Eigentlich wollte Heller schon in den Westen gehen. Nun aber bleibt er hier. Seit der Wende hat sich der Elektroingenieur von einem Job zum nächsten gehangelt, eine echte Herausforderung am einstigen DDR-Mikroelektronik-Standort Frankfurt (Oder), aber nie gefunden. Seit in der vorigen Woche bekannt wurde, dass hier eine neue Chipfabrik und 1.500 Arbeitsplätze entstehen sollen, schöpft er wieder Hoffnung. "Eine Beschäftigung inmitten neuester Technologien: Das wäre endlich wieder ein Job, der zu mir und meinem Spezialwissen passt".
"Eine schöne Zeit und eine interessante Arbeit", sagt er über die sieben Jahren im alten Halbleiterwerk (HFO), und es klingt beinahe melancholisch. 1978 ist Ulf-Peter Heller, ein gebürtiger Thüringer, nach Frankfurt (Od
nkfurt (Oder) gekommen, weil es dort sofort eine Neubauwohnung gab. "Bei einem Tauchurlaub am Frankfurter Helene-See wurde ich auf das HFO aufmerksam", erinnert sich Heller, der zuvor in den Keramischen Werken Hermsdorf als Mikroelektroniker gearbeitet hatte. 1978, da konnte das Halbleiterwerk bereits auf eine 20-jährige Geschichte zurückblicken.Begonnen hat die Halbleiter-Tradition an der Oder jedoch in einem Schulgebäude in der Frankfurter Innenstadt. In den Räumen der kleinen Thomas-Müntzer-Berufsschule in der Potsdamer Straße produzierten ab 1958 etwa 250 Frauen Glasdioden für die Rundfunkindustrie, die ersten Halbleiterbauelemente in der DDR. Ob im Radio "Sternchen", in der Kamera "Praktika" im "Elektronischen Tischrechner 220", im "Volltransistorierten Fernsehkoffergerät K 67" oder in Herzschrittmachern, überall steckten in technischen Geräten die Transistoren und Schaltkreise aus Frankfurt (Oder).1960 arbeiten hier schon 1.000 Menschen, fünf Jahre später 3.000, seit 1961 in den neuen Produktionshallen im Frankfurter Ortsteil Markendorf. 1967 beginnt die Serienproduktion von Silizium-Planar-Transistoren, später auch von integrierten Schaltkreisen: Mikroelektronische Bausteine, die in einem Gehäuse Elemente wie Transistoren, Widerstände oder Kondensatoren auf einem Halbleiterkristall zu einem so genannten Chip vereinigen. Immer mehr polnische Arbeitskräfte werden eingestellt. Ende der achtziger Jahre hat das HFO schließlich über 8.000 Mitarbeiter.In Frankfurt gab es Apfelsinen, in Thüringen nur grüne ÄpfelUlf-Peter Heller ist damals in der Messverfahrensentwicklung tätig, entwickelt Methoden zur Qualitätsprüfung der gefertigten Mikrochips und programmiert Testautomaten. Selbst in der Freizeit bastelt und tüftelt der inzwischen vierfache Familienvater und bessert durch zahlreiche Neuerungsvorschläge sein Gehalt auf. "Um keinen Ärger mit der Gewerkschaft zu bekommen, traute ich mich manchmal gar nicht, die Überstunden abzurechnen", schmunzelt er noch heute. Erinnern kann er sich auch noch an die für DDR-Verhältnisse außergewöhnliche Versorgung mit Lebensmitteln. "In Frankfurt gab es Apfelsinen, in meiner Thüringer Heimat nur grüne Äpfel."Aber auch ihm bleibt nicht verborgen, dass man im HFO der weltweiten High-Tech-Entwicklung schon damals um Jahre hinterherhinkt. Im ganzen Land kursiert der Witz, ostdeutsche Chips seien "einfach nicht kleinzubekommen". "Wir haben überwiegend nur Schaltkreise nachgebaut, die über dunkle Kanäle aus dem westlichen Ausland stammten und dort schon länger auf dem Markt waren. Eigenentwicklungen hatten wir selten", erzählt Heller. Und wenn, lassen sich diese im Westen nicht verkaufen, da man an der Oder mit völlig anderen Parametern produziert. Doch zu internationalen Messen, sagt Heller, seien nur "politisch zuverlässige" Kollegen gefahren. "Da ging es weniger um Fachwissen."So entwickelt sich der Frankfurter Betrieb zum größten DDR-Mikroelektronik-Erzeuger und zum Marktführer für bipolare Halbleiter-Schaltkreise im damaligen Ostblock. Diese Ausrichtung fällt dem Werk nach der Wende allerdings auf die Füße. Die Produktpalette ist im Westen nicht konkurrenzfähig, man setzt weiter auf das Osteuropa-Geschäft, doch Aufträge von dort bleiben aus. Verluste in Millionenhöhe werden zunächst von der Treuhand, später vom Land Brandenburg ausgeglichen. Potsdam ist mangels privater Investoren unfreiwillig zum Mehrheitseigner des zusammengeschrumpften HFO geworden. In der Geschäftsleitung herrscht Kommen und Gehen, die Firma wechselt verwirrend oft den Namen - die Verluste bleiben. Am Ende heißt das Halbleiterwerk SMI (System Microelectronic Innovation GmbH), hat noch 200 Mitarbeiter und reicht 1997 den Konkurs ein.Den schier ausweglosen Überlebenskampf des HFO erlebt Heller selbst nicht mehr mit. 1984 findet er eine neue Stelle im Frankfurter Institut für Halbleiterphysik (IHP). Er habe neue Herausforderungen gesucht. "Ich wollte an die Rechentechnik heran. Und die im IHP hatten damals schon einen amerikanischen Computer zur Verfügung." Offiziell darf das zur DDR-Akademie der Wissenschaften gehörende Forschungsinstitut keine Fachleute aus dem HFO abwerben. "Da gab es noch mächtigen Ärger, als ich ging." Heller übernimmt nach der Entwicklung der ersten DDR-PCs von Robotron - 1985 das DDR-Pendant zum Commodore 64 im Westen - die interne EDV-Vernetzung, die Mitarbeiterschulung und gibt auch Computer-Lehrgänge außerhalb des IHP. Nach der Wende, so sagt er, seien ihm viele ehemalige "Schüler" um den Hals gefallen, weil sie Dank der bei ihm erlernten Kenntnisse schnell einen neuen Job fanden.Renommierte High-Tech-Firmen wie Siemens locken die Jungen und Kreativen nach der Wende schnell aus Frankfurt (Oder) weg, auch weil die DDR-Ingenieure in der ganzen Computerbranche als clevere Köpfe und Improvisationstalente gelten. Wer mit Materialen umzugehen gelernt hat, die zum Nachbau der West-Chips kaum taugen, ist zwangsläufig ein Tüftler.Heller ging nicht in den Westen, er versuchte es erst einmal allein. "Meine Einfälle wollte ich endlich selbst vermarkten", sagt er mit einem Seufzer. Seine noch vor der Währungsunion gegründete Firma für Alarm- und Sprechanlagen überlebte dreieinhalb Jahre. "Mit dem Montieren und Installieren war kein Geld zu verdienen, die Konkurrenz zu stark und die Zahlungsmoral zu schlecht", sagt Heller heute. Wäre er im IHP geblieben, würde er heute zu den Mitarbeitern einer inzwischen anerkannten Forschungseinrichtung zählen, die nach der Wende zum eigentlichen Motor der neuen Frankfurter High-Tech-Zukunft avancierte. 1992 wurde das Institut wiedergegründet, und drei Jahre später tauschte der promovierte Physiker Abbas Ourmazd seinen lukrativen Job in Silicon Valley gegen die Institutsleitung in Frankfurt (Oder). Der Iraner mit amerikanischem Pass orientierte das IHP auf wirtschaftsnahe Forschung sowie die Entwicklung neuer Technologien für die drahtlose Kommunikation und hat mit dem Intel-Deal nun wohl eine Erfolgsstory geschrieben.Nach der Wende Alarmtechniker, Bauleiter, Astronomie-Lehrer und Fußpfleger Heller kehrte nach einem zweijährigen ABM-Projekt, freiberuflicher Dozenten-Arbeit, Bauleiter-Job, Astronomie-Lehrtätigkeit und einem Diplom in medizinischer Fußpflege Anfang vergangenen Jahres wieder in die Halbleiterbranche zurück. Aber er arbeitete nur wenige Monate als Systemadministrator, bevor die letzte Nachfolgefirma der HFO im Frühsommer 2000 Konkurs anmelden musste. Die europäische Wettbewerbskommission hatte regelwidrig gewährte Subventionen der Treuhand und des Landes Brandenburg in Höhe von 140 Millionen Mark zurückgefordert.Eine Förderungs- und Qualifizierungsgesellschaft fing die knapp 150 letzten Mitarbeiter zunächst auf. Für Heller und seine Kollegen liefen die Schulungen zu Computer- und Internetanwendung, Bewerbungstraining und Arbeitsrecht im Frankfurter bbw-Bildungszentrum in dieser Woche aus. Da kommt ihm die neue Perspektive in der Chipfabrik gerade recht. Doch der 53-Jährige denkt dabei nicht nur an sich. "Im Schlepptau des neuen Werkes wird es auch einen Aufschwung für Baugewerbe, Zulieferindustrie und bereits bestehende mittelständische High-Tech-Firmen geben."
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.