Durchbruch auf Raten

NORD-SÜD-GEHAKEL VOR DER UN-KONFERENZ FÜR ENTWICKLUNGSFINANZIERUNG 2002 Gefragt sind "politische Gesten globaler Solidarität" - gebraucht wird eine politische Steuerung internationaler Finanzmärkte

Drei Gründe haben die UN-Mitgliedsstaaten nach langem Tauziehen offenbar bewogen, im nächsten Jahr zur Zukunft von Entwicklungsfinanzierung eine Gipfelkonferenz abzuhalten: Die Krise der tradierten öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA), die sich immer mehr vom anvisierten Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Das Anschwellen grenzüberschreitender privater Kapitalströme in den neunziger Jahren, ohne dass die Mehrheit der Entwicklungsländer bislang davon profitierte. Schließlich: Die Finanzkrisen in Asien, Russland und Mittelamerika, die einen Regelungsbedarf innerhalb des globalen Geld- und Finanzsystems erkennen lassen.

Ob die Konferenz aus der Sackgasse führt, in die Nord-Süd-Kontroversen zuletzt immer dann gerieten, wenn es um Finanzierungsfragen ging, ist ungewiss. Die UNO misst dem Resultat jedenfalls bereits im Voraus große Bedeutung bei. Im Bericht der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe der Generalversammlung, die mit ersten Vorbereitungen beauftragt war, heißt es: "Wir haben die Gelegenheit, das neue Jahrtausend zu beginnen mit einer historischen und zielgerichteten gemeinsamen politischen Geste globaler Solidarität für Entwicklung und der praktischen Verpflichtung sie zu erreichen."

Blockadeverzicht durch die USA und die EU

Der Vorschlag zu einer solchen Konferenz unterbreitete bereits 1991 der damalige UN-Generalsekretär Pérez de Cuellar. Noch im selben Jahr griffen der UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) und später die Generalversammlung diese Idee auf. Die dazu verabschiedete Entschließung vermied jedoch - auf Betreiben der USA und der EU - klare Festlegungen. Auch in den folgenden Jahren wurde das Thema auf der Tagesordnung der UN-Vollversammlung "mitgeschleppt", ohne dass es zu konkreten Fortschritten kam. Nachdem die Entscheidung für eine Konferenz 1995 erneut um zwei Jahre vertagt wurde, waren die Pläne der G-77, innerhalb der damaligen Kette von Weltkonferenzen ein solches Treffen zu veranstalten, endgültig vom Tisch.

Der Durchbruch kam erst 1997, wenngleich auch dann nur auf Raten. Unter dem sperrigen Titel Globale Entwicklungspartnerschaft: Internationale zwischenstaatliche Prüfung auf hoher Ebene zur Frage der Entwicklungsfinanzierung einigte sich die Vollversammlung, spätestens 2002 solle eine internationale Konferenz, eine Sondertagung der Generalversammlung oder ein anderes geeignetes Forum zur Entwicklungsfinanzierung einberufen werden. Durch die Jahresangabe war erstmals ein zeitlicher Rahmen erkennbar, der eine weitere Vertagung des Themas auf unbestimmte Zeit verhinderte. Warum die USA und die EU dem Drängen der G-77 anders als in den Vorjahren nun nachgaben, kann nur vermutet werden. Ein wichtige Rolle spielte sicher die wachsende Diskrepanz zwischen den immer wieder angekündigten ODA-Steigerungen und dem tatsächlichen Abschwung öffentlicher Entwicklungshilfe, aber auch die Finanzkrise in Südostasien 1997. Die westlichen Industrieländer gerieten aufgrund dieser Entwicklungen immer mehr in die diplomatische Defensive. Eine Blockade innerhalb der UNO war kaum mehr durchzuhalten. Allerdings traf auch der Beschluss von 1997 weder formale noch inhaltlichen Vorentscheidungen, sondern setzte lediglich einen Beratungsprozess in Gang. Der konzentrierte sich 1998 darauf, ein denkbares Themenfeld der avisierten Konferenz zu fixieren. Neben den Regierungen wurde zu diesem Zweck durch eine bis dato einmalige Fragebogenaktion ein breiter Kreis von Beteiligten (im UN-Jargon: von sogenannten stakeholders) konsultiert, der von der Weltbank, IWF und OECD über Zentralbanken und Finanzbehörden, Privatunternehmen bis hin zu Forschungsinstituten und NGO reichte. Aus Deutschland beteiligten sich die Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen, die Deutsche Bank Research und die NGO Weltwirtschaft, Ökologie Entwicklung e.V. (WEED). Die 185 Rückmeldungen wurden in einem "Index-Report" zusammengefasst.

Zusammenstoß zweier Denkschulen

In dieser Phase zeigten sich bereits deutlich die Interessengegensätze zwischen der G-77 auf der einen und der EU und den USA auf der anderen Seite. Die EU plädierte unmissverständlich dafür, auf dem anberaumten UN-Treffen vor allem darüber zu beraten, wie fehlende Mittel zur Umsetzung von Beschlüssen der Weltkonferenzen Mitte der neunziger Jahre mobilisiert werden könnten. Ihr ging es dabei um die Triade aus heimischen Ressourcen, privaten Kapitalströmen und internationaler Entwicklungszusammenarbeit. Gemeinsam mit den USA lehnten es die Europäer allerdings kategorisch ab, sich in diesem Kontext etwa mit der Steuerung (Governance) des internationalen Finanzsystems zu befassen. Ihnen schwebte ohnehin eher eine Fachkonferenz mit begrenzter Agenda auf Ministerebene vor, die den Charakter einer "Sondertagung" der Generalversammlung haben sollte. Die G-77 hingegen hielt an einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs fest, der nicht nur Finanzierungsfragen im engeren Sinne, sondern auch die Stabilität der internationalen Finanzmärkte und die Regulierung der Kapitalströme behandeln sollte. Vorrangiges Thema in dieser Phase der Debatte war denn auch die Integration von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und Welthandelsorganisation in die Vorbereitung, wobei der IWF, aber auch die WTO sehr reserviert reagierten.

Unverkennbar prallten auch in diesem Prozess zwei "Denkschulen" aufeinander. Auf der einen Seite standen und stehen die Verfechter eines Kurses weltwirtschaftlicher Liberalisierung und Deregulierung, die den immensen Wert des Privatkapitals im Entwicklungsprozess hervorheben und die Aufgabe staatlicher Institutionen primär darin sehen, förderliche Rahmenbedingungen auf nationaler Ebene zu schaffen (Stichwort: good governance). Vorzugsweise die USA - teilweise auch die EU - verfolgen diesen Kurs, der sich im Washington Consensus des IWF und der Weltbank von 1989 und seinen Ergänzungen von 1996 manifestiert. Auf der anderen Seite versuchen sich diejenigen zu behaupten, die eine Abhängigkeit nationaler Entwicklungsprozesse von internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen betonen und mehr politische Steuerung auf dieser Ebene verlangen. Zu ihnen zählt die Mehrheit der G-77-Länder.

Da der Washington Consensus selbst aus den Kreisen von IWF und Weltbank in den vergangenen drei Jahren zunehmend in Frage gestellt wurde, könnte eine der strategischen Herausforderungen der beschriebenen Verhandlungen darin bestehen, einen bereits häufig geforderten Post-Washington-Consensus zu formulieren und ihm klare - politische - Konturen zu geben. Die Leiterin des UNDP-Büros für Entwicklungsstudien Inge Kaul plädiert in diesem Zusammenhang für ein neues Entwicklungsparadigma der politisch eingebetteten Finanzliberalisierung, das eine Synthese der bisherigen staats- und marktzentrierten Ansätze ermöglichen soll. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierungen bereit sein werden, sich auf eine dadurch ausgelöste grundlegende Kontroverse einzulassen.

Jens Martens ist Mitarbeiter der an der Vorbereitung der UN-Konferenz beteiligten NGO WEED

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden