Temporäres Dach

Zwischenmiete Statt sein Haus leerstehen zu lassen, kann man Hauswächter engagieren, die es hüten und dort wohnen. Auf Zeit. Sie sollten nur nicht zu heimisch werden

Krystian Schenk hat eine Wohnung gefunden. Der 24-jährige Jurastudent lebt in einer 628 Quadratmeter großen Villa am Stadtrand von Hannover. Zu ihr gehören ein Indoor-Pool, eine Doppelgarage und ein parkähnlicher Garten mit Teich, Flusslauf und kleinem Boot. Schenk zahlt dafür 165 Euro im Monat.

Er ist Hauswächter. Seit 2010 gibt es in Deutschland zwei Büros des europaweit agierenden Unternehmens Camelot. Das Konzept: Städte, Verwalter oder Private, die eine unbewohnte Immobilie besitzen, die vor Einbruch und Vandalismus geschützt werden soll, lassen darin vom Unternehmen ausgewählte Hauswächter wohnen, die auf das Objekt aufpassen. „Im Endeffekt profitieren alle davon“, sagt Dirk Rahn, 49, der Leiter des Büros in Hamburg. Natürlich profitiert auch Camelot.

Die Hauswächter zahlen zwar keine Miete, aber einen Betrag für die Verwaltung. Der liegt etwa bei 150 Euro. Und der Besitzer muss fast 400 Euro pro bewachtem Gebäude löhnen, egal ob Kloster, Jagdschloss oder Schule.

1993 wurde das erste Camelot-Büro gegründet, in Holland, wo das Hauswächter-Prinzip üblich ist und es viele Mitbewerber gibt. Nach und nach eröffneten immer mehr Dependancen, 400 Immobilien gehören seither zum Repertoire. In Deutschland werden 15 Immobilien von 30 Hauswächtern bewohnt. „Es gibt auch Ladenhüter“, sagt Rahn, besonders in ländlichen Gegenden. Für Hamburg dagegen gibt es bereits 85 Bewerber, aber keine Immobilie. Bei so viel Leerstand sei das eine Schande. Der könnte zwischengenutzt werden.

Die Vorsilbe „zwischen“ ist entscheidend, denn Hauswächter wie Krystian Schenk genießen keinen Kündigungsschutz von mehreren Monaten und haben nur selten Aussicht auf eine dauerhafte Bleibe. Entsprechende Hauswächter werden ausgewählt. „Wir suchen flexible und verantwortungsbewusste Leute, die fremdes Eigentum respektieren und Lust auf außergewöhnliches Wohnen haben“, sagt Rahn. Familien kämen nicht infrage, weil Kinder keinen festen Bezugsort hätten.

Schenk wirkt wie der perfekte Hauswächter. Manche würden ihm vermutlich auch Auto, Hund und Baby anvertrauen. Im karierten Hemd sitzt er am Küchentisch, auf dem eines seiner Fachbücher liegt. Daneben steht eine gut gepflegte Wasserpflanze. Die Küche hinter ihm ist sauber, fast wie im Musterhaus. „Das ist immer so“, antwortet er auf die Frage, ob er extra vor dem Interview noch aufgeräumt habe. Mit ein paar persönlichen Stücken im Regal hat er versucht, den klassenzimmergroßen Raum wohnlich zu machen. Doch die Urlaubsmitbringsel, eine Flasche des Lieblingsbiers und die Heavy-Metal-CDs schaffen das nicht: Es ist kalt. Und das nicht nur im übertragenen Sinne.

Keine Privatsphäre

Die Fußbodenheizung funktioniert nicht. Dirk Rahn hatte bereits Handwerker beauftragt. Als auch die nicht helfen konnten, schickte er einen kleinen Radiator. „Aber die meiste Zeit verbringe ich ohnehin oben“, sagt Schenk. Oben ist sein Hauswächterraum. Die einzigen paar Quadratmeter, die ihm auf dem riesigen Anwesen wirklich als Privatsphäre zustehen. Zudem nutzt er ein Bad, das Wohnzimmer und die Küche. In manchen anderen Objekten teilen sich diese Räume mehrere Wächter – ähnlich wie in einer Wohngemeinschaft.

Seit November lebt Schenk nun in dem im Fachwerkstil erbauten Gebäude. Auch Besuch hat er in dieser Zeit öfter gehabt, das ist erlaubt. Ausschweifende Partys sind allerdings ausgeschlossen. Seinen Gästen muss der Achtsemestler immer erst mal das Gelände zeigen. „Die glauben immer gar nicht, dass ich für den Preis hier wohne“, sagt er. Oft komme dann die Frage, wann er wieder raus müsse. „Manche sagen, ich soll mich nicht zu sehr daran gewöhnen.“ Und in der Tat: Das Haus steht zum Verkauf. Gut einmal pro Woche kommt der Verwalter mit Interessenten zur Besichtigung. Was mit dem ehemaligen Besitzer passierte, weiß Schenk nicht. „Geht mich ja auch nichts an.“

Während der ersten Semester wohnte der Student noch in Hameln und pendelte jeden Tag 40 Minuten mit dem Zug zur Uni. Während der ganzen Zeit suchte er eine Wohnung – ohne Erfolg. „Vielleicht hatte ich auch zu konkrete Vorstellungen“, sagt er. Und wenn ihm dann eine Wohnung gefiel, bekam er sie nicht. Eines Tages sah er einen Fernsehbeitrag über Camelot, besuchte die Seite des Unternehmens und fand zu seiner Überraschung ein Angebot in Hannover. Er füllte online ein Bewerbungsformular aus. Dann ging alles ganz schnell: weitere Dokumente, Bewerbungsgespräch vor Ort, Zusage. Als er einzog, reichte ein vollgepacktes Auto, um seine Sachen zur transportieren. Sein Zimmer zu Hause hat Schenk behalten – als doppelten Boden. „Ich weiß ja nie, ob ich nicht innerhalb von zwei Wochen wieder raus muss“, sagt er. Er fühle sich daher „ein bisschen wie in einem Hotel“. Es ist eine günstige Übergangslösung für die Studentenzeit.

Und die vielen Regeln, an die ein Plakat an der Wand erinnert, stören Schenk nicht. „Ich rauche sowieso nicht“, sagt er. Es dürfen keine Kerzen angezündet werden, Lebensmittelreste dürfen nicht herumstehen, da sie Ungeziefer anlocken könnten, und der Rauchmelder muss regelmäßig kontrolliert werden. Einmal im Monat kommt jemand von Camelot vorbei, um zu checken, ob alles in Ordnung ist. Wenn nicht, gibt es eine Verwarnung, beim zweiten Mal 30 Euro Strafe und beim dritten Mal die Kündigung. Bei Schenk kam so etwas noch nicht vor. Er nimmt seine Aufgabe ernst. Einmal ist ihm aufgefallen, dass plötzlich viele Fenster am Haus geöffnet waren. „Aber das war nur der Verwalter, der im Poolraum lüften wollte.“ Ein Satz, wie ihn seine Kommilitonen wohl nie sagen.

Jenny Bauer ist freie Journalistin und lebt in Hamburg. Für 165 Euro hat sie dort kein Zimmer gefunden erst recht kein Schloss

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