sich herumgeschleppt. Und wenn stimmt, was in der Familie Kohl allgemein angenommen wird, dass die Mutter ihre Tochter den Soldaten freigegeben hat, um sich selbst zu schützen...Das spekulieren Sie? Das steht nicht in Ihrem Buch!Nein, das schreibe ich nicht. Aber das wird im Hause Kohl so überliefert, es würde die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung erklären. Die Mutter hat ja bis zu ihrem Tod 1980 mit in Oggersheim gewohnt.Und was hat Helmut Kohl an Hannelore fasziniert?Er hat in dieser ostdeutschen Frau etwas Besonderes gesehen. Sie war sehr hübsch – damals hat man sie „Germania“ genannt –, sie war überaus intelligent und kam im Gegensatz zu ihm aus einem großbürgerlichen Haus. Er hat sich gern mit ihr geschmückt. Wann kam es zum Bruch zwischen beiden? Oder wann setzte die Entfremdung ein? Je höher Helmut Kohl in der CDU stieg, damals noch in Rheinland-Pfalz, umso mehr zeigte sich sein Selbstbewusstsein, sein Drang zu dominieren. Und Hannelore Kohl begann zu zweifeln, als die ersten Gerüchte über eheliche Untreue auftauchten. Das war Ende der sechziger Jahre. Von dem Verhältnis zu seiner jetzigen Frau hat sie drei, vier Jahre vor ihrem Tod auch gewusst. Das erscheint als Widerspruch: einerseits heiratet Hannelore Kohl einen Vollblutpolitiker, andererseits hat sie die Politik verachtet. War das ein Machtspiel, fand darin ihre Verachtung für Helmut Kohl einen Ausdruck?Das glaube ich nicht. Die Ver- achtung für Politik entstammte ihrem Elternhaus. Dort dachte man streng nationalsozialistisch, antisemitisch sogar, und als die Familie nach dem Krieg auch sozial abstürzte, wollte man mit Politik nie wieder etwas zu tun haben. Hannelores Eltern blieben Antidemokraten. Bei ihrem Mann hat sie Politik immer auch als ein schmutziges Geschäft erlebt.Die Frauen dieser Generation sind hinter ihre Männer zurückgetreten, sie blieben unbeteiligt und damit scheinbar rein. Dann aber warfen sie ihren Männern vor, sich schmutzig zu machen. Das hat doch aggressive Züge.Diese Selbstlüge zeigt sich ganz besonders in der Erziehung der Söhne. Beide sind völlig apolitisch erzogen und damit dem Vater von Anfang an entfremdet worden. Es war ein schwerer Fehler von Hannelore Kohl, den Kindern nicht zu erklären, was ihr Vater tat. Demnach scheint sie eine machtbewusste Frau gewesen zu sein.Zu Hause hat sie eindeutig allein die Macht gehabt. Bis ins hohe Alter hat sie für die Söhne alles bestimmt. Beide waren ihre Männer. Diese beinahe krank- hafte Fürsorge hatte natürlich etwas hochproblematisches. Den Kindern fiel es schwer, sich abzunabeln und auf eigenen Füßen zu stehen. Walter Kohl schreibt in seinem Buch „Leben oder gelebt werden“, dass ihn der Selbstmord seiner Mutter absolut überrascht hat.Die Söhne hatten keine Ahnung vom tatsächlichen Zustand ihrer Mutter. Sie waren wochenlang nicht mehr bei ihr gewesen. Als Peter, der jüngere Sohn, einige Wochen vor ihrem Tod in der Türkei geheiratet hat, war das für sie ein Schlag ins Gesicht. Schließlich konnte sie wegen ihrer Lichtallergie nicht dorthin reisen. Die Lichtallergie beschreiben sie als ein psychosomatisches Symptom einer Depression. Hannelore Kohl dagegen hat es für eine körperliche Krankheit gehalten. Sie selbst hat psychotherapeutische Hilfe stets abgelehnt, weil sie ja das Gefühl hatte, krank zu sein. Sie spürte dauernde Schmerzen. Eigentlich aber litt sie an einer Depression. Dermatologen sagen eindeutig, dass man eine Lichtallergie heilen kann. Sie beschreiben Hannelore Kohl als eine zerbrechliche, depressive, traumatisierte Frau, die aus diesen Verletzungen aber auch ein Machtsystem erschaffen hat. Kann man so bei der landläufigen Deutung bleiben, dass sie ein Opfer Helmut Kohls gewesen ist? Verzweifelten nicht beide am jeweils anderen?Richtig, Hannelore war als Kind ein Opfer, aber später nicht mehr. Helmut Kohl hat an ihr genauso gelitten wie sie an ihm. In der Dunkelheit, in der sie in Oggersheim lebte, konnte man es nicht aushalten. Aber warum wird er dann überall als Täter dargestellt, der seine Familie ruiniert hat?Täter war er in der Spenden- affäre, die hat er zu verantworten. Aber auch Frauen hat Helmut Kohl stets instrumentalisiert, ob im Kabinett oder zu Hause. Liegt das vielleicht an seiner Sprachlosigkeit, die wiederum für die Männer seiner Generation typisch ist?Das mag sein. Hannelore Kohls Selbstmord bezeichnen Sie in Ihrem Buch „als letzte Aggression gegen sich und ihr Umfeld“. Ist es auch eine letzte Demonstration ihrer Macht? Es ist vor allem eine ganz selbstständige Tat gewesen, ein klarer Schritt von Emanzipation. Sie allein bestimmte Ort und Zeit ihres Endes. Ob man sagen kann, dass sie auch gehofft hatte, dass das Leben ihres Mannes danach anders gedeutet wird, kann ich nicht sagen, aber in dem Selbstmord scheint noch einmal die nationalsozialistische Gesinnung der Eltern auf. Christen tun sich mit einem solchen Schritt schwer. Die Kohls sind plötzlich wieder Thema geworden. Dabei ist interessant, dass es allein um die Privatperson Helmut Kohl geht. Der Politiker spielt eigentlich keine Rolle mehr.Die Familie Kohl ist über Jahre geschützt worden. Es wurde immer eine heile Welt inszeniert, die schon lange nicht mehr der Wahrheit entsprach. Die Fremdbestimmung, die Kohl seiner Familie zumutete, war enorm. Nun erhalte ich viele Reaktionen von Lesern, die sagen, zwar haben wir die Frau nie gemocht, aber nun müssen wir ihr Abbitte leisten. Die Leute haben an die Inszenierung geglaubt. Sowohl Hannelore als auch Helmut Kohl agieren in ihrer Zeit beinahe prototypisch. Müssen sich beide heute nun Fehler bescheinigen lassen, die damals alle gemacht haben?Ja. Ich glaube, dass man mit der Inszenierung einer heilen Familie, mit einer derartig funktionalisierten Ehefrau heute keine Wahlen mehr gewinnen würde. Man müsste eine andere Offenheit propagieren. Über die außerehelichen Fehltritte von Helmut Kohl ist nie geschrieben worden. Das ginge heute nicht mehr. Auch der Selbstmord wurde durch die Legenden der Familie verschleiert. Tragen wir gerade die Werte der alten Bundesrepublik zu Grabe?Nein, es sind eher die Werte der Kriegsgeneration, von der wir uns verabschieden. Ihr Schweigen, ihre Tabuisierungen und Legendenbildungen. Wir wagen nun einen Blick hinter die Fassaden. In der Bonner Republik wurden ewig Fassaden aufgebaut, bei den Kohls, den Brandts. Auch bei den Schmidts. Nein, er kann sich ja noch wehren. Warum werfen Ihnen die Söhne dann Verrat vor?Das ist dummes Geschwätz. Die Söhne haben keine Ahnung von meiner Funktion für Hannelore Kohl. In ihrer letzten Lebensphase war ich ein enger Vertrauter von ihr.
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