Es war eine unheimliche Vorstellung. Eine, nach der man sich total leer fühlt. Nur wenige, vielleicht ein Viertel der Besucher, sind nach dreieinhalb Stunden am Ende der Premiere von (ILL)LEGAL noch dabei. Vielleicht hatten die anderen keine Zeit mehr, fürs schlechte Gewissen haben sie 8 Euro Eintritt bezahlt und ein Schnecke, die den symbolischen Namen Frida trägt, auf die Hand gestempelt bekommen. Womöglich hatten sie eine reibungslose Vorstellung erwartet, dabei will das Projekt, wie die Initiatorin Brina Stinehelfer betont, lediglich eine Plattform sein für die Geschichten der Flüchtlinge aus Afrika: „Eine Geschichte, die erzählt werden sollte.“
Um diese Geschichte zu erzählen, braucht es keine deutschen Schauspieler. „Sie können für sich selbst reden. Sie sind intelligent, engagiert, sie haben etwas erlebt, das ich nicht verstehe und auch viele Europäer auf jeden Falls nicht wirklich verstehen. Sie können viel besser für sich sprechen als jemand anderes das kann. Egal was man darüber denkt, die Flüchtlinge, Migranten und Menschen ohne Papieren in Berlin, sind ein Teil dieser Stadt,“ sagte Stinehelfer nach der letzten Probe am Freitagabend. Müde und ein bisschen nervös war sie, denn alles ist in nur fünf Tagen Workshop entstanden. Kostenlos. In der Hoffnung, dass genug Leute kommen und zuhören, damit sie den Performern eine Aufwandsentschädigung zahlen können.
Was ein Hemd erlebt
Der Samstagabend beginnt mit eine Minute Stille für die rund 400 Flüchtlingen, die in der vergangenen Woche auf dem Weg nach Europa ihr Leben verloren haben. Nicht wissend, dass gerade eine neue, noch größere Tragödie im Mittelmeer vor sich geht. Worte wie „Massaker“ oder „Genozid“ werden europäische Politiker später dafür benutzten. Politiker, die mit dem Ende von Mare Nostrum in Kauf nahmen, dass mehr Boote kentern würden.
Das ehemalige Stummfilmkino Delphi ist für den Abend eine passende Kulisse, der Putz bröckelt von den Wänden, Kälte und Feuchtigkeit an der Decke runden die Atmosphäre ab. Eröffnet wird er mit einem Stück, das von dem endlosen Papierkrieg erzählt, der Flüchtlinge in Europa erwartet, wenn sie die anstrengende Flucht überlebt haben – in einer Sprache, die alle verstehen: Tänzer der Gruppe Lis:sanga – eine Kompanie, in der Menschen mit sehr unterschiedlichem sozialen Hintergrund und auch viele Asylbewerber tanzen – zeigen eine Hommage an Roger, der schon mit 18 Jahren nach Berlin gekommen ist. Er ist jetzt 75, und noch immer bekommt er keine richtigen Papiere. Stellvertretend für Roger steht sein Hemd – mit Elementen des Zeitgenössischen Tanzes und Breakdance beschreiben sie, was es in dieser Zeit erlebt hat.
Auch Hunde haben Dokumenten
Dann ist die Reihe an den Flüchtlingen. Stinehelfer hat ihnen freigestellt, was sie machen möchten. Sie haben sich für ein Theaterstück entschieden, das die Geschichte vom Oranienplatz erzählt. Eigentlich eine bekannte Geschichte. Und doch ist es hier eine andere Geschichte, denn sie alle waren dabei.
Es hätte einen weiteren Mann gegeben, der mitmachen wollte. Am zweiten Tag der Workshops rief er an und sagte, sein Rechtsanwalt habe ihn zu einem Flüchtlingsheim außerhalb Berlins geholt, wo er drei Tagen bleiben müsse. Er wusste nicht warum. Reine Bürokratie, glaubt Stinehelfer.
„I fight for my freedom here“, sagt am Freitag während der Proben ein 27-Jähriger aus Niger, der schon zwei Jahren in Berlin ist. Umar spricht französisch und arabisch, deutsch „nur ein bisschen“, sagt er und lächelt verschämt. Er kam wegen des Kriegs in Libyen, wo er zuvor lebte. Mit dem Boot bis Lampedusa, zusammen mit 215 Leuten. Fünf sind auf dem Weg gestorben. An den Geruch kann er sich noch immer erinnern.
Jetzt kämpft er hier für seine Freiheit. Auf der Straßen, wo er auch schlaft. Mit Protesten. Auf dem 500 Kilometer langen Marsch für die Freiheit nach Brüssel war er dabei. Jetzt also im Theater. Der 30-jährige Abduel hat eine ähnliche Geschichte, seit eineinhalb Jahre ist er hier. Sie dachten, es wäre besser, in einem demokratischen Land zu leben. In Afrika war Deutschland als Vorbild für Demokratie bekannt. Jetzt finden sie heraus aus, dass die Demokratie nur für Europäer gilt. In einem Land, in dem, „selbst Hunde Dokumente haben“, sie aber nicht. „Wir hatten Arbeit und Geld in Libyen, bevor die Politiker entschieden, dass Gaddafi ein schlechter President sei. Dann kam der Krieg. Dann kam die Nato.“
Die Menschen hinter der Statistik
Sie möchten, dass Leute hier verstehen, was mit ihnen passiert ist. Hier. In Berlin. „Warum reden sie von Menschenrechten? Und pressen dann Flüchtlinge in Lager.“ Beide sprechen ruhig. Vielleicht hilft das Theaterstück, meinen sie. Vielleicht haben die Leute ein Herz, überlegen sie optimistisch, und möchten etwas änderen.
Auf der Bühne erklingt nun traurige Musik, Bilder vom Meer und den Booten sind zu sehen. „Wir haben die Fotos gemacht,“ sagen sie. Die Präsentation mutet wie ein schaudererregender Reisevortrag an. Von einer Reise, die niemand verdient. Sie zeigt die Geschichten von den Menschen hinter den Statistiken. Bilder von Leuten, die erfolglos versuchten nach Europa zu kommen. Lachende Gesichter, noch in Afrika aufgenommen, neben denen jetzt ein rotes Kreuz steht. Ein Video zeigt, wie ein Flüchtling als erster den Grenzzaun erklimmt und von spanischen Polizisten geschlagen wird, bis er bewusstlos liegen bleibt.„Das passiert auch an den Grenzen von europäische Demokratie,“ sagt ein Performer. Diese Erfahrungen hinterlassen Traumata. Davon zu erzählen sei dann auch eine Therapie für sie, sagt er.
Es gibt so viel grau
Zwischendurch gab es aber auch lustige Momenten. Die Gastperformance aus Antwerpen Star Boy Productions: The Illegal Things People Do To Become Legal von Ahil Ratnamohan zum Beispiel, die von den klandestinen Strategien handelt, die man unternehmen kann und muss, um in Europa zu bleiben. Etwa dass man besser sagt, man habe Ebola, um nicht sofort zurück zu Afrika geschickt zu werden. Betteltechniken, um Geld zu verdienen oder Eroberungstricks, die weiße Frauen verzaubern. Drei der Performer sind ursprünglich nach Belgien gekommen, um Fußball zu spielen.
Ratnamohan möchte sein Publikum nicht lehren, was richtig ist. „Nichts ist schwarz-weiss. Es gibt so viel grau! Ich glaube, viele Europäer wissen nichts über diese Menschen. Manchmal machen sie schlechte Dinge. Manchmal sind sie gute Bürger. Die Frage ist, warum? Es ist nicht passé, auch mal zu lachen.“
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