Gegen das Getue um Bio-Enten

Notwehr Holger Witzel karikiert in seinen Kolumnen Ost-West-Gegensätze bis zur Kenntlichkeit. Nun sind die „Pöbeleien aus einem besetzten Land“ in einem Buch gesammelt. Könnte Ärger geben

Zwölf Jahre nach dem Mauerfall hatte Holger Witzel schon mal sein Schatzkästlein mit den schönsten Beschimpfungen geöffnet. Da wurden Reiseempfehlungen formuliert: „Wenn alles so schön war, dann zieh doch nach Nordkorea!“ Dort hieß es prophetisch: „Ist es denn ein Wunder, dass es bei uns wie in der DDR zugeht? Schließlich regieren ehemalige DDR-Bürger unser Land.“ Provoziert hatte der „unbelehrbare Ossi“, „Volksverhetzer“ und „Zonen-Lümmel“ die Flegeleien mit seinen Kolumnen Schnauze Wessi, die auf stern.de erscheinen. Jetzt sind die „Pöbeleien aus einem besetzten Land“ in einem Buch versammelt. Könnte Ärger geben.

Dabei ist Schnauze Wessi weder als Manifest Zukurzgekommener zu verstehen, noch als Festschrift für Gestrige. DDR-Nostalgie findet Witzel nicht lustig – den Westen schon. Und dies muss man wohl vorausschicken: Der Leipziger hat, wie er betont, noch nie SED gewählt, auch nicht PDS oder Die Linke. Die SED-Keule sei ohnedies nur „die Kasperleklatsche im Demokratietheater.“ Also: hinsetzen, durchatmen, sacken lassen. Und zwar alle beide!

Am Anfang stand ein Wutanfall. „Am 20. Jahrestag des Mauerfalls lief das Fass der Tränen über“ und dem Journalisten die Galle: „Ob in China ein Sack Reis umfällt oder auf halbem Weg dahin eine Mauer – na und?“ Niemand zwischen Nord- und Tegernsee hatte Interesse an einem wirklich neuen, gemeinsamen Land. Es ist das Scheinheilige, Vorgemachte, Nachgeplapperte, das Witzel auf die Palme bringt. Das Getue um handgerupfte Bio-Enten und verhaltensauffällige Kinder. Ignoranz und anschwellende Selbstgerechtigkeit bei höchstmöglicher Unkenntnis. Keine Ahnung, aber unbedingt eine Meinung.

Im Satire-Kahn

Es gehört nicht viel dazu, davon genervt zu sein, aber einiges, die Sache auf den Punkt zu bringen. Als die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beitrat, dachten viele, „sie müssten nur Hammer, Zirkel und Ährenkranz aus ihrer Fahne schneiden und könnten danach weiter als Schmied, Ingenieur oder Bauer arbeiten“. Dabei waren nun auch sie nur als Konsumenten vorgesehen. Nicht die Umstände trennen bis heute, sondern der Umgang damit. Wer es gewohnt ist, hinter die Kulissen zu schauen, zu hinterfragen, wird das weiter tun. Wenn auch nicht immer mit Getöse.

Und nicht immer mit Erfolg. Was bleibt, wenn die Leipziger Oktoberrevolution als Wochenendarrangement zu haben ist, ab 150 Euro pro Person im Doppelzimmer samt Stadtrundgang „Auf den Spuren der friedlichen Revolution“? Zum Beispiel die Fahrt in einen Robinson-Club, den Witzel als „Pionierferienlager mit der ganzen Familie“ erlebt, als Urlaub von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Am Strand von Usedom tarnt seine Frau die Brigitte mit einer Super-Illu – schließlich wolle man nicht unangenehm auffallen. Auch das ist ein Erkennungszeichen: „Wir fallen einander auf, weil wir nicht weiter auffallen, was den anderen vermutlich nicht mal auffällt, weil sie damit beschäftigt sind aufzufallen.“ Und falsche Liebe: „narzisstische Phänomene der Überidentifikation mit Opfern“, festzumachen an der Vorliebe einiger Neu-Berliner für Schwalbe-Mopeds und Trainingsjacken der NVA.

Witzel kennt beide Seiten, 1968 in Leipzig geboren, arbeitet er seit 1996 für den Stern. Unter dem Pseudonym Hans Waal ist 2008 sein Roman Die Nachhut erschienen, eine Satire, in der alte und neue ­Nazis, alte und neue Linke, alte und neue Zyniker aufeinandertreffen. Auch in Schnauze Wessi schickt Witzel seine Gesellschaftskritik im Satire-Kahn den Bach rauf.

Alles andere hieße zurückzurudern. Dabei trifft er mit seiner einheitspolitisch unkorrekten Ironie und seiner Freude am Klartext den richtigen Ton. Wie im „Fremdwörterbuch Deutsch-Westdeutsch“: Egoisten = Individualisten; asozial = neoliberal; Sklavenhalter = Personaldienstleister. Alles Klischees? Selbstverständlich. Gemein? Und wie!

Schnauze Wessi. Pöbeleien aus einem besetzten LandHolger Witzel
Gütersloher Verlagshaus 2012, 192 S., 14,99

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